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Einen Frühjahrsputz braucht auch die Seele?

Von Klaus Buttinger   06.April 2019

Frühjahrsputz und Fastenzeit fangen nicht zufällig mit dem gleichen Buchstaben an. Es sind zwei eng verwandte Begriffe von alters her. Denn das Frühjahr zog in der frühen landwirtschaftlichen Ära zwangsläufig das Fasten nach sich, weil schlicht die Wintervorräte zu Ende gingen.

Fasten ist für den Linzer Führungskräftecoach und Ratgeberautor August Höglinger ein Reinigungsprozess. „Der Körper braucht immer wieder einmal eine Reinigung“, sagt er, „und die Seele genauso“. Recht basal vergleicht er den Vorgang mit dem Stuhlgang: „Wenn der Körper das nicht regelmäßig hat, bekommt er Verstopfung, die Seele bekommt dann Schiss, sie hat Angst.“

Da kann etwas dran sein. Wer eine schlechte Nachricht erhält, dem entfährt der Volksmund, der dann sagt: „Oje, das muss ich erst einmal verdauen.“ Dazu kommt: „Wer ein offenes Herz hat, dem verdreckt es leichter“, sagt Höglinger. „Und der Mist muss dann auch wieder heraus.“

August Höglinger, Coach, Autor

Der Seelendreck wird meist verursacht von Zeitgenossen, die in der Ratgeberliteratur häufig als Zeitdiebe und Energievampire bezeichnet werden. „Es gibt Leute, die speiben einen voll, die kotzen alles heraus und schütten einem das Zeug ins Herz hinein“, sagt Höglinger in drastischer Formulierung. „Und dann geht man mit dem Zeug in der Gegend spazieren und muss es auch noch entsorgen.“

Wie geht das? Höglinger erzählt von einer Klosterschwester, die sich jeden Abend neben das Bett kniete und bete: „Herrgott, da hast Du den ganzen Mist, ich kann damit nichts anfangen.“ Das Schöne an diesem Prozess sei, so Höglinger: „Die geistige Welt ernährt sich von dem Mist und schickt stattdessen einen Segen zurück. Die Schwester schläft wie ein Engerl.“

Offen sein, ohne zu werten

Man muss nicht gleich mit religiösen Spitzeninstanzen reden, es reicht Kommunikation unter Menschen, um eine geistige Entrümpelung voranzutreiben. Insbesondere ein Gespräch mit jemandem, „der ein offenes Herz hat und nicht wertet. Dann ist jedes Gespräch mit einem Menschen eine Beichte und ein Reinigungsprozess“, befindet der Coach.

Auch ganz alleine lässt sich ein spirituelles Detoxing, wie es im Marketingsprech heißt, angehen. Imagination heißt das Rezept. „Ich stelle mir vor, ich nehme das, was in meinem Herzen an Angst ist und lege es auf das Förderband vom Flughafen, ich lasse es einfach abtransportieren.“ Und es wäre nicht der metaphernstarke Berater, fiele Höglinger nicht eine kantigere Vorstellung ein: „Man nimmt einen imaginierten Kärcher und reinigt das Herz.“

Soll man jeden Tag den Hochdruckstrahl gegen cerebralen Abfall aufdrehen? Durchaus, aber mit weniger Druck. „Ich gehe unter die Brause und lasse das Belastende hinunterrinnen. Einmal entrümpeln ist zu wenig. Das ist wie beim Fensterputzen. Die Notwendigkeit dazu kommt immer wieder. Wenn ich wirklich eine reine Seele, ein reines Herz haben will, ist es am besten, ich mache das jeden Tag“, sagt Höglinger.

Besser als reagieren, reparieren oder ausmisten ist aber immer noch die Prophylaxe. Man muss nicht gleich aussteigen und Mönch in Thailand werden (siehe Interview rechts) oder mit Pfeil und Bogen durch die Wälder streifen wie Neo-Steinzeitlerin Miriam Lancewood. „Das sind für mich Extremformen“, sagt Höglinger. Es sei jedoch etwas daran, Zeiten zu suchen für den Rückzug. Zu viel, das emotional verarbeitet werden müsse, prassle auf den Menschen ein. „Im Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, gab es einen Mord, soweit ich zurückdenken kann. Heute sehe ich, sobald ich den Fernseher einschalte, fünf Tote.“ Das sei zu viel, „das ist nicht mehr packbar für die Seele“.

Jesus habe sich 30 Tage lang in die Wüste zurückgezogen, erinnert Höglinger an eine Bibel-Geschichte. Bewusst (sozial-)medienfreie Abende oder Wochenenden wären eine kleine Entsprechung für solche Auszeiten. Der Lohn des seelischen Frühjahrsputzes? „Eine Leichtigkeit, eine Unbeschwertheit. Man hat innerlich einen Rucksack abgelegt, man ist freier und hat Platz für Neues.“

 

August Höglinger: „Das Leben entrümpeln“, Buch oder CD, Eigenverlag, Bestellung: office@hoeglinger.net

 

„Der Weise trägt all das Seine in sich“

Was ist genug? Wovon soll man sich trennen? Und was bedeutet Besitz für einen buddhistischen Mönch?

