Missbrauch: Klage gegen ehemaligen Stiftspater

Von nachrichten.at/apa   09.April 2013

Drei Jahre nach Bekanntwerden der Übergriffe landet der Fall vor Gericht. Dem ehemaligen Internatsdirektor drohen im Falle einer Verurteilung zwischen fünf und 15 Jahre Haft.

Auch Vorwurf des verbotenen Waffenbesitzes

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Ex-Geistlichen auch fahrlässigen Besitz einer verbotenen Waffe, nämlich einer Pumpgun, vor. Die OÖNachrichten  berichteten über den Waffenbesitz exklusiv  im September 2010 und brachten damit weitere Details ins Rollen. Einzelne Sachverhalte, die im Abschlussbericht des Landeskriminalamtes enthalten gewesen seien, kommen nicht zur Anklage, weil sie verjährt seien oder sich kein ausreichender Tatverdacht ergeben habe, so die Staatsanwaltschaft. Die Anklage ist noch nicht rechtskräftig, der Beschuldigte kann sie binnen 14 Tagen beeinspruchen.

Der Linzer Anwalt Oliver Plöckinger vertritt den ehemaligen Pater des Stiftes. Er will jetzt das weitere Vorgehen prüfen. Zwei Wochen hat er Zeit, Einspruch zu erheben. Es geht um juristisch knifflige Fragen in Bezug auf die Verjährung. Die Anklage gegen den ehemaligen Pater enthält unter anderem Waffenbesitz. Die Pumpgun, so sein Anwalt, sei aber bereits vor ein paar Jahren zurückgegeben worden. „Jetzt ist die Frage, ob dieses Delikt herangezogen werden kann.“ Die Staatsanwaltschaft, sagt Plöckinger im Gespräch mit den OÖNachrichten, hänge die Verjährung an zwei Dingen auf – an einem Opfer mit Dauerfolgen und eben diesem Waffenbesitz. „Wenn die Opfergeschichte fällt und die Pumpgun, dann ist alles verjährt“, erklärt der Jurist. Für die Staatsanwaltschaft findet er allerdings nur lobende Worte: „Kompliment, wie sie das gemacht haben. Als Strafverteidiger wünscht man sich so eine Anklageschrift nicht.“

Bürgermeister: "Bin froh, wenn es geklärt wird"

„Ich bin froh, wenn es geklärt wird“, reagiert der Kremsmünsterer Bürgermeister Gerhard Obernberger auf die Nachricht, dass gegen einen ehemaligen Pater des Stiftes Anklage unter anderem wegen schweren sexuellen Kindesmissbrauchs erhoben wird. Es sei für einen Ort und das Stift nicht angenehm, immer wieder negativ in den Schlagzeilen zu stehen. „Wenn die Anklage jetzt da ist, ist so weit erwiesen, dass es Vorfälle gegeben hat – das wird sich dann gerichtlich entscheiden“, so der VP-Politiker auf Anfrage der OÖNachrichten. Es sei gut, wenn es abgeschlossen werden könnte.

Bürgermeister Kremsmünster
Gerhard Obernberger, Bürgermeister von Kremsmünster

Bürgermeister Gerhard Obernberger

„Ich bin aber absolut überzeugt, dass es heute anders ausschaut. Nachdem meine beiden Söhne das Gymnasium besucht haben und ich selbst auch nur positive Erfahrungen habe, glaube ich, dass das wirklich etwas ist, was vor Jahren und Jahrzehnten war“, sagt Obernberger.

Reaktion eines betroffenen ehemaligen Schülers

„Es ist natürlich positiv zu sehen, dass es nach sehr langer Zeit doch zu einer Anklage kommt. Aber was wichtig ist: dass dort nicht nur ein einzelner vor Gericht steht, mit dem das Stift ja nichts mehr zu tun haben will, sondern das ganze System Kremsmünster. Denn im Gegensatz dazu, was immer behauptet wird, war das kein Einzeltäter. Das waren viele. Das wurde erst ermöglicht durch ein System aus Schweigen, Wegschauen und Vertuschen. Aber bei anderen wurden die strafrechtlichen Ermittlungen eingestellt wegen Verjährung. Jeder von uns will abschließen. Aber solange man immer behandelt wird wie jemand, der sich was zusammenreimt, solange es dieses Mauern gibt, geht das nicht. Man versucht immer, die Betroffenen ins Eck der Unglaubwürdigkeit zu stellen.

Was wir uns alle wünschen würden: dass der Abt hingeht und sagt 'Es tut uns leid, wir haben das zu verantworten, weil wir weggeschaut haben' – wenn das passieren würde, würden viele von uns besser schlafen.

