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100 Tage Trump, 100 Tage Ausnahmezustand

Von Thomas J. Spang   28.April 2017

  • Selten hat ein US-Präsident in seinen ersten 100 Tagen so viel Wirbel veranstaltet wie Donald Trump - doch gelungen ist ihm nicht viel.
  • Fehlschläge, Turbulenzen und Kehrtwenden prägten die Anfangsphase des 45. US-Präsidenten.

"Ich dachte, es wäre leichter"

"Ich dachte, es wäre leichter"

Donald Trump vermisst nach rund 100 Tagen als US-Präsident seinen alten Job. "Ich liebte mein früheres Leben", sagte der ehemalige Immobilien-Unternehmer, der auch eine eigene TV-Sendung "The Apprentice" hatte, am Donnerstag in einem Interview. "Ich habe so viele verschiedene Dinge gemacht." Er arbeite als Präsident mehr als früher. "Ich dachte, es wäre leichter", zog er Zwischenbilanz. 

Trump, der bereits über die Zeit vor seiner politischen Karriere gesagt hatte, kein Privatleben zu haben, zeigte sich überrascht, wie wenig privaten Spielraum das Amt an der Spitze der Supermacht USA lässt. Er müsse sich immer noch an seinen Personenschutz rund um die Uhr und andere Einschränkungen gewöhnen. "Du lebst wirklich in deinem eigenen, kleinen Kokon. Die Sicherheitsmaßnahmen sind so massiv, dass du wirklich nirgendwo hingehen kannst", sagt Trump.

Allerdings sind auch viele Dinge im Leben des 70-jährigen ehemaligen Geschäftsmanns, der im 26. Stock seines New Yorker Trump Towers in unermüdlichen Telefonaten sein Imperium leitete, gleich geblieben. Oft fährt der Präsident zu Treffen mit Freunden oder früheren Geschäftspartnern, um Rat zu suchen und um Kraft aus den Begegnungen zu schöpfen. Seine politischen Berater hätten gelernt, das zu akzeptieren.

Trumps Verhältnis zu dem Medien ist angespannt. Schon während des Wahlkampfes geriet er mit vielen Medien aneinander. Weil er sich ungerecht behandelt fühlt, sagte er seine Teilnahme am traditionellen Jahresessen der White-House-Korrespondenten diesen Samstag ab. "Aber ich würde nächstes Jahr kommen, absolut", sagt der Präsident. Jeff Mason, einer der drei Reuters-Interviewer, ist der Vorsitzende der White-House-Korrespondenten.

Timeline: Trumps 100-Tage-Bilanz

Reportage

Hoffnung in "Trump-Land" 

Unser Korrespondent Thomas J. Spang besuchte die Öl- und Agrar-Metropole Bakersfield im Herzen Kaliforniens. Statt auf Enttäuschung traf er auf anhaltende Begeisterung für Donald Trump und dessen "America-First"-Politik.

Javier Reyes (34) schwört darauf, nirgendwo gebe es besseres Barbecue als bei Salty's am Rosedale Highway in Bakersfield. Gewiss sei dies kein Lokal für die "veganen" Eliten aus Hollywood, versichert Javier, während er stolz seine rote "Make-America-Great-Again"-Kappe zurechtrückt. Um seine Besucher dann mit einem "Gentlemen, willkommen in Kern County, USA" zu begrüßen

Den bombastischen Empfang könnte der Strahlemann bei seinem Idol im Weißen Haus abgeschaut haben. Auch Donald Trump hat wenig für grüne Kost übrig. Noch weniger für grüne Politik. Und schon gar nichts für die Eliten an den Küsten Amerikas. 

Javier Reyes - Bakersfield
Javier Reyes (34)

In der Öl- und Agrar-Metropole am südlichen Ende des Central Valley von Kalifornien trifft der 45. US-Präsident damit einen Nerv. Trump holte in der 400.000 Einwohner-Stadt vergangenen November fast 55 Prozent der Stimmen. Und zog ins Weiße Haus ein. 

Kurz vor Ablauf der ersten hundert Tage im Amt, lässt sich in der Republikaner-Hochburg auch jetzt nicht viel von dem Umfragetief finden, das Demoskopen USA-weit festgestellt haben.

Javier hät den Medien vor, "immer noch nicht zu kapieren, was hart arbeitenden Menschen am Herzen liegt". Die seien es satt, von den Eliten in Washington ignoriert zu werden. Trump werde mit Mauerbau, Deportationen und Abbau der Bürokratie "endlich wieder Jobs schaffen".

Vor allem habe er mit seinen ersten Dekreten "den unsäglichen Umweltvorschriften den Kampf angesagt", die aus seiner Sicht für die Wirtschaftsprobleme seien. "Wir haben ständig Klimawandel", lacht der Büroangestellte, dessen Urgroßvater aus Mexiko in die USA kam, über Sorgen um die Erderwärmung. "Wir haben jeden Tag eine andere Temperatur. Die Frage ist bloß, ob Menschen dafür verantwortlich sind." 

