Wenn Flüchtlingsheime brennen

Von Klaus Buttinger   10.Oktober 2015

OÖNachrichten: In Deutschland brennt alle paar Tage eine Flüchtlingsunterkunft nieder. Wer macht so etwas?

Martin Becher: Die Vermutung liegt nahe, dass das Leute aus dem extrem rechten Spektrum sind. Hier haben wir eine sehr schlechte Aufklärungsquote. Die Polizei verwies kürzlich in der Süddeutschen darauf, die Täter könnten auch aus dem gegenteiligen politischen Spektrum sein, um Neonazis etwas unterzuschieben. Klar ist, die Neonazis machen in den Netzen sehr viel Agitation gegen die Flüchtlinge, weshalb zu vermuten ist, dass die Täter direkt aus ihrem Umfeld stammen.

Erinnert die niedrige Aufklärungsquote nicht frappant an den Jahre lang unaufgeklärten rechtsextremen Terror des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU)? Ist der Staat Deutschland immer noch blind auf dem rechten Auge?

Ich glaube nicht. Der Prozess um den NSU läuft ja noch, da hat noch kein Vergessen eingesetzt wie nach dem Terroranschlag auf das Oktoberfest 1980. Zumindest dort, wo es um Gewalttäter geht, will man in Deutschland schon hinschauen. In Vorra, wo es im Frühjahr einen Brandanschlag auf eine geplante Flüchtlingsunterkunft gab, hat Bayern eine Sonderkommission mit 20 Beamten eingesetzt.

Und etliche V-Leute, oder?

Zu glauben, dass man Rechtsextremismus mit dem Einsatz von V-Leuten durch den Verfassungsschutz bekämpfen kann, geht offensichtlich nicht auf. Ansonsten würden diese V-Leute ja etwas melden. Wenn wir derartig viele Gewaltakte aus dem vermutlich rechten Spektrum haben, dann muss man die Strategie überdenken. Die Neonazis sind intelligente Gewalttäter, das hat man beim NSU gesehen.

Von Strategiewechsel ist aber nicht viel zu sehen …

Bisher erleben wir nur ein Mehr vom Selben. Immer noch V-Leute, aber jetzt mit einer neuen juristischen Form sowie einer besseren Kommunikation zwischen den Geheimdiensten und der Polizei. Das ist sicherlich notwendig, aber nicht ausreichend. Eigentlich sollte es eine bessere Zusammenarbeit zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren geben. In der Zivilgesellschaft gibt es viele Leute, die viel wissen und gut recherchieren.

Ist die gemeinsame Beobachtung der Szene deshalb so schwierig, weil Rechtsextremismus immer mehr in der gesellschaftlichen Mitte ankommt, siehe Pegida oder die Identitären?

Dass die Zusammenarbeit so schwierig ist, liegt daran, dass der Staat das Monopol der Strafverfolgung innehat und deshalb auch bei der Recherche nicht mit zivilgesellschaftlichen Akteuren kooperiert. Das hieße ja, man würde sich auf Augenhöhe begegnen. Dafür wäre eine Akzeptanz als Partner vonnöten, die es aber nicht geben soll. Was Pegida, Identitäre, Hooligans, Sarazin-Fans oder junge Leute, die Freiwild hören, betrifft: Es gibt eine ganze Reihe von Überschneidungen zwischen dem organisierten, gewaltbereiten, extrem rechten Spektrum und Leuten, die entsprechende Einstellungsmuster haben, aber noch lange nicht gewalttätig sind und keine umstürzlerische Gefahr für den Staat darstellen. Die wählen die demokratischen Parteien, im Osten sogar die Linkspartei, das wird in Österreich ähnlich sein.

In Österreich ist die linke Opposition verschwindend klein …

Nun, da deckt die FPÖ kommunikativ viel von dem Bereich ab. Drum hat die Pegida auch nicht Fuß gefasst, weil es das Original schon gab. Menschen mit solchen Einstellungen gibt es aber auch in der ÖVP und der SPÖ. Deshalb tut sich die Politik ja so schwer, das eindeutig zu bekämpfen, weil sie sich damit partiell gegen ihre eigenen Wählermilieus wenden müsste.

Wächst die rechtsextreme Szene?

Ich glaube, dass sich die Zahl der Akteure nicht wesentlich verändert hat, aber sie sind aktiver unterwegs und bekommen ein stärker werdendes Umfeld. Pegida etwa, oder die Identitären und deren Ableger. Dazu kommt ein gewisser Gewöhnungseffekt. In München haben wir schon fast ein Jahr lang jeden Montag diese Pegida-Demos. Das ist halt Normalität.

Was tun gegen Neonazis? Vermehrt mit Ironie und Spott vorgehen wie in Wunsiedel, wo Nazis alljährlich einen Rudolf-Hess-Gedenkmarsch veranstalten?

