Europas Unternehmen haben Macht der Online-Bewertungen verschlafen

Von Ulrike Rubasch   31.März 2016

Laut Marktforschung orientieren sich bereits 80 Prozent der Konsumenten bei Kaufentscheidungen an Empfehlungen von anderen Kunden. Dazu im Gegensatz steht die Einschätzung von Internet-Marketing-Experten, dass Europas Unternehmen die enormen Verkaufschancen verpassen, die von den Online-Rezensionen ausgehen.

"Die Österreicher und die Europäer haben das noch nicht heraußen, wie das mit den Empfehlungen im Internet funktioniert", sagt Gisela Hausmann im Gespräch mit den OÖNachrichten. Die gebürtige Waidhofnerin, die seit 28 Jahren in den USA lebt, hat soeben ein Buch über dieses Thema geschrieben. Die mehrfache Fachbuchautorin ist beim weltgrößten Internethändler Amazon die Rezensentin Nummer 3715 und bekommt pro Woche 50 Anfragen von Firmen für Rezensionen. Diese schicken ihr Produkte (gratis), die sie dann je nach Gutdünken bewerten kann. So arbeiten US-Firmen schon lange. Auch Chinesen wenden diese verkaufsfördernde Maßnahme immer stärker an. "Ich bekomme jede Woche zwischen drei und fünf Anfragen aus China, aber nur alle drei Monate eine aus Europa", sagt sie.

Dabei sollten europäische Unternehmen mit US-Rezensenten arbeiten. Denn wer will, dass eine Rezension weltweit sichtbar ist, muss sie auf amazon.com und nicht auf amazon.de oder der jeweiligen Landesseite posten. Das können, so Hausmann, nur Rezensenten mit amerikanischem Wohnsitz.

"Die Unternehmen bei uns unterschätzen die Macht der Kundenrezensionen. Die EU hinkt hier den USA stark hinterher", sagt der Online-Marketing-Unternehmer Marco Huemer aus Linz. Wichtig sei vor allem, dass viele Bewertungen abgegeben würden. Das könne Umsatz und Gewinn binnen kürzester Zeit extrem nach oben treiben. Die Kunden würden schon aus Zeitgründen gar nicht alle Rezensionen lesen, aber sie vertrauen der hohen Anzahl, so Huemer.

 

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Seriöse Bewertungen

Doch wie vertrauenswürdig sind eigentlich die Online-Bewertungen? Zumindest bei Amazon dürften 9 von 10 Bewertungen echt sein, sagt Hausmann. Wenn "verifizierter Verkauf" daneben steht, hat der Kunde das Produkt wirklich erworben. Auch bei Reiseplattformen ist es üblich, dass nur bei echten Buchungen im Nachhinein eine Meinung abgeben werden kann. Dennoch gibt es Spezialisten, Agenturen und Großkonzerne, die auf subtile Art diese Fairness-Regeln zu unterlaufen versuchen. Amazon klagt immer wieder Unternehmen deswegen und wirft sie aus seinem System hinaus.

Zwiespältig sieht die Online-Fachfrau Judith Denkmayr von Vice CEE Bewertungen wie auf eBay oder der Unterkunftsplattform AirBnB, weil hier Anbieter und Reisende einander bewerten. Das führe zu einer Auf- oder Abwärtsspirale. Wer schlecht bewertet, wird schlecht bewertet – und weil das keiner will, enthält man sich der schlechten Kommentare. Die generelle Regel, so Denkmayr, lautet: "Alle Bewertungen kritisch hinterfragen." Zu begeistert im Tonfall ist genauso verdächtig wie eine gnadenlose Vernichtung. Je mehr Rezensionen zu einem Produkt vorhanden sind, desto plausibler ist das Gesamtergebnis. Wer als Rezensent schon jahrelang dabei ist, ist glaubwürdiger.

Buchtipp: Die nackte Wahrheit über Produkt-Rezensionen; G. Hausmann; 12,47 Euro