Der gebürtige Welser Florian Palzinsky (50) wuchs im Salzkammergut auf und wurde mit 22 Jahren buddhistischer Mönch in einem thailändischen Waldkloster. Nach etlichen Wander- und Ausbildungsjahren rund um die Welt lehrt er heute Yoga und Meditation in Mondsee.

OÖN: Sie lebten zwölf Jahre lang von der Hand in den Mund, heute leben und arbeiten Sie im eigenen Haus. Als jemand, der beide Seiten kennt, was bedeutet Besitz für Sie?

Florian Palzinsky: Die einen definieren sich über den Besitz, über irgendwelche Zahlen auf einem Konto, freuen sich über ein paar Nullen mehr und werden depressiv, wenn es weniger wird. Den anderen ist das eher egal, sie finden Reichhaltigkeit in ihrem Leben aus dem, was sie sich geistig erarbeitet haben, aus dem, was sie wissen und gelernt haben und aus den Erinnerungen aus der Vergangenheit. Es gibt den schönen Spruch: Der Weise trägt all das Seine in sich. Und dann gibt es drittens noch Leute, denen auch das unwichtig ist. Denen geht es um die Essenz, um den Augenblick. Sie ruhen in der Präsenz.

"Der Weise trägt all das Seine in sich"
Florian Palzinsky

Wie geht es Ihnen in diesem Augenblick?

Das hängt davon ab, wie ich jetzt da bin. Aber mit der Art, wie ich jetzt lebe – ich bin verheiratet, übe den Beruf des Yoga- und Meditationslehrers aus – bin ich in der ganze Maschinerie drinnen; sprich: Buchhaltung machen, Seminare vorbereiten und halten, Webseiten aufbauen. Da ist ein Stresslevel da, der mich fragen lässt: Wo ist eigentlich der Genuss im Augenblick? Wenn ich in dieser Gesellschaft ganz normal leben will, dann muss ich diesen Kompromiss eingehen. Als Mönch war das eine völlig andere Situation, weil ich mich um nichts kümmern musste – ich war aber auch nicht versichert. Es ging darum, das Weltliche loszulassen, um im Augenblick zu leben, was man vielleicht als weltfremd ansehen könnte. Für mich war das damals normal, jetzt wäre das eher ungewöhnlich. Ich habe zwei verschiedene Leben gelebt.

Waren Sie schon einmal in der Verlegenheit, mehr zu haben als zu brauchen?

Ja, natürlich, auch jetzt. Es passiert immer wieder, dass ich mich frage: Wie viel Gewand brauche ich eigentlich? Ich habe schon fünf Hosen, mehr brauche ich nicht. Manchmal zieht es einen in den Konsumsog hinein. Ich lebe momentan nicht auf asketische, minimalistische Art. Aber ich versuche, so zu reduzieren, dass mir die Dinge dienen und ich nicht Sklave der Dinge bin. Das ist ein Balanceakt, den ich immer wieder reflektiere.

Gibt es Ihrer Meinung nach eine Richtschnur, wie viel ein Menschhaben sollte?

Das ist so subjektiv. Es gibt Leute, die haben Häuser, Autos, riesige Besitzungen und dennoch das Gefühl, ihnen fehle etwas. Und dann gibt es Leute, die haben im Grunde genommen nichts und verspüren eine enorme Zufriedenheit. Dabei geht es eher um das Thema: Inwieweit bin ich mit mir selbst zufrieden? Wir können nicht von Luft und Liebe leben, wir brauchen das Notwendige – um die Not abzuwenden. Aber man spürt sehr schnell den Punkt, wo das, was ich brauche, zu einer Belastung umschlägt. Es ist individuell, wo Dinge zur Belastung werden und nicht mehr zu einer Unterstützung für das Leben oder für die Freude.

Was liegt dem materiellen Nicht-genug-Bekommen zugrunde?

Das ist ein seelischer Mangel, der schon auf die früheste Kindheit zurückgehen kann. Dass man nicht mit sich allein zufrieden sein kann. Und diese innere Unzufriedenheit wird dann auf materieller Ebene zu kompensieren versucht oder mit Alkohol, oder mit dem Springen von einer Beziehung in die andere etc. Motto: Ich bin, was ich habe. Philosoph Erich Fromm sagte: „Wer bin ich, wenn ich bin, was ich habe, und dann verliere, was ich habe? Nichts als ein besiegter, gebrochener, erbarmenswerter Mensch.“ Die Frage ist, womit ich mich identifizieren will. Mit etwas, das so fragil ist und im Grunde jederzeit kaputtgehen kann – ein Auto, ein Handy, ein Haus. Oder findet sich in mir – wenn mir alles genommen würde – eine Gelassenheit, eine Zufriedenheit, die mir nicht genommen werden kann?

Sollte man schon als junger Mensch beginnen, das Loslassen zu üben?