Wir haben die Strecke des Marsches vergangenes Jahr in einen unfreiwilligen Spendenmarsch umgewandelt. Jeden Meter, den die Nazis gegangen sind, haben sie fiktiv einen Euro für das Aussteigerprogramm "Exit" gespendet. Hätten sie abgebrochen, hätten wir unser Ziel erreicht und auf Spenden verzichtet. Wir haben Transparente aufgehängt, auf denen zum Beispiel stand "Wenn das der Führer wüsste" oder "Zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl, freigiebig wie nie" und einen Verpflegungsstand mit Bananen aufgebaut, wo darüber stand "Mein Mampf". So haben wir wunderbare Bilder bekommen und Presseartikel bis nach Neuseeland. Unsere Filme wurden im Netz mehr als zehn Millionen Mal abgerufen. Das war eine erfolgreiche, fantasievolle Aktion, die man aber nicht täglich machen kann.

Was meinen Sie damit, dass sich der "Aufstand der Anständigen" mit dem "Aufstand der Zuständigen" verbinden müsse?

Die Zuständigen, das sind die Behörden, die Gerichte, die Polizei, die Jugendarbeit, die Schulen; das sind möglicherweise dieselben wie die Anständigen, nur in einer anderen Rolle. Wenn es, wie in Lichtenfels vergangenes Jahr geschehen, einen Neonazi als Richter gibt, muss der sofort weg. Wenn es einen Naziaufkleber in einem Polizeibus gibt, müssen mit den Leuten, die ihn dahin geklebt haben, disziplinarische Gespräche geführt werden. Darüber hinaus ist für mich ein anderer Spruch sehr wichtig: Wir sind erst dann Teil der Lösung, wenn wir erkennen, dass wir Teil des Problems sind.

Das heißt jetzt was?

Wir dürfen nicht nur über die extremen Rechten reden, über die 25.000 vom Verfassungsschutz so bezeichneten. Es geht um Einstellungen und Verhalten gegen Juden, Sinti und Roma, gegen Behinderte, Homosexuelle oder wen auch immer, die vielleicht auch die Oma zu Hause vertritt. Keine Institution ist frei von diesen menschenfeindlichen Haltungen. Erst wenn ich einmal vor der eigenen Haustür gekehrt habe, kann ich gemeinsam mit anderen auch insgesamt in der Gesellschaft etwas tun.

Der Ort der Menschenfeindlichkeit ist doch nicht Omas Altersheim, sondern das Internet. Wie soll man mit der digitalen Flut der Hassbotschaften umgehen?

Das finde ich das Allerschwierigste! Hier gilt es jene Leute vor die Konsequenzen zu stellen, die Volksverhetzung betreiben, ob unter Klarnamen oder Pseudonym. Man muss etwa überlegen, deren Arbeitgeber darüber zu informieren. Wichtig ist auch, dass mit Facebook Gespräche geführt werden. Jedes Nacktfoto wird von Facebook gelöscht, aber was an Volksverhetzung stattfindet, darf dableiben! Das hat mit dem amerikanischen Rechtssystem zu tun, das Verhetzung, Wiederbetätigung und Ähnliches nicht kennt. Da müssen wir bessere Wege finden.

 

Netzwerke gegen Rassismus und Rechtsextremismus

Das „Bayerischen Bündnis für Toleranz“ hat 60 Partner, darunter staatliche Organisationen wie Ministerien, Landkreis-, Städte- und Gemeindetag sowie Religionsgemeinschaften und Vertreter der Zivilgesellschaft. „Jeder Partner verpflichtet sich, auch in den eigenen Reihen etwas zu tun“, sagt Bündnis-Geschäftsführer Martin Becher und nennt den bayerischen Sportschützenverband, der eine Jugend-Aufklärungsbroschüre über Symbole und Strategien von Nazis aufgelegt hat.
Becher ist einer der Referenten beim Treffen des „Oö. Netzwerks gegen Rassismus und Rechtsextremismus“, das heute, Samstag, 10. Oktober, im Bildungshaus Schloss Puchberg in Wels stattfindet (ab 14 Uhr). Das Netzwerk wurde 2001 gegründet und wächst ständig. Heute gehören ihm 75 Organisationen an, darunter Katholische Aktion, Gewerkschaftsjugend, Volkshilfe, Pfadfinder, Kulturplattform KUPF, Gemeindevertreterverband und Museum Arbeitswelt. Zuletzt ist die Plattform Solidarität beigetreten, die viele Flüchtlingshelfer unterstützt. Miteinander haben die 75 Netzwerk-Organisationen mehr als 45.000 Mitglieder. „Wir sind ein starkes Bündnis für Demokratie und Menschenrechte“, sagt Netzwerk-Sprecher Robert Eiter. Beim Treffen, das unter dem Motto „Keine Koalition mit dem Rassismus!“ steht, werden Landesrat Rudolf Anschober (Grüne) und NR Katharina Kucharowits (SPÖ) sprechen.