Der einfache Weg zu erhöhter Aufmerksamkeit

El Potrero Chico, Mexiko. Alex Honnold durchsteigt die über 1000 Meter hohe senkrechte, teils überhängende Wand "El Sendero Luminoso" in etwas mehr als drei Stunden – "free solo", das heißt ohne jegliche Sicherung, und erreicht nicht nur den Ausstieg relativ entspannt, sondern wirkt auch während des Kletterns absolut in sich ruhend. Ohne Zweifel eine außerordentliche Leistung, welche unbeschreiblich intensives Training, entsprechende Vorbereitung, Freude am Tun, Fertigkeiten und Talent voraussetzt.

Der alles entscheidende Faktor jedoch ist ein anderer, wie Wolfgang Hackl vom Forum für Persönlichkeits- und Organisationsentwicklung "Mensch in Bewegung" in Linz erklärt: "Energy flows, where your attention goes" - die Energie folgt der Aufmerksamkeit. Nur das Wahrnehmen aller in diesem Moment relevanten Vorkommnisse macht es möglich – die Fertigkeit natürlich vorausgesetzt –, Tritt für Tritt und Griff für Griff diese Wand sicher zu bezwingen." Auch die gesamte zur Verfügung stehende Energie fließe in dieses unmittelbare Tun und ermögliche somit eine besondere Qualität, ein besonderes Ergebnis.

Dies sei einzig möglich über ein absolutes gegenwärtig sein, präsent sein, im Hier und Jetzt sein, in diesem Augenblick sein – im Gegensatz zum Verharren in der Vergangenheit oder Spazierengehen in der Zukunft. "Beides ist nicht jetzt. Wirklich wirksam können wir nur im Augenblick sein", sagt Hackl.

Emotionen stehen im Weg

"Wir wären oft gerne frei von bestimmten Emotionen, die uns spürbar im Weg sind und schaden, und wissen nicht, wie an diese Sache heranzugehen wäre." Unser Verstand tendiere – heute mehr denn je – dazu, selbstständig mit seiner Fokussierung zwischen Vergangenheit und Zukunft hin und her zu springen. "Die rapide Zunahme externaler Impulse in allen Lebensbereichen verstärkt dies zusätzlich. In die Vergangenheit oft zu Situationen, die Ärger, Zorn oder Enttäuschung in uns ausgelöst haben. Über die Zukunft malen wir uns oft Bilder, welche Angst und Stress in uns auslösen", sagt Hackl. Das eine ist nicht mehr, das andere noch nicht – "die einschränkende Emotion wird aber jetzt wahrgenommen und raubt uns viel Energie, die uns für unsere aktuell zu erledigenden Aufgaben fehlt."

Ein nicht oder kaum präsent sein in unserem Alltag sei für uns auch oft nicht so offensichtlich und falle uns kaum auf, da die unmittelbare Folge meistens nicht gravierend ist. "Einzig wir fühlen uns hin- und hergerissen, alles andere als entspannt und gelassen, oft ausgelaugt, nicht bei guter Energie, verharren in Zorn, Wut, Ärger oder empfinden Stress und Ängste", sagt Hackl.

Ein Werkzeug für den Alltag

Micropraxis – so nennt sich die Übung, die sich für unseren gesamten Alltag eignet und den Menschen aktiviert: an der Kassa im Supermarkt, im Stau, auf dem Weg zum Bus, auf dem Weg zu wichtigen Terminen, in Meetings, wenn man daheim angekommen ist, beim Sporttreiben, bei der Hausarbeit und bei allem, was Leben ausmacht:

• …Sich selbst gedanklich ein Startsignal für die Übung geben mit z.B. "Jetzt" oder "Start".
• Für 15 bis 30 Sekunden oder drei bis fünf bewusste Atemzüge lang die Aufmerksamkeit ganz und gar auf das richten, was man jetzt gerade tut, bzw. was man in diesem Moment gerade wahrnimmt – sieht, hört, spürt, riecht, schmeckt (ohne dies zu bewerten mit gut/schlecht und dergleichen).
• Sich dann ein Stopp-Signal geben mit "Stopp" und …der Aufmerksamkeit "gestatten", sich wieder zu verflüchtigen.
• Diese kurze Übung über den Tag verteilt 1, 10, 20, 30, … Mal machen und besonders in Momenten, wo man das Gefühl hat, man wisse nicht mehr, "wo einem der Kopf steht".

"Dieses Tool funktioniert erfahrungsgemäß meist sofort ohne lange Übungsphasen. Man braucht hierfür weder Extra-Zeit noch Extra-Rahmen, da man es sozusagen über jede Alltagssituation legen, in jedem Alltagskontext anwenden kann", sagt Hackl.

Micropraxis habe bei regelmäßiger Anwendung Auswirkungen auf vielen Ebenen: "Man wird im Moment selbst gegenwärtig, hinderliche Gefühle wie Stress, Angst, Wut, Zorn und Ärger nehmen ab und verschwinden. Die gefühlte emotionale Qualität des gesamten Tages – unsere innere Schwingungslandschaft – verändert sich", erklärt der Persönlichkeitsberater. Die Qualität der Ergebnisse nehme weiter zu, weil man zunehmend mit ganzer Aufmerksamkeit und Energie "bei der Sache ist". "Die Wahrnehmung des gesamten Lebens an sich erfährt eine Veränderung hin in Richtung Gelassenheit, innere Ruhe, Gegenwärtigkeit und Ausgeglichenheit."

Natürlich hätten Zukunft und Vergangenheit ihren Sinn und ihre Berechtigung – "Zielsetzung ermöglicht Ausrichtung und gewisse Sicherheit, Erfahrungen der Vergangenheit können einerseits bestärken, andererseits die Möglichkeit geben, für die Zukunft zu lernen", sagt Hackl. Doch wiederum passiere sowohl das Ziele-setzen und die einzelnen Schritte zur Zielerreichung als auch das Umsetzen von gemachten Erkenntnissen und Erfahrungen ausschließlich im Hier und Jetzt. "Noch nie passierte irgend etwas nicht in der Gegenwart. Der Rahmen liegt oft nicht in unseren Händen, mit welcher inneren Haltung und Ausrichtungen wir diesem begegnen, jedoch stets – und das ist, was letzten Endes den Unterschied ausmacht", erklärt der Persönlichkeitsberater.