Eine kurze Fahrt auf der "Panorama Road" heraus aus dem Tal auf ein Hochplateau reichte eigentlich schon, eine Antwort zu finden. Hier oben vernebelt selbst an wolkenfreien Tagen Smog den Blick auf das "Kern River Valley", wo hunderte Pumpjacks (dt. Pferdeköpfe) stoisch Öl aus dem Boden pumpen. 

Der amerikanische "Lungen-Verband" verlieh der Region Bakersfield 2016 den wenig schmeichelhaften Titel der Stadt mit der höchsten Luftverschmutzung. 

In "Trump-Land" werden solche Fakten als "Fake News" abgetan. Was für die Mehrheit zählt, ist die anhaltend hohe Arbeitslosenquote von über zehn Prozent, die das Ergebnis fallender Weltmarktpreise für Rohöl und einer sechsjährigen Dürre ist. 

Die Politologin Jeanine Kraybill (36) von der California State University in Bakersfield sieht zudem kulturelle Parallelen zu den Industrieregionen im Rostgürtel Amerikas und dem Süden der USA. "Die Kluft zwischen den Küsten und dem Innenren des Landes ist gewaltig". Diese drückt sich nicht nur in der Begeisterung für Waffen, County-Musik, Pick-Up-Trucks, Bibel und Barbecue aus, sondern auch in tiefer Verachtung für die traditionellen Eliten des Landes. 

Cathy Abernathy (62) gehörte bei den Vorwahlen zu dem Establishment, das sich mit dem Rechtspopulisten eher schwer tat. Die republikanische Strategin aus Bakersfield zählt heute zu den Gläubigen. Die ersten hundert Tage Trumps seien ein Erfolg gewesen. Er setze um, was er versprochen habe. Allen voran die Berufung des konservativen Richters Neil Gorsuch auf den vakanten Posten im Supreme Court. "Wir vertrauen Trump".     

Dass die Gerichte den Muslimen-Bann gestoppt, der Kongress die Abschaffung von Obamacare nicht geschafft und der Präsident wegen der Russland-Affäre unter Dauerbeschuss steht, quittieren seine Anhänger in "Trump-Land" mit Schulterzucken. Noch weniger scheren sie sich um die außenpolitischen Kehrtwenden in Syrien, bei der NATO oder anderen Themen, die von hier aus gesehen, weit weg sind.

Ein kniffliges Thema in Bakersfield bleibt der Umgang mit den Einwanderern, die ohne Papiere über die Grenze kamen, und zurzeit rund 60 Prozent der Feldarbeiter ausmachen. Trump unterzeichnete in der ersten Woche seiner Amtszeit einen Exekutivbefehl, der die oft über Jahrzehnte geduldeten Migranten über Nacht der Willkür der Einwanderungspolizei ICE aussetzt.   

In Bakersfield sorgt eine mögliche Abschiebe-Welle für große Unsicherheit bei Migranten und Farmern gleichermaßen. Ohne die Erntehelfer aus Mexiko, bleiben die Früchte auf den Feldern. Vielen Farmern droht das Aus.

Der Mann mit der roten "Make-America-Great-Again"-Mütze bei Salty's Barbecue behauptet, Trump wolle nur "Kriminelle" abschieben. Javier versichert, auch er persönlich sei nicht gegen Fremde. "Aber ich möchte Leute hier haben, die unser Land lieben." Dazu gehöre auch, in die Kirche gehen zu können, ohne Angst davor haben zu müssen "von radikalen islamischen Terroristen, erschossen zu werden". Willkommen in Kern County, USA.
 

Interview

"Da ist wenig normal gewesen"

Constanze Stelzenmüller ist Robert Bosch Senior Fellow bei der Denkfabrik Brookings Institution in Washington, DC. Die studierte Juristin und Politikwissenschaftlerin arbeitete zuvor beim German Marshall Fund of the United States und bei der Wochenzeitung "Die Zeit".  

  1. Verglichen mit anderen Präsidenten in der US-Geschichte - Wie normal waren diese ersten 100 Tage Donald Trumps?

    Constanze Stelzenmüller: 
    Da ist wenig normal gewesen. Das fing schon mit der Rede zur Amtseinführung am 20. Januar an, in der er das Land in düstersten Farben schilderte. Er sprach von einem "Massaker in Amerika", das nur er allein beenden könne. Da spätestens war klar, dass diese Präsidentschaft nicht so sein wird wie jede andere.
  2. Woran machen Sie das fest?  

    Noch kein Präsident hat so wie Trump die Grundlagen amerikanischer Politik in Frage gestellt. Er hat ausländische Regierungschefs, wie die deutsche Bundeskanzlerin, kritisiert. Er hat Amerikas Bündnisse und Handelsabkommen in Frage gestellt. Er hat gesagt, dass er die Vereinten Nationen für überflüssig und die EU für schädlich hält. Er hat amerikanische Verfassungsprinzipien in Zweifel gezogen, wie die Unabhängigkeit der Gerichte und die Wächterfunktion der Medien. Die Liste ließe sich verlängern.
  3. Aus Sicht Donald Trumps – womit kann er zufrieden sein?

