Warum Flüchtlinge nach Deutschland wollen

Von nachrichten.at/apa   20.September 2015

George Helaleh hat ein klares Ziel vor Augen. Deutschland. "Das Königreich der Ingenieure", sagt der 27-Jährige und grinst. George Helaleh kommt aus Syrien. Vor einer Woche ist er aus seiner Heimat geflohen. Nun sitzt er auf den Gleisen am Bahnhof in dem kroatischen Grenzort Tovarnik fest und wartet auf den Zug nach Ungarn.

Er könnte hier in Kroatien Asyl beantragen, in Österreich oder auch in Slowenien. Doch für ihn kommt nur Deutschland infrage. Damit ist er nicht allein.

Netzwerke spielen große Rolle

Hunderttausende Flüchtlinge wollen in der Bundesrepublik ein neues Leben beginnen. Warum ausgerechnet Deutschland? Laut einer Studie des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) von 2013 spielen vor allem Netzwerke die maßgebliche Rolle bei der Entscheidung für einen Zielort. "Die meisten Asylsuchenden gehen dorthin, wo bereits Kontakte und Anknüpfungspunkte bestehen", heißt es.

Die Flüchtlinge folgen ihren Verwandten und Bekannten in die Bundesrepublik. Der Iraner Ali Fakhrabati will nach Dortmund, weil sein Onkel dort als Friseur arbeitet. In Frankfurt lebt seine Tante. Der 23-jährige ist Jazz-Musiker, will in Deutschland in einem Orchester spielen. "Guten Morgen! Guten Tag! Moin Moin!", sagt er in gebrochenem Deutsch.

Die besondere Anziehungskraft Deutschlands rührt aber auch von den politischen Signalen her, die Berlin aussendet. Der Satz "Wir schaffen das" von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hallt in den Köpfen vieler Flüchtlinge nach. Bilder von euphorischen Helfern, von Willkommensschildern und der herzlichen Begrüßung zum Beispiel am Münchner Hauptbahnhof gingen um die Welt. Die Kernbotschaft: Sobald du in Deutschland bist, ist alles gut.

Vertrauen auf Mundpropaganda 

"Merkel ist sehr gut zu den Syrern", meint Hala Trabishi. "Sie sagt nicht nein, wie Großbritannien oder Frankreich." Die 40-Jährige ist mit ihren Kindern auf dem Weg nach Deutschland. Wenn sie Asyl beantragt hat, will sie ihren Mann nachholen.

Unter den Flüchtlingen gehen aber auch viele Gerüchte und Klischees um. Mundpropaganda beherrscht ihre Reise. "Finnland ist besser für Iraker als die anderen Länder", sagt zum Beispiel Mohammed Khasir an der kroatisch-slowenischen Grenze. Das habe man ihm erzählt. Nura Radhi will hingegen nach Norwegen. "Das ist gut für Leute aus Syrien", glaubt die 28-jährige Syrerin. "Da gibt es Unterkunft, Wasser und Essen." Auch Informationen, die über Schleuser transportiert werden, können laut BAMF verzerrt sein.

Viele reden über Deutschland wie das gelobte Land. Die Bundesrepublik gilt als weltoffen, verspricht ein gutes Bildungssystem, medizinische Versorgung, Religionsfreiheit. "Ich bin Christ, deshalb will ich nach Deutschland", sagt Mihat Mohammadi und hält das silberne Kruzifix an seiner Kette hoch. Er kommt aus Kabul. Seine Eltern wurden von den Taliban getötet, er selbst misshandelt. Der 24-Jährige will in Deutschland in die Kirche gehen, ohne Angst haben zu müssen. "Ich habe keine Freiheit im Islam."

Wirtschaftskraft als Anziehungspunkt

Auch die Wirtschaftskraft zieht die Menschen in die Bundesrepublik. Die Flüchtlinge versprechen sich Jobs in der neuen Heimat. George Helaleh hat in Syrien Maschinenbau studiert. Er will einen Abschluss in Deutschland machen. "Erneuerbare Energien in München sind sehr interessant", sagt er. Einen Deutsch-Kurs hat er bereits in Syrien besucht. "Ich habe B1", sagt er stolz.

Geld führt kaum ein Flüchtling als Grund an. Das Konzept des Wohlfahrtsstaats ist den meisten fremd. Asylpolitik und flüchtlingspolitische Regelungen wie Schutzquoten und Versorgungsleistungen beeinflussten die Entscheidung nur eingeschränkt, berichtet auch das BAMF.

So mancher Asylsuchende fühlt sich hingegen gar klassischen deutschen Tugenden verbunden, wie Ordnung und Pünktlichkeit. "Die Leute in Deutschland denken wie wir", findet George Helaleh. Der 27-Jährige hebt ein Stück Plastikfolie vom Bahngleis auf und wedelt damit herum. "Müll kannst du in den großen Städten in Deutschland nicht finden."