Hatte Jesus eine Frau? Alter Text auf einem Papyrus-Fund deutet Ehe an

Von Thomas Spang, Washington   20.September 2012

Der Papyrus-Schnipsel ist nicht viel größer als eine Visitenkarte. Unter einem Vergrößerungsglas lassen sich auf Vor- und Rückseite acht Zeilen mit griechischen Buchstaben erkennen. Die renommierte Religionswissenschaftlerin an der Harvard-Universität, Karen L. King, entzifferte die Fragmente als ein frühchristliches Zeugnis des vierten Jahrhunderts aus dem Süden Ägyptens. Abgefasst in einem koptischen Dialekt.

Ihre Übersetzung lässt keinen Zweifel an dem Inhalt des brisanten Zeugnisses. „Jesus sagte zu ihnen: ‚Meine Frau’ ...“, steht dort. Etwas weiter unten dann ein weiterer Satz, der die bisherige Kirchenlehre herausfordert. „Sie kann mir als Jünger folgen.“

Debatte der frühen Christen

Der Papyrus-Fund wäre das einzige bekannte Dokument aus der Frühzeit des Christentums, in dem Jesus selbst in wörtlicher Rede von einer Ehefrau spricht. Selbst wenn das Schriftstück für sich genommen nicht beweist, dass es so gewesen sein muss, belegt es doch die lebhafte Debatte innerhalb der christlichen Gemeinschaft zu dieser Zeit über die Frage, ob Jesus verheiratet war und Christen, die nach seinem Beispiel leben, ebenfalls heiraten und Sex haben dürfen.

King präsentierte ihren sensationellen Fund am Dienstag im „Vorgarten“ des Vatikans im katholischen Institut „Patristicum Augustinianum“ in Rom. Bisher haben sich die Glaubenshüter weder zur Echtheit noch zur Bedeutung der Entdeckung geäußert, die die jahrhundertealte kirchliche Lehre herausfordert. Denn sowohl das priesterliche Zölibat, als auch die Rolle der Frau innerhalb der katholischen Kirche werden mit dem Beispiel begründet, das Jesus gesetzt hat.

Bevor die Harvard-Gelehrte den Weg nach Rom antrat, bat sie verschiedene Kollegen, das Dokument zu prüfen. „Es ist unmöglich zu fälschen“, erklärte die Ägyptologin Anne Marie Luijendijk von der Elite-Universität Princeton die Güte des Dokuments. Rogner Bagnall, ein anderer Papyrus-Experte von der New York University, kommt zu einem ähnlichen Befund. Um letzte Einwände zu beseitigen, soll das Papyrus-Schriftstück einer Spektralanalyse unterzogen werden.

King hatte den brisanten Schnipsel 2010 von einem Sammler erhalten, der anonym bleiben möchte. Dieser hatte ihn 1997 von dem deutschen Vorbesitzer, einem H. U. Laukamp, in Berlin erworben. Dem Papyrus-Kauf beigefügt war eine handschriftliche Expertise des inzwischen verstorbenen Ägyptologen an der Freien Universität Berlin, Peter Munro, vom 15. Juli 1982. Darin nimmt Munro Bezug auf seinen Kollegen Gerhard Fecht, der ebenfalls nicht mehr lebt. „Professor Fecht glaubt, dass der kleine, rund acht Zentimeter große Papyrus das einzige Beispiel für einen Text ist, in dem Jesus die direkte Rede in Bezug auf eine Ehefrau benutzt. Fecht meint, dass dies ein Beweis für eine mögliche Ehe sein könnte.“

Abgrenzung zu „Da Vinci Code“

King bestätigt das mit ihren Untersuchungen. Die Harvard-Professorin versucht nun, den anonymen Sammler zu bewegen, seine Identität zu enthüllen, um Verschwörungstheorien vorzubeugen. Die Wissenschaftlerin hat ihren Grund. Schließlich basiert Dan Browns millionenfach verkaufter Erfolgsroman „Der Da Vinci Code“ auf der fiktiven Idee einer großen Konspiration. In diesem Fall umgekehrt innerhalb des Vatikans, der die angebliche Ehe Jesu mit Maria Magdalena vertuschen wollte.

Die seriöse Religionsgelehrte von der Elite-Universität möchte damit nicht in Verbindung gebracht werden. Sie glaube nicht, dass Jesus mit Maria Magdalena verheiratet war. Vielleicht aber doch mit einer anderen Frau.

 

Der Inhalt des Dokuments

Acht Zeilen im sahidisch-koptischen Dialekt der Christen in Ägypten des vierten Jahrhunderts sind auf der Vorderseite dieses Papyrus-Fragments zu sehen. Die Satzfetzen sollen offenbar ein Gespräch zwischen Jesus und seinen Jüngern wiedergeben. „Meine Mutter gab mir Leben ...“, heißt es da, und „Maria ist es wert“ - vielleicht aber auch „Maria ist es nicht wert“. Und dann gibt es noch den spektakulären halben Satz „Jesus sagte zu ihnen: ,Meine Frau’ ...“. Interessant ist auch der nächste Satzfetzen: „... sie wird fähig sein, mein Jünger zu sein ...“