Online-Handel als Steuerparadies: Millionen Packerl falsch versteuert

Von Ulrike Rubasch   15.September 2018

Rund 200 Millionen Paketsendungen werden in Österreich im Jahr zugestellt. Mehr als die Hälfte davon geht an Privathaushalte. Die Mehrwertsteuer dafür wird jedoch nicht immer korrekt berechnet bzw. abgeführt.

"Derzeit entgeht der Republik Österreich dadurch jährlich eine Milliarde Euro an Steuereinnahmen", sagt Gottfried Kneifel, Geschäftsführer der Initiative Wirtschaftsstandort Oberösterreich (IWS). Er stützt sich dabei auf eine Berechnung des Ökonomen Friedrich Schneider, der die Mehrwertsteuerausfälle im Business-Onlinehandel mit 660 und im Privatbereich mit 440 Millionen Euro beziffert. Diese Werte halten Vertreter des Online-Handels und des Finanzministeriums für etwas zu hoch angesetzt, von "etlichen hundert Millionen Euro" sprechen aber auch sie.

Wie kommt dieser Steuerausfall überhaupt zustande? Vor allem bei Sendungen an Private aus dem Ausland sei keine ausreichende Transparenz vorhanden, haben Untersuchungen der IWS, der JKU und der Universität Münster ergeben. Auf gut Deutsch: Niemand weiß, was per Post ins Land kommt.

Zum Teil verrechnen die Online-Händler den Kunden zwar Mehrwertsteuer, führen sie aber nicht an den Staat ab. Weiters muss erst ab 22 Euro Warenwert Umsatzsteuer abgeliefert werden. Das führe dazu, dass der Warenwert häufig niedriger als in Wirklichkeit angegeben oder die Ware überhaupt als "Muster" gekennzeichnet wird.

"Wenn das falsch angeschrieben ist, passiert von Seiten des Zolls oder der Behörden nichts", sagt Martin Sonntag, Sprecher der Sparte Online-Handel in der Wirtschaftskammer Österreich. Laut einem Zollbeamten des Finanzministeriums gebe es zwar "Schwerpunktkontrollen", diese seien aber Augenauswischerei. Weniger als zwei Prozent der Sendungen werden kontrolliert.

Europaweite IT-Plattform

Das Problem verschlimmert sich, da der Online-Handel um mindestens zehn Prozent im Jahr zulegt. Das will die IWS mit einer IT-Plattform, die auf der derzeitigen Zoll-Lösung für Firmen beruht, ändern. Im Strichcode auf den Packerln könnten Wert, Gewicht und Inhalt gespeichert sein. Per Scanner würden die Daten (ohne Empfänger) in die europaweit genutzte Plattform eingespielt und somit den Finanzämtern übermittelt werden.

"Ein Paket wäre dann nur lieferbar, wenn es vom Spediteur oder Paketdienst registriert wird. Das braucht freilich eine neue Gesetzeslage", sagt Alfred Hiebl, IWS-Projektleiter und Gründer der MIC Datenverarbeitung GmbH in Linz, die die führende Zoll-Software in Österreich entwickelt hat. Eine erste, inoffizielle Reaktion aus dem Finanzministerium auf den Vorstoß gegenüber den OÖNachrichten fiel sehr positiv aus.

Ändern wird sich die Gesetzeslage ab 2021 ohnehin, die 22-Euro-Grenze fällt weg. "Das schafft erstmals die Möglichkeit, jedes Packerl zu kontrollieren. Die Übergangsfrist ist aber viel zu lang", sagt Sonntag. Schon bald sollten "Aktion scharf" und "Planquadrate" durchgeführt werden, wo auf einen Schlag tausende Pakete kontrolliert werden, fordert Sonntag. Die 1600 Zollmitarbeiter in Österreich werden dafür vermutlich nicht ausreichen. "Die Ressourcenplanung läuft, wir sehen uns an, inwieweit ein Personalbedarf von der IT abgefedert werden kann", heißt es aus der Zollbehörde.

Der stationäre Handel, der immer noch 90 Prozent der Handelsumsätze macht, wie auch der korrekt arbeitende heimische Online-Handel leiden unter der "krassen Wettbewerbsverzerrung" (Kneifel). Die IWS-Idee könnte durch eine europaweite Transparenz endlich eine Gleichstellung bringen.