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Der wahrscheinlich schönste Berg des Bundeslandes

Von Gabriel Egger   03.Juni 2017

Was Sie hier erwartet: 

  • Tot, aber lebendig: Wenn die Sonne am Morgen den Gipfel küsst, und er sich abends unter eine dicke Wolkendecke kuschelt, weiß man, dass Namen keine Berge machen. Die Geschichte eines lebenden Toten. Und: Drei Klettersteige im Überblick.
  • Zu Hause am Priel: Vom Alltag loszulassen, gehört für Harry Höll zum Alltag. Der Obertrauner lebt seit zehn Jahren als Hüttenwirt unter dem Schutz des Priels. Wir haben ihn besucht. 
  • Von Priel zu Priel: Ein Grat, der zwei Brüder verbindet. Hätte Hinterstoder einen König, es wäre seine Disziplin. Gabriel Egger unterwegs vom Kleinen Priel zum Großen Priel.
Großer Priel
Wenn die Wolken aufreißen, fühlt man sich auf dem Grat zum Priel wie auf einer Himmelsleiter.  

Tot, aber lebendig

Tot, aber lebendig

Wenn die Sonne am Morgen den Gipfel küsst, und er sich abends unter eine dicke Wolkendecke kuschelt, weiß man, dass Namen keine Berge machen. Die Geschichte eines lebenden Toten.

Die Nachricht erreichte ihn kurz vor seinem 21. Geburtstag. Ein schöner, stabiler Tag im August 1817. Nicht zu heiß, kaum Wind, klare Sicht. Ferdinand Ridler, ein junger Förster aus Spital am Pyhrn, hatte den Großen Priel bereits von allen Seiten gesehen. Die weiß leuchtende Nordwand, die felsdurchzogene Südflanke und die sanften Schutthänge im Osten und Westen. Jetzt soll er das tun, worüber nur die wildesten Geschichten berichten: den Gipfel erreichen.

Der Adelige Sigmund Graf von Engel wollte es wagen. Doch alleine die Felsstufen empor klettern? Nein, dann doch lieber mit Hilfe. Ferdinand und seine Brüder Engelbert, Hans und Anton übernahmen die Führung. Ab dem 29. August 1817 galt der Große Priel – mit seinen 2515 Metern höchster Berg des Toten Gebirges – als be-stiegen. Bereits im Jahr 1870 bekam er sein acht Meter hohes Kreuz aus Eisen, dessen Nachbildung auch heute noch bis weit ins Alpenvorland leuchtet.

tot, aber lebendig
Der Große Priel im August 1817

 

200 Jahre nach den tapferen Ridler-Brüdern hat der Berg nichts von seiner Faszination verloren. 800 Meter über dem charismatischen Gebirgsdorf Hinterstoder tauchen Wanderer aus aller Welt in das Flair der Ostalpen ein, das an manchen Tagen durchaus westlicher wirkt, als man glauben mag.

Das Licht bricht durch den Wald, durch den der Weg verläuft, und lässt die Blätter in den schönsten Farben glänzen. Zwischen dem Blattwerk lugt der selten erstiegene Ostrawitz hervor, in der Luft liegt hölzerner Duft. Man möge meinen, die Brüder Grimm haben sich zu Lebzeiten hier niedergelassen, so verträumt wirkt die Märchenwiese, die, auf 1190 Meter gelegen, neben dem Loslassen vom alltäglichen Treiben auch zu einem ersten Blick in die gewaltige Ostwand der Spitzmauer animiert. Nur wenige Meter sind es von hier bis zum Prielschutzhaus. Kurze Pause. Kühkar. Brotfallscharte. Grat. Es ist besser, die verbleibenden drei Stunden in Abschnitte einzuteilen, bis endlich das knallrote Kreuz auftaucht. Schweiß gehört zur Südseite des Priels genauso dazu wie die Kopfbedeckung.

Im Schatten des Großen Priels

Da hat das Almtal gut lachen. Obwohl der Name anderes vermuten lässt, müssen sich Bergsteiger in der hinteren Hetzau nicht sputen. Vom Almtalerhaus sind es oft schattige fünf Stunden zu jenem Punkt, an dem Ferdinand Ridler Stoderer Geschichte schrieb. Ein hausgemachter Kuchen auf der Terrasse der Welser Hütte, umrahmt von den wuchtigen Zweitausendern des Toten Gebirges. Kurze Pause. Hans-Bauer-Band. Fleischbanksattel. Grat. Auch hier lässt sich der Trick mit den Abschnitten anwenden.
Der Norden ist nur wegen des Lichts die Schattenseite des Großen Priels. Gämsen jagen durchs Geröll, pfeifen aufgeregt und klettern über die Bänder des Kreuz’. Der Hausberg der Welserhütte, dessen Name Verwirrung stiftet. "Ich war am Kreuz." "Auf welchem?"

