Unter Plastik wächst sozialer Sprengstoff

Von Klaus Buttinger   24.Juni 2011

Die Saison ist vorbei. Zwischen den Orten El Ejido und Almería an der spanischen Südküste brennt nun die Sonne auf die ausgelaugten Böden unter den Plastikfolien. Im Herbst wird wieder gedüngt und angebaut und gespritzt: Paprika, Tomaten, Gurken, Zucchini, Melonen. Was das kulinarische Herz der Mittel- und Nordeuropäer zur kühlen Jahreszeit begehrt. Koste es, was es wolle.

Leopoldo Frías, der sich für soziale Standards in der Gemüseproduktion Südspaniens einsetzt, sagt: „Nutznießer sind vor allem die Konsumenten. Auch die Bauern sind Opfer des Systems. Die Verantwortung liegt auf Seiten der Zwischenhändler und Supermarktketten.“ Von einem Kilo Tomaten, das in Supermärkten hierzulande gerne auch einmal fünf Euro kostet, bleiben den bäuerlichen Produzenten fünf bis 35 Cent. Die meisten Bauern sind keine Großgrundbesitzer und können oder wollen ihre Arbeiter nicht nach dem Kollektivvertrag der Landarbeiter entlohnen: 44 Euro für acht Stunden. Wer 25 Euro am Tag verdient, ist in Tagen wie diesen schon gut dran. Und dann sind da noch die Illegalen. Sie werden oft mit einem Euro pro Stunde abgespeist.

Unter dem Plastikmeer, das sich 100 Kilometer der Küste entlangzieht, wächst auch sozialer Sprengstoff. Zuerst haben Einwanderer aus Marokko („die Araber“) die spanischen Landarbeiter ersetzt. Nun drücken die rund 100.000 illegalen Einwanderer aus der Subsahara (Senegal, Mali, Burkina Faso) auf den Arbeitsmarkt der Region. In einem Land wie Spanien, das 21 Prozent Arbeitslosigkeit und 51 Prozent Jugendarbeitslosigkeit aufweist, steigt das Konfliktpotenzial. Entladen hat es sich schon einmal, im Jahr 2000, als es zu drei Tage dauernden rassistischen und gewalttätigen Übergriffen auf Einwanderer kam.

Mehr als die Hälfte der Landarbeiter, zumeist die illegal im Land lebenden, vegetiert auf Brachen zwischen den Gewächshäusern, zwischen den Müllhalden dahin. „Es stinkt unerträglich“, erzählt Sepp Wall-Strasser, Bildungssekretär des ÖGB OÖ. Er hat sich mit einer Delegation vor wenigen Tagen die Situation in Europas Gemüse-„Garten“ angesehen. „Tausende Arbeiter leben in Kartonverschlägen, die sie mit alten Plastikplanen abdecken. Die hygienischen Zustände sind erbärmlich.“

Für ein solches Dasein hat der 22-jährige Mahmud aus Mali sein Leben riskiert. In Tanger gürtete er sich unter einen Lkw und gelangte so nach Europa. Sein Kollege hat es mit einem Seelenverkäufer geschafft und dabei etliche seiner Mitflüchtlinge sterben sehen. Jetzt stecken sie fest im Plastikland. Leben von 100 Euro im Monat. Gerade genug für Essen. Ihre Gesundheit ist durch den Pestizideinsatz im konventionellen Gemüsebau in großer Gefahr. Perspektive haben sie keine. Kein Geld, um es nach Hause zu schicken, keine Aussicht auf Familiennachzug. 320 Euro müsste man dafür pro Monat verdienen und eine regelmäßige Arbeit haben. In Almería aber herrscht das Gesetz des Arbeitsstrichs. Und falls jemand doch einen Lohnzettel erhält, ist er nicht selten gefälscht, damit sich die Arbeitgeber die Sozialabgaben ersparen. Gewerkschaften sind viel zu wenig verankert. Zu groß ist die Angst.

Kranke Arbeiter

Bei den Arbeitern unter der Folie gehören Kopfschmerzen, Erbrechen und Hautentzündungen zur Tagesordnung. Auf der Vergiftungsstation des Krankenhauses in Almería sind immer wieder Todesopfer durch Pestizidvergiftung zu beklagen. In unzähligen Becken zwischen den Gewächshäusern sammeln sich Pestizidrückstände an. Von Kläranlagen oder fachgerechter Entsorgung der Gifte keine Spur.

„Der Boden muss, bevor neu angebaut wird, desinfiziert werden“, berichtet Wall-Strasser schockiert. Dazu kommt das Problem mit der Bewässerung. Das Wasser aus den Bergen im Hinterland reicht nicht mehr für die ständig wachsende Anbaufläche. Da das Grundwasser aufgebraucht oder übersäuert ist, wird in die Tiefe gebohrt und auf fossiles Wasser zurückgegriffen. Zumindest haben die meisten Bauern in der Gemüseprovinz mittlerweile von der Sprüh- auf die Tröpfchenbewässerung umgestellt, was Unmengen Wasser spart. Künftig will man auch über Meerwasser-Entsalzungsanlagen das nötige Nass besorgen. „Alle Produktionskosten sind gestiegen, sagt Leopoldo Frías, „der einzige Produktionsfaktor, der nicht teurer geworden ist, ist die menschliche Arbeitskraft.“

Besonders Kleinbauern sind unter Druck. Die Setzlinge – etwa für die Hybrid-Tomaten – müssen teuer von Saatgutfirmen in Holland bezogen werden. Spritz- und Düngemittel sind darauf abgestimmt und ebenfalls teuer. Die Schulden der Landwirte in der vermeintlich prosperierenden und für den Export wichtigen Region steigen.

Was tun als Konsument?

Was tun als Konsument, angesichts der armseligen Zustände an der Sonnenküste? „Mehr konsumieren“, meint eine Verpackerin eines Bio-Gemüse-Produzenten. „Dann geht die Arbeitslosigkeit hier zurück.“ Würde noch teureres Bio-Gemüse in unseren Supermärkten den Kleinbauern und Arbeitern in Almería helfen? Leopoldo Frías, studierter Agrartechniker, antwortet rasch: „Nein. Das Problem ist, dass das Geld auf der Strecke zum Supermarktregal liegen bleibt.

Ein Boykott von spanischem Bio-Frühgemüse ist der Weisheit letzter Schluss auch nicht. Experten haben errechnet, dass Tomaten, selbst wenn man sie tausende Kilometer per Lkw quer durch Europa fährt, immer noch weniger umweltbelastend sind als Paradeiser, die in geheizten Glashäusern in Österreich rot geworden sind.

Zukunft: bio und fair

Wie so oft liegt der Ausweg aus dem Dilemma in den Zwischentönen und in harter Verhandlungsarbeit. „Bio ohne fair ist genauso wenig eine Alternative wie das Zurück zum Konsum von konventionell angebautem Obst und Gemüse“, sagt Claudia Schürz vom Verein „Weltumspannend arbeiten“ nach der Exkursion.

Trotz des langen Weges zu „bio & fair“ werde aller Voraussicht nach biologisch und sozial zertifizierten Produkten die Zukunft gehören. Gemüse, das unter Giftregen wächst und von Sklaven geerntet wird, ist von vorgestern.