Germanwings: Opfer-Anwalt fordert Konsequenzen

Von nachrichten.at/apa   24.März 2016

Das Arztgeheimnis müsse "in sehr sensiblen Bereichen" wie etwa in der Luftfahrt gelockert werden, sagte Giemulla Donnerstag früh im Deutschlandfunk.

Dies dürfe allerdings nicht zu dem Preis geschehen, dass die Betroffenen nicht mehr zum Arzt gingen und dadurch keine Heilungschance hätten. Piloten mit psychischen Problemen müsse garantiert werden, dass sie einen anderen, gleich bezahlten Job im Unternehmen bekämen, forderte der Anwalt, der an der Technischen Universität Berlin Luftrecht lehrt. Dadurch solle sichergestellt werden, "dass sie nicht in ein soziales Loch hineinfallen".

Am 24. März 2015 hatte der deutsche Copilot Andreas Lubitz eine Germanwings-Maschine über den französischen Alpen absichtlich zum Absturz gebracht. Alle 150 Menschen an Bord starben. Der 27-jährige Lubitz hatte offenbar jahrelang unter Depressionen gelitten und deswegen auch Ärzte aufgesucht.

Auf dem Flug von Barcelona nach Düsseldorf hatte Lubitz die Tür abgesperrt, nachdem der Flugkapitän das Cockpit verlassen hatte - dieser hatte keine Möglichkeit mehr, die Tür von außen zu öffnen. Daher wurde als Konsequenz die Regel eingeführt, dass immer zwei Menschen gleichzeitig im Cockpit sein müssen.

Giemulla sagte dazu im Deutschlandfunk, er könne sich nicht vorstellen, dass diese Regel immer eingehalten werde. Schließlich sei die Organisation von Flügen "mittlerweile so eng gestrickt", dass die Piloten oft erst Gelegenheit zu einem Toilettengang hätten, wenn die Maschine nach dem Start ihre Flughöhe erreicht habe. Zu diesem Zeitpunkt sei aber die Kabinenbesatzung mit der Ausgabe von Speisen und Getränken "hoch beschäftigt".

Einen zum Suizid entschlossenen Piloten könne die Regel ohnehin nicht abhalten. "Denn wenn er zu allem entschlossen ist, würde er auch die Stewardess ausschalten", führte Giemulla aus. Die Regel sei eher für jemanden gedacht, der "auf der Kippe ist".

Giemulla sieht die Zweier-Regel aber auch aus grundsätzlichen Erwägungen kritisch - "und zwar deswegen, weil sie das Grundprinzip der Luftfahrt, und das ist das Vertrauen, stört beziehungsweise aus den Angeln hebt." Wenn selbst der Arbeitgeber seinen Piloten nicht mehr vertraue, "dann könnte das ganze sehr sensible Räderwerk der Luftfahrt erodieren", warnte der Luftfahrt-Experte.

Giemulla bekräftigte, dass er im Namen von Opferangehörigen in den USA höhere Entschädigungszahlungen des Germanwings-Mutterkonzerns Lufthansa erstreiten möchte. Lufthansa habe sich bei den finanziellen Ausgleichszahlungen "ganz korrekt verhalten nach deutschem Recht". Es gehe aber nicht nur um Beerdigungskosten, sondern darum, "dass Familien zerstört worden sind".

Hierfür sieht das deutsche Recht laut Giemulla keine einzige Entschädigung vor. Lufthansa habe "10.000 Euro angeboten und sich dann noch als großzügig empfunden". "Das halten wir nicht für eine angemessene Reaktion auf eine Katastrophe dieser Dimension", sagte der Anwalt. Das Unternehmen könne sich "in solchen Situationen nicht nur nach den Buchstaben des Rechts richten, und da glauben wir, dass wir in Amerika besseres Gehör finden."

Zum ersten Jahrestag des Absturzes findet am Donnerstagvormittag in Le Vernet in den französischen Alpen eine Trauerzeremonie mit mehr als 600 Angehörigen statt. Im nordrhein-westfälischen Haltern am See, woher 16 Schüler und zwei Lehrer an Bord der Germanwings-Maschine stammten, findet eine Schweigeminute statt.