Ein Kreuz ist es dort auch mit dem Sommer. Zur Sonnenwende braucht man oft nur die Tüte mitzubringen, das Eis liegt schon bereit. Ist der Schnee des Winters aber dann vollständig geschmolzen, offenbart die Almtaler Seite ihre wunderbaren Geheimnisse. Die Teicheln: Wasser, dort wo keines fließen kann. Der Nordwestgrat: Klettern, dort wo es auf den ersten Blick unmöglich scheint. Abendsonne: warmes Licht, dort wo es unter die Haut geht. Das unendlich wirkende Karstplateau: dort, wo der Petergstamm nicht wachsen dürfte. Nein, das Tote Gebirge ist nicht tot, es lebt.

 

Klettersteigrunde: Eine Mammutaufgabe

 

  1. Bert-Rinesch-Klettersteig


    Dass im Toten Gebirge drei Klettersteige zur "Mammutrunde" zusammengefasst wurden, liegt nicht nur am Sponsor mit dem weißen Stoßzahn. Alle stellen die Begeher vor schwierige Aufgaben. Der Bert-Rinesch-Steig auf den Großen Priel ist lange, kräfteraubend, überhängend und mit der Schwierigkeit D bewertet. Eine Stunde entfernt vom Prielschutzhaus führt er durch die Nordostwand direkt auf den Gipfel.
  2. Tassilo-Klettersteig


    Auf der Grünauer Seite führt der Tassilo-Klettersteig durch die Ostseite des 2396 Meter hohen Schermbergs. Eine Mischung aus kurzen, doch sehr kräftigen Vertikalpassagen und einfachen Steigabschnitten bringt Begeher zum Almtaler Köpfl. Von dort sind es nur noch wenige Höhenmeter, bis der Blick auf das Karstplateau frei wird. Mit Schwierigkeit C ist der Steig auch für sehr konditionsstarke Anfänger geeignet.
  3. Stodertaler-Klettersteig


    Ob man die Spitzmauer wegen ihrer einzigartigen Form wirklich als Matterhorn der Ostalpen bezeichnen kann, sei dahingestellt. Die Prinzessin des Toten Gebirges ist sie auf jeden Fall. Ein einfacher, aber sehr ausgesetzter Steig führt durch einen Teil ihrer mächtigen Nordwand. Beinahe durchgehend in der Schwierigkeit B lässt der Begeher die Klinserschlucht Hunderte Meter unter sich. Helm und Klettersteigset sind dennoch obligat.

 

Zu Hause am Priel

Prielschutzhaus 1: Harry Hölls Anschrift ändert sich von Ende Mai bis Ende Oktober.  

Zu Hause am Priel

Vom Alltag loszulassen, gehört für Harry Höll zum Alltag. Der Obertrauner lebt seit zehn Jahren als Hüttenwirt unter dem Schutz des Priels. Gabriel Egger hat ihn besucht.

Früher, da zitterten sich Harrys Gäste noch auf den Gipfel. Im Eissturm auf dem höchsten Berg Südamerikas zum Beispiel. In Nordamerika hat er sie trotz arktischer Temperaturen auf den Mount McKinley geführt. Und auf dem Dachstein, da war der Obertrauner mit ihnen schon gefühlte fünftausendmal.

Das war alles, bevor er sein "Baby" bekam. Und damit sind nicht die kleine Viktoria oder der aufgeweckte Fabian gemeint, auf die Papa Harry besonders stolz ist. Auch nicht Herzensdame Roswitha. Es ist kein Baby aus Fleisch und Blut. Eher aus Holz und Blech. Seit zehn Jahren bewirtschaftet der 42-Jährige das Prielschutzhaus in 1420 Meter Seehöhe im Toten Gebirge – nach 16 Jahren als hauptberuflicher Bergführer.