Es geht von uns niemand ernsthaft aus davon, dass der Hauptbeschuldigte einen einzigen Tag ins Gefängnis kommt. Der ist alt, die Verteidigung wird auf Zeit spielen… Aber es geht für uns nicht so sehr darum, dass er hinter Gittern verschwindet. Es geht uns darum, dass endlich das System abgestraft und aufgedeckt wird.“

Diözese begrüßt Aufarbeitung durch Gerichte

Es sei im Sinne der Vorgaben der katholischen Kirche und der Diözese Linz, dass in dem Missbrauchsfall nun die staatliche Gerichtsbarkeit zum Tragen komme, reagierte der Linzer Generalvikar Severin Lederhilger auf die Nachricht von der Anklageerhebung. Die Kommission gegen Missbrauch und Gewalt habe alle Fälle an die staatlichen Stellen gemeldet und werde das gegebenenfalls auch weiterhin tun.

Angeklagter Missbrauch nur Spitze des Eisbergs

Bei den Taten, die die Staatsanwaltschaft dem ehemaligen Pater zur Last legt, dürfte es sich in der Geschichte aber nur um die Spitze des Eisbergs handeln, auch wenn aus Gründen der Verjährung kaum weitere juristische Konsequenzen zu erwarten sind. Die Missbrauchsfälle reichen Jahrzehnte zurück. Dokumentiert sind zumindest vier Fälle aus den 1950er-Jahren, die drei bereits verstorbenen Patres zugeschrieben werden. Der Großteil der Übergriffe dürfte in den 1970er- bis 1990er-Jahren passiert sein. Damals war der nun angeklagte Ex-Geistliche Internatsleiter.

Nach dem im Jahr 2010 öffentlich gewordenen Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche hatten sich in Österreich mehr als 1000 Opfer gemeldet. Die meisten angezeigten Fälle waren verjährt, nur dieser besonders schwere Fall kommt zur Anklage.

Im März 2010 gab es eine anonyme Anzeige bei der Polizei. Von ehemaligen Zöglingen und Missbrauchsopfern kommt oft der Vorwurf, das Verfahren werde verschleppt. Der Leiter der Staatsanwaltschaft Steyr, Guido Mairunteregg, wies das Anfang April zurück: Es sei schwierig gewesen, alle Betroffenen, die weit verstreut seien, ausfindig zu machen, und es seien Gutachten nötig gewesen. Zudem sei der Fall nicht nur wegen der Dauer, sondern vor allem wegen der medialen Brisanz berichtspflichtig gewesen.

Betroffene sind allerdings der Ansicht, dass schon wesentlich früher, nämlich 2008, zu wenig passiert sei. Damals wurde nämlich bereits ein Verfahren gegen den heute 79-Jährigen wegen Verjährung eingestellt. Die Behörden hätten untersuchen müssen, ob es möglicherweise andere Opfer gab, so die Kritik. Angesichts des Vorwurfs des sexuellen Missbrauchs in einem Internat wäre das naheliegend gewesen. Mairunteregg verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass das ein sogenannter Erkundungsbeweis gewesen wäre. "Und der ist nicht erlaubt."

Direktor Wolfgang Leberbauer: "Gerüchte hat es immer gegeben"

Dass es zur Anklage kommt, überrascht den heutigen Direktor des Stiftsgymnasiums, selbst einst Schüler in Kremsmünster, nicht:

„Die Anklage war zu erwarten und ist richtig. Die Gerichte werden es jetzt behandeln und es wird zum richtigen Ende kommen. Es ist gut, wenn man abschließen kann. Das System in der Schule ist jetzt schon lange ein anderes. Es hat sich sehr, sehr viel geändert. Auch das Kollegium ist jetzt völlig durchmischt und es ist eine jüngere Generation von Patres. Ich war selber auch Schüler da, hab schöne und gute Erfahrungen gemacht. Ich erinnere mich gern. Dann tut so etwas natürlich weh. Es hat immer die Witze und Gerüchte gegeben. Das war aber natürlich eine Zeit, wo es ein bissl im Tabubereich war. Man hatte dafür keine Sprache. Aber erlebt in dem Sinn oder dass mir was aufgefallen wär – nein. Zum Prozess werde ich glaub’ ich nicht gehen. Ich habe das Vertrauen, dass es gut ablauft und dann Ruhe einkehrt. Als die Anschuldigungen kamen, waren unsere Schüler natürlich schon betroffen. Aber wir haben dann auch mit den Eltern gesprochen – das ist an sich heute kein Thema mehr.“