    Er hat die Öffentlichkeit zuhause und im Ausland erfolgreich konditioniert, einfach dadurch, dass er andauernd Dinge sagt und tut, die bis dahin niemand für möglich gehalten hätte. Damit hat er Themen gesetzt und verändert, wie in Washington über Politik gesprochen wird. Durch den Verzicht auf die Neubesetzung von politischen Beamten hat er wichtige Ministerien nachhaltig geschwächt—und damit auch die Minister an deren Spitze.
  4. Präsident Trump hatte im Wahlkampf viele Versprechen gemacht. Was hat er davon gehalten, was nicht?

    Die erste Version des Einreisestops für Muslime wurde nach Intervention der Gerichte gestoppt. Auch die Gesundheitsreform ist im ersten Anlauf krachend gescheitert. Ohne sie können andere Vorhaben wie die Steuer-Reform oder das Infrastruktur-Paket nicht bezahlt werden.
  5. Was sagt das Scheitern der Gesundheitsreform über Trumps Verhältnis zu den Republikanern aus?

    Die Republikaner haben erstmals seit 1928 alle drei Gewalten—das Weiße Haus, den Kongress und mit Abstrichen auch das Verfassungsgericht—in der Kontrolle. Das gäbe ihnen die Möglichkeit, die amerikanische Politik grundlegend umzugestalten. Doch das Scheitern der Gesundheitsreform hat offenbart, dass die Partei innerlich tief zerstritten ist. Dem Weißen Haus ist es nicht gelungen, sie zu disziplinieren. 
  6. Trump hat selber aber auch keine klare Linie gezeigt?

    Trump hat im Gegensatz zu den meisten seiner Vorgängern keine ausgearbeiteten Strategien oder Pläne mit ins Amt gebracht. Er ist genau genommen nicht einmal ein traditioneller Konservativer. Aber er hat sehr wohl ein Koordinatensystem von Überzeugungen—wie etwa die, dass die Globalisierung Amerika nur geschadet hat. Vor allem hat er den Instinkt eines Hais für die Ängste normaler Menschen. Und er artikuliert sie in einer extrem vereinfachten Sprache. Das verschafft ihm eine enorme Resonanz. 
  7. Dass Amerika von seinen Freunden ausgebeutet werde, hat er ja auch im Zusammenhang mit den NATO-Beiträgen gesagt. Wie ernst muss man das nehmen?

    Sehr ernst. Trump sieht Amerikas Bündnisse—auch die NATO—nicht etwa als eine Allianz, die auf gemeinsamen Werten und Interessen gründet, sondern als Deals. Und er beharrt auf dem Recht, diese Deals neu zu verhandeln oder fallen zu lassen, wenn sie sich aus seiner Sicht ungünstig entwickeln.
  8. Grenzt Trumps Populismus an faschistisches Denken?

    Ich halte das für das falsche Etikett. Trump ist ein Populist mit einem ausgeprägtem Hang zu autoritären Herrschern. Einige seiner engsten Berater sind stramme Ethno-Nationalisten oder Handelskrieger. Letztlich sind sie nur das Symptom einer tieferliegenden Polarisierung und Überforderung der amerikanischen Politik. Hoffnung schöpfen kann man allerdings auch: die amerikanische Öffentlichkeit und die Gerichte haben in den ersten 100 Tagen entschlossen die repräsentative Demokratie verteidigt. 
  9. Was ist von Spekulationen über eine Amtsenthebung zu halten?

    Kein vernünftiger Beobachter würde die Möglichkeit eines solchen Verfahrens ausschließen. Aber die politischen und rechtlichen Hürden dafür sind sehr hoch. Noch ist das also alles Spekulation. 
  10. Wie gefährlich ist die Russland-Affäre für Trump?

    Sehr. Die Einmischung Russlands in die Wahlen und das Thema Korruption lassen ihn nicht los. Fast täglich scheint es neue Enthüllungen zu geben, und die Stimmung in Washington, auch und gerade bei den Republikanern, ist hochnervös.
  11. Trump hat auf den Einsatz von Chemiewaffen durch den syrischen Machthaber Assad mit Tomahawk-Raketen reagiert, eine riesige Bombe über Afghanistan abgeworfen, und Nordkorea mit militärischen Konsequenzen gedroht, wenn es sein Atomprogramm nicht einstellt. Was haben wir in den drei Monaten über Trumps Außen- und Sicherheitspolitik gelernt?

    Der Präsident läßt keine Gelegenheit aus zu sagen, dass er die Ehre der Supermacht USA und ihres Militärs wieder hergestellt habe. Gleichzeitig hat er aber bei wichtigen Themen den Ton gemildert oder ganz geändert: die NATO ist nicht mehr „obsolet“, die EU vielleicht doch eine gute Sache. Aber ohne eine Strategie kommt ein amerikanischer Präsident auf Dauer nicht aus.
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16. April 2024