Vom Bergführer zum Meteorologen

Weil er nicht mehr aus dem Rucksack leben wollte, hat Höll eine neue Herausforderung gesucht. Aus einem Job wurden viele. "Ich bin da heroben auch Techniker, Elektriker, Holzknecht und Meteorologe", erzählt er. Es kann vorkommen, dass Höll bereits im April Auskunft über das Wetter im Juni geben soll. "Einer hat auf der Hütte angerufen und gefragt, ob es in zwei Monaten regnet. Ich muss es ja wissen, ich bin immer heroben", erinnert sich Höll an das lustige Gespräch. Reden, das sei eine seiner Hauptaufgaben. "Ich mach das gerne und hör auch zu, wenn es mal länger dauert. Die Gäste sollen ja einen Spaß haben." Ein Spaß ist die Arbeit auf dem Prielschutzhaus nicht immer. Wenn in der Hauptsaison von Ende Mai bis Ende Oktober Wanderer, Kletterer und Familien die 150 Schlafplätze auffüllen, haben Höll und sein Team alle Hände voll zu tun.

"80 Schweinsbraten inklusive Getränke in 13 Minuten sind der Schutzhaus-Rekord", erinnert sich Koch Thomas an den Tag, an dem mehr als 1000 Essen serviert wurden. Um die Nachspeisen könnte es dann schon zu einem Gerangel kommen. Weil die Mehlspeisen von Küchenfee Gabi so beliebt sind, werden sie oft schon vom Gipfel des Großen Priel bestellt. "Vor allem die Kardinalschnitten sind ein Renner", sagt Höll.

Priel
Harrys Home: Das Prielschutzhaus  

Im Schnitt nutzen in der Saison knapp 5000 Bergsportler die Zimmer- und Lagerplätze. Die hütteneigene Materialseilbahn bringt nicht nur zwei Mal in der Woche frische Verpflegung, sondern auch bei Bedarf die Rucksäcke der Wanderer zum Ausgangspunkt für zahlreiche Touren. Viele der Gäste kommen mehrmals im Monat. Bis zu 80 Mal in der Saison darf Höll sie begrüßen. Die Begegnungen sind es, die den Obertrauner ans Tote Gebirge gefesselt haben. Wie jene mit einem vierjährigen Mädchen bei der vergangenen Sonnwendfeier.

"Die kommt da herauf ohne Schnaufen und setzt sich nach zweieinhalb Stunden auf die Terrasse." Das ist die durchschnittliche Gehzeit eines Erwachsenen. Die Knochenarbeit, die hinter dem Hüttenbetrieb steckt, sehen die Gäste nicht. "Kläranlage, Photovoltaik, Buchhaltung. Da gibt es eine Menge", sagt Höll. Und wenn Zeit bleibt, packt der Hüttenwirt Klettergurt und Bohrmaschine ein und steigert auch den vertikalen Genuss der Gäste.

"Komm, gehen wir zum Harry"

Das Zugpferd, der "Bert-Rinesch-Klettersteig" auf den Großen Priel wird dann auf Schäden inspiziert, hinter der Hütte hat Höll Übungsklettersteige eingerichtet. Wenn das Wetter einmal grantelt, bleibt Harry im Tal bei Frau und Kindern. Zu Hause ist er aber längst am Priel. "Ich brauch’ nur raus auf die Hüttenterrasse gehen und hab’ eine Freude im Gesicht", sagt Höll. Wie vor fünf Jahren, als Peter Habeler seinen 70. Geburtstag auf der Hütte gefeiert hat. "Die Gschichtln, die du da hörst, sind unvergleichlich."

Das Prielschutzhaus gehört längst zu den meistbesuchten Hütten Oberösterreichs. Wenn sich Wanderer darüber unterhalten, fällt der Name aber nur selten. Da heißt es dann nur: "Komm, gehen wir zum Harry."

 

So schmecken die Berge: Fünf Gänge am Priel

Tafelspitz und Lachsforelle mit Blick auf die Spitzmauer, Erdbeerparfait, wenn die Sonne hinter dem Priel verschwindet. Und das alles noch direkt aus der Region. Am 10. Juni kocht Leo Geiblinger mit Küchenchef Thomas auf dem Prielschutzhaus groß auf. Ein 5-Gänge-Menü mit anschließender Weinverkostung erwartet die Besucher. Anmeldungen sind noch unter prielschutzhaus@gmx.at möglich.

