Benedikt: Eingeständnis des Scheiterns oder mutige Geste?

Von Heinz Niederleitner   11.Februar 2014

"Was hat der Papst gesagt?" "Dass er zurücktritt." "Nein, da haben Sie bestimmt nicht richtig hingehört." Dieser Dialog hat laut Kardinal Gianfranco Ravasi unter zwei Purpurträgern heute vor genau einem Jahr im Vatikan stattgefunden. Damals las Papst Benedikt XVI. den völlig überraschten Kardinälen auf Latein die Ankündigung vor, dass er am 28. Februar 2013 sein Amt niederlegen werde.

Es waren nicht nur mangelnde Lateinkenntnisse, die den ersten Kardinal die Nachricht nicht glauben ließen. Für die ganze katholische Welt war die Entscheidung des Papstes eine völlige Überraschung. Kirchengeschichtliche Präzedenzfälle wurden gesucht, aber keiner ist wirklich mit Benedikts Amtsverzicht vergleichbar.

Papsttum verändert sich

Welche Folgen hat der Schritt Benedikts XVI., die bis dahin eher theoretische Rücktrittsmöglichkeit im Kirchenrecht für einen Papst in Anspruch zu nehmen? "Man wird erst einige Pontifikate abwarten müssen, um zu sehen, wie sich diese Möglichkeit des Amtsverzichts auswirkt", ist der Linzer Kirchenhistoriker Günther Wassilowksy im OÖN-Gespräch zunächst vorsichtig.

Langfristig, so vermutet er, "wird sie das Papsttum verändern. Es wird stärker die Dienstfunktion des Amtes hervortreten. Wenn ein Amtsträger nicht unter allen Bedingungen ausharren muss, bedeutet das Entlastung. Allerdings kann es dann Rücktrittsforderungen geben." Dass das Papsttum damit Charisma verliert, wie nicht wenige Kritiker des Rücktritts sagen, glaubt Wassilowsky so nicht: "Gerade heute sitzt mit Franziskus ein Mann auf dem Papstthron, der für die Institution auf ganz neue Weise wieder Anerkennung und Autorität geschaffen hat."

Doch Anhänger des emeritierten Papstes haben damit ein Problem, dass Benedikt im Vergleich zu Franziskus ungleich schlechter dasteht: Kardinal Christoph Schönborn zum Beispiel, ein Ratzinger-Schüler, kritisierte die mangelnde Wertschätzung Benedikts: In seiner privaten Bibliothek stünden die Bücher Ratzingers neben jenem des Kirchenvaters Augustinus, sagte Wiens Erzbischof.

Der einst von Ratzinger gestrafte Befreiungstheologe Leonardo Boff sieht das anders: Er vermutete, hinter dem Rücktritt habe auch die Erkenntnis Benedikts gestanden, dass seine Theologie zusammengebrochen sei.

Es sei zu früh, die Bedeutung des gesamten Pontifikats zu ermessen, sagt Kirchenhistoriker Wassilowsky. Man müsse auch die Werke des Theologen Ratzinger und sein Agieren als Papst auseinanderhalten. "Es ist aber unverkennbar, dass Benedikt als regierender Papst mit dem Programm seiner Kirchenführung gescheitert ist. Es kam ja eine Krise nach der anderen", sagt Wassilowsky.

Auch andere Theologen gehen gegenüber der Kathpress mit Benedikt ins Gericht: "Das Pontifikat Benedikts XVI. habe sich durch Versuche ausgezeichnet, den Lauf der Zeit aufzuhalten und eine Rückkehr zur Ordnung zu versuchen, sagt der Innsbrucker Dogmatiker Jozef Niewiadomski. Darin sei Benedikt XVI. jedoch gescheitert.

Und der Dekan der Theologischen Fakultät in Salzburg, Gregor-Maria Hoff, spricht von Baustellen und Hypotheken, die Benedikt hinterlassen habe: der milde Umgang mit der Pius-Bruderschaft, die umstrittene Regensburger Rede mit dem islamkritischen Zitat, die Vatileaks-Affäre oder eine unzureichende Aufarbeitung der Missbrauchsskandale. Der Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück findet zumindest Benedikts Amtsverzicht "eine mutige und zugleich demütige Geste".

Neue Schwerpunkte

Während nicht wenige Ratzinger-Anhänger behaupten, Benedikt XVI. und Franziskus stünden sich theologisch so nahe, dass "kein Blatt Papier" zwischen sie passe, sieht es Kirchenhistoriker Wassilowsky anders: "Ich finde, Franziskus setzt auf intelligente Weise neue Schwerpunkte und pflegt einen neuen Stil, ohne Benedikt XVI. völlig zu desavouieren. Natürlich gibt es Leute, die die Bedeutung Benedikts hinüberretten wollen. Aber insgesamt geht doch ein großes Aufatmen durch die Kirche."