Ich habe mit 16 Jahren das für mich weltbewegende Buch „Haben oder Sein“ von Erich Fromm gelesen. Es gibt Menschen, die sind früh schon zum Haben oder zum Sein gezogen worden. Was unter jungen Menschen zum Glück immer mehr diskutiert wird, sind die Fragen: Wohin bringt es den Planeten, wenn wir immer mehr und mehr haben? Und auf wessen Kosten geht das?

Was macht ein gutes, verantwortungsvolles Leben aus?

Dass man immer wieder reflektiert: Wohin öffnet sich mein Herz? Wo ist ein längerfristiges Glücksgefühl – unabhängig vom Materiellen? Dieses Reflektieren ist eines über die eigene Vergänglichkeit und die permanente Veränderung von allem. Je mehr ich mich damit abfinden kann, desto mehr fließe ich im Lebensstrom mit und muss nicht gegen den Strom ankämpfen. So kann ich mehr und mehr den Moment genießen, der mir gerade geschenkt wurde. Das englische Wort „present“ hat zwei Bedeutungen: Gegenwart und Geschenk. Ein reichhaltiges Leben bedeutet, den Augenblick als Geschenk wahrzunehmen und nicht als etwas, das ich nutze, um in der Zukunft zufrieden zu sein. Vielleicht gibt es die Zukunft ja gar nicht.

 

Von der Freiheit, loszulassen

Als junge Ordensfrau habe ich die Bücher des deutschstämmigen, US-amerikanischen Franziskaners Richard Rohr regelrecht verschlungen. Eines meiner Lieblingsbücher war: „Von der Freiheit loszulassen – Letting go“. Ich kann mich dafür entscheiden, mein Leben zu „entrümpeln“. Vieles sammelt sich täglich in meinem Inneren an: Verletzungen, Kränkungen, Sorgen, Streit in der Familie, Stress in der Partnerschaft oder Gemeinschaft, Überforderung im Beruf, zu pflegende Angehörige, finanzielle Sorgen … Die Liste ließe sich noch fortsetzen.

Von der Freiheit, loszulassen
Sr. Teresa Hametner, Generalvikarin und Ausbildungsleiterin der Franziskanerinnen von Vöcklabruck

Vollgestopft bin ich, und es braucht einen guten Teil meiner Kraft, dies alles auszuhalten. Meine Gedanken kreisen um diese Belastungen und finden oft keine Lösungen. Vieles von dem, was mich niederdrückt, ist von äußeren, kaum beeinflussbaren Faktoren. Was Kränkungen, Verletzungen und Wunden des Alltags betrifft, kann ich aber etwas ändern. Ich brauche sie nicht ein Leben lang zu hüten und zu pflegen, denn diese Pflege führt nicht zu einer größeren Freiheit.

Ich darf um ein klärendes Gespräch bitten, wenn ich mich verletzt fühle – Ehrlichkeit und Klarheit sind dabei hilfreich. Wenn es um Leistung und Überforderung geht, kann ich in den allermeisten Fällen gewiss sein, dass es genug ist, was ich tue, und dass ich genüge. Mein Geburtsort war kein Hamsterrad! Ich muss meine Grenzen aufzeigen und mich gegen Überschreitungen wehren. Klarheit im Reden und Handeln, gepaart mit Gelassenheit und ein bisschen Humor, hilft beim Bearbeiten meines „Vollgestopft-Seins“ und führt zu innerer Balance und Zufriedenheit.

Mitunter – vielleicht gar nicht so selten – kommt es im Leben aber auch zu schweren seelischen Kränkungen. Oft jahrelang „geschluckt“ und gut verborgen in meinem Inneren verhindern sie ein erfülltes Leben und zeigen sich häufig auch im Körper. Heilsam kann es sein, wenn ich jemandem Vertrauen schenken kann; wenn mich jemand so annimmt, wie ich gerade bin; wenn mich jemand aufmerksam macht, dass es in mir etwas zu bearbeiten gäbe; wenn jemand nicht für mich handelt, sondern mit mir geht. Behutsame – professionelle – Hilfe ist notwendig, um den Mut zu finden, in mein Inneres zu schauen, meinen Schmerz, meine Trauer, meine Kränkung als solche zu erkennen, zu benennen, anzuschauen, zu be-greifen. Die „Lösungen“ liegen letztlich in mir – aber sie müssen geboren werden. Gute Psychotherapeuten sind hier wichtige Geburtshelfer, und ich sollte keine Scheu haben, jemanden zu kontaktieren.

Ich habe die Möglichkeit – und das ist für mich als Ordensfrau das Wichtigste – meine Sorgen, meine Ängste, meine Verzagtheit, meine Wut, meine Verletzungen, meine Sehnsüchte, meine Freuden, meine Leiden jeden Tag vor Gott hinzulegen. Nicht, dass ich nur ihm die Arbeit überlassen will – aber manches ist bei ihm einfach besser aufgehoben. Und Gott um den Segen für eine Person oder Situation, die ich schwer aushalte, zu bitten, hat in meinem Leben schon viel bewirkt. Darauf vertraue und baue ich. Mir tut es gut, mit Gott zu rechnen und loszulassen. Das hilft mir auch, meinen Part besser zu erkennen und zu tun, was meines ist.

 

 

 

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29. März 2024