 

Von Priel zu Priel

Von Priel zu Priel

Von Priel zu Priel

Ein Grat, der zwei Brüder verbindet. Hätte Hinterstoder einen König, es wäre seine Disziplin. Gabriel Egger unterwegs vom Kleinen Priel zum Großen Priel

Vier Stunden, um sich aufzuwärmen. Der Schweiß braucht nur vier Minuten, um von der Stirn zu perlen. Endlos steile Wiesenhänge, trockene Luft. Es braucht einen Plan, um durch die Prielerplan zu kommen. Nach sieben Kilometern und 1600 Höhenmetern beginnt die Tour. Dort, wo ein zierliches Kreuz den Gipfel des Kleinen Priels schmückt. Fast bescheiden, für diese grandiose Aussicht, 2136 Meter über den Dingen. „Und da sollen wir rüber?“

Die Frage, die sich stellt, wenn die müden Augen den scharfen Grat mustern. Es ist die Königsdisziplin im Stodertal. Berüchtigt, begehrt, lang und gefährlich. 3000 Höhenmeter, 30 Kilometer. Zahlen, die den Respekt einflößen, den man braucht, um die fünf folgenden Gipfel zu erreichen.

Messerscharf und butterweich

Sanfte Wegspuren führen hinab in die Scharte. Von einer Felsstufe baumelt ein Seil. Wenn man es genauer betrachtet, weiß man, dass es das schon eine ganze Weile lang tut. Also besser nicht festhalten. Ein Stahlseil in einem engen Kamin hilft über die schwierige Stelle. Puh, und das ist erst der Anfang. Platten, Grate, knackige Kletterstellen bis zum dritten Schwierigkeitsgrad. Blumen, Wiesen, Entschleunigung. Gegensätze, die sich anziehen. Kein Schritt darf daneben gehen. Der Schwarzkogel zieht vorbei, der Blick hat sich bereits die nächste Mauer geangelt. Im langen Prielkamm ist die Angelmauer gar nicht auszumachen, so versteckt liegt ihr 2102 Meter hoher Gipfel. Trinkpause. Zeit, um zu überlegen, wo der Schlafsack endlich aus dem schweren Rucksack darf. Ohne ein Biwak wird die Überschreitung zur Tort(o)ur.

Hier darf kein Schritt daneben gehen. 

Nach dem Teufel kommt die Kirche

Süßigkeiten warten in der Krapfenscharte nicht, nur ein endloser Haufen Geröll. Langsam absteigen, immer auf der Südseite des Grates, mit der Abendsonne im Gesicht. Am tiefsten Punkt, 1905 Meter, lässt es sich gut schlummern. Geträumt wird in diesem Ambiente ganz von selbst. Sterne funkeln, der Mond hält seine Wacht.

Wenn die ersten Strahlen die Gipfel küssen, ist am Grat der Teufel los. Die Schlüsselstelle auf die Teufelsmauer fordert Ruhe und Konzentration. Die Finger ganz fest in die Felsrinne klammern, hochziehen, den richtigen Tritt finden und über beide Ohren strahlen. Wieder einer weniger. Flotten Schrittes geht es zur Kirtagmauer. Kein Bier, kein Karussell, nur saftige Wiesen. Die Ruhe vor dem Sturm auf die Nordwand.

Priel
Die Finger ganz fest in die Felsrinne klammern, hochziehen, den richtigen Tritt finden und über beide Ohren strahlen  

Der Große Priel scheint zum Greifen nahe. Griffe sind es aber noch einige, hinauf durch die leuchtend weißen Felsen. Zuerst die Arzlochscharte queren. Warum die meisten Bergsteiger das Z im Gespräch gern gegen ein Sch tauschen, ist spätestens nach dem zweiten Stolperer über den brüchigen Fels kein Geheimnis mehr. Die unüberwindbar wirkende Wand verliert sich in Rinnen und Mulden. Orientierung bieten nur noch die Steinmänner, die Bergsteiger füreinander hinterlassen haben. Der zweite Schwierigkeitsgrad wird nicht mehr überschritten. Von hier ist das Gewusel auf dem breiten Gipfelgrat gut zu beobachten. Die Stimmen wirken laut, nach Stunden der absoluten Stille. Einmal noch über einen Felsblock herum, noch einmal hinabschauen in die Tiefe, ein letzter Rückblick auf die vergangenen Stunden. Dann ist es da, das große Kreuz des Großen Priels.

Der Berg wirft seinen langen Schatten auf den kleinen Bruder, als wolle er ihm etwas sagen. Von Priel zu Priel.

Priel
3000 Höhenmeter, 30 Kilometer. Zahlen, die den Respekt einflößen, den man braucht, um die fünf folgenden Gipfel zu erreichen.    
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20. April 2024