Ein Leben am Rande der Gesellschaft

Von Heidi Riepl aus Rumänien   17.Februar 2014

In keinem Land der Welt leben mehr Roma als in Rumänien. Es sind laut Schätzung der Weltbank etwa zwei Millionen. Doch genau lässt sich das nicht sagen. Sie leben meist in Ghettos, sozial und wirtschaftlich an den Rand gedrängt.

Eines gleich vorweg: Vermeintliche politische Korrektheit ist in Rumänien nicht nötig. Selbst der katholische Bischof Martin Roos von Temesvar korrigiert uns. „Wir sagen hier nicht Roma, sondern Zigeuner, also Cigani.“ Das hat einen einfachen Grund: Man will jede Verwirrung zwischen Roma und Rumänen vermeiden. Darin sind sich „Cigani“ und Rumänen bei allen Vorurteilen, die sie gegeneinander aufbringen, ausnahmsweise sogar einig.

Der Zugang zu Giselas Haus am Rande der nordrumänischen Kleinstadt Ardud ist mühsam. In dem unwirtlichen Gemisch aus Schneematsch und Dreck kommt man nur langsam voran. Und auch der Begriff Haus ist übertrieben. Das Flickwerk aus Ziegeln, Spanplatten und Wellblech kann bestenfalls als Behausung bezeichnet werden. Nachts schlafen zwölf Personen in dem 30 Quadratmeter großen Raum. An drei Wänden lehnt je ein Bett, an der vierten ein alter Ofen, an dem die Hausherrin einen Eintopf kocht.

Keine Arbeit im Winter

Doch nicht immer reicht das Geld für warmes Essen. Mit 90 Euro Sozialhilfe kann Gisela ihre neun Kinder nur schwer ernähren. Im Sommer ist es einfacher. Da kann ihr Mann als Saisonarbeiter auf den Feldern ein bisschen Geld verdienen. Doch im Winter gibt es, seit die Textilfabrik in der Stadt zugesperrt hat, so gut wie keine Arbeit.

Die rumänischen Cigani waren die ersten, die nach dem Zusammenbruch des Kommunismus, der ja bekanntlich Arbeitslosigkeit nicht kannte oder zumindest beharrlich leugnete, ihre Jobs verloren. Sie wurden aus den Plattenbauten geworfen, in Hütten am Rande der Städte gesteckt und mit Sozialhilfe ruhiggestellt.

Ein Teufelskreis der Armut begann: Ohne Bildung und Job landeten etliche in der Kriminalität. Das wiederum gab Vorurteilen und Hass gegen sie neuen Zündstoff. Kein Wunder, dass die Cigani selbst nur wenig Interesse an einer Integration in einer Gesellschaft zeigten, die ihnen gegenüber so negativ eingestellt ist. Umso mehr schweißt sie ihr Leben in Ghettos zusammen. Für die übrige Bevölkerung wirkten sie aber noch fremder.

„Als die Zigeunerkinder nicht mehr zur Schule kamen, fragte man nicht warum, sondern atmete erleichtert auf“, erinnert sich Tünde Löchli, Caritas-Generaldirektorin im Kreis Satu Mare. Seit 1992 beschäftigt sie sich intensiv mit den Roma-Familien von Ardud. Die ersten Jahre waren nicht einfach, erzählt sie über das inzwischen erfolgreiche Integrationsprojekt der Caritas. Anfangs war es oft nur das warme Essen, mit denen sie die Cigani überzeugen konnte, ihre Kinder in die Tagesheimstätte und den Kindergarten zu bringen. Inzwischen aber haben die Cigani von Ardud eingesehen, wie wichtig Bildung für eine bessere Zukunft ihrer Kinder ist.

Melinda Kardos, die selbst in der Caritas-Tagesheimstätte aufwuchs, ist das beste Beispiel dafür. Die 26-jährige Psychologin macht gerade ihr Doktorat in Budapest und forscht über die Roma in ihrer ehemaligen Siedlung. Inzwischen meint sie zu wissen, wie Ardud vorwärts kommen kann: „Der Schlüssel ist, zu erfahren, was die Jugend will“, sagt sie. Endlich sei man so weit, dass die Jugendlichen von ihren Wünschen sprechen, unabhängig davon, was die Gemeinde oder die Eltern sagen. „Sie lernen auch, dass es sich lohnt, für diese Wünsche zu kämpfen“, sagt Kardos, die selbst zweimal mehr als andere für ihre Ausbildung kämpfen musste.

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Verfolgte Minderheit

Nur wenige Roma bekennen sich öffentlich zu ihrer Herkunft. Schließlich bedienten sich die Nazis der Volkszählungslisten, um Roma in die Vernichtungslager zu deportieren. Mehr als 500.000 kamen um. Daher kann nur geschätzt werden, wie viele Roma in der EU leben. Allein in Osteuropa sollen es zehn Millionen sein. Hätte diese in Europa seit Jahrhunderten verfolgte Minderheit ihren eigenen Staat, es wäre der neuntgrößte in der EU.