Ungarn nimmt keine Flüchtlinge aus anderen EU-Staaten mehr zurück

Von nachrichten.at/apa   23.Juni 2015

Ungarn hat ein EU-Asylabkommen einseitig suspendiert und will nun keine weiteren Asylwerber aus anderen EU-Staaten zurücknehmen. "Wir müssen die ungarischen Interessen wahren und unser Bevölkerung schützen", sagte Regierungssprecher Zoltan Kovacs am Dienstag in Wien. Österreichs Behörden reagierten frostig, die EU fordert nun Aufklärung.

Wien/Budapest. Die Dublin-III-Verordnung der EU sieht eine Aufnahme von Asylwerbern im ersten EU-Land vor, in das sie einreisen. Staaten an der EU-Außengrenze wie Bulgarien und Griechenland klagen über den großen Aufwand für die Versorgung von Neuankömmlingen - viele Flüchtlinge reisen jedoch weiter und bemühen sich um Aufnahme in reicheren Staaten wie Österreich, Deutschland oder Schweden.

Diese dürfen nach der bisherigen Regelung Asylbewerber in den ersten Staat der Einreise, etwa Ungarn, zurückschicken. Österreich kann nun keine am Landweg über Ungarn eingereisten Personen mehr dorthin zurück abschieben.

"Das Boot ist voll"

Die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban will auf unbestimmte Zeit keine Schutzsuchenden zurücknehmen, auch nicht aus Bürgerkriegsstaaten wie Syrien oder dem Irak. Ungarn habe Kapazitäten für 2.500 Flüchtlinge und schon 3.000 untergebracht. "Das Boot ist voll", erklärte Regierungssprecher Kovacs in Wien. Alle Abschiebungen nach Ungarn müssten abgesagt werden.

Nach ungarischen Angaben sind seit Beginn des heurigen Jahres mehr als 60.000 Menschen illegal über die Grenze zu Serbien nach Ungarn eingereist. "Ungarn hat seine zur Verfügung stehenden Ressourcen erschöpft", heißt es in einer Stellungnahme der Regierung in Budapest. Dies habe es notwendig gemacht, "vor einer EU-Entscheidung Schritte zu setzen".

Die EU-Kommission bezeichnete den Schritt Ungarns zur Aussetzung der Dublin-Regeln als "nicht vorgesehen". Eine Sprecherin der Kommission sagte am Dienstagabend in Brüssel, die Regierung in Budapest habe erklärt, sie habe das Dublin-III-Abkommens aus "technischen Gründen" ausgesetzt. "Die Kommission hat Ungarn zu einer umgehenden Klarstellung über die Art und das Ausmaß des technischen Fehlers aufgefordert", fügte sie hinzu.

In Wien reagiert man wenig erfreut. Die Regierung sei zunächst am Dienstagvormittag auf Beamtenebene wie elf andere Länder auch von Budapest über die Entscheidung, Dublin aus "technischen Gründen" zu suspendieren, informiert worden, hieß es. Der ungarische Botschafter wurde daraufhin ins Außenministerium zitiert.

Das Innenministerium reagierte empört. Ministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) betonte: "Wer weiterhin ein Europa ohne Grenzen haben will, muss die Schengen-Regeln einhalten. Das heißt natürlich auch an der Dublin-Regel festzuhalten." Österreich sei bereit, Ungarn in dieser schwierigen Situation zu helfen: "Wir unterstützen Ungarn dabei auch mit 40 Polizisten an der ungarisch-serbischen Grenze. Klar ist jedoch, dass so eine Hilfe keine Einbahnregel sein kann", so die Innenministerin.

Mikl-Leitner hatte zuletzt angekündigt, in Österreich laufende Asylverfahren derzeit nicht zu behandeln und auch den Nachzug von Familienangehörigen damit zu stoppen.

Der FPÖ-Landesparteichef Manfred Haimbuchner forderte indes ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Die könne die "einzig richtige Antwort" auf den ungarischen Schritt sein, so der Landesrat in einer Aussendung.

Stichwort Dublin-Abkommen

Das Dublin-Abkommen regelt, dass Verfahren für Flüchtlinge in jenem Land vorzunehmen sind, über das sie in das Gebiet der Europäischen Union gelangt sind. Gibt also beispielsweise ein in Österreich aufgegriffener Asylwerber an, über Ungarn ins Land gekommen zu sein, kann er von den österreichischen Behörden in den Nachstaat überstellt werden, da dieses für das Verfahren laut EU-Regel zuständig ist.