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Diese Diskussion wirbelt viel (Fein-)Staub auf

Von Carsten Hebestreit   02.Februar 2019

Sind die Grenzwerte für Feinstaub und Stickstoffdioxid (NO2) zu hoch, zu niedrig, oder sind die Limits gerade recht? An dieser Frage reiben sich derzeit Mediziner, Politiker und Autofahrer in Deutschland. Tausende Menschen demonstrierten in gelben Warnwesten am Wochenende in Stuttgart gegen das verhängte Fahrverbot für Dieselfahrzeuge (Euro 5 und darunter) in der Innenstadt. Eines der Argumente sind die umstrittenen Standorte von Messstationen, denn die Messergebnisse seien nicht repräsentativ und würden kaum Rückschlüsse auf die tatsächliche Gesundheitsgefährdung durch erhöhte Schadstoffwerte zulassen.

Initiiert vom Pneumologen Dieter Köhler, unterzeichneten fast 200 deutsche Lungenfachärzte ein Schreiben, in dem der NO2-Grenzwert kritisiert und die Gesundheitsgefährdung durch diese geringen Mengen an Stickstoffdioxid schlichtweg bezweifelt wird.

In OÖN-Interviews nahmen vier Österreicher zur Debatte Stellung: der Lungenexperte Primar Josef Bolitschek (KH der Elisabethinen sowie LKH Steyr), Umweltlandesrat Rudi Anschober (die Grünen), der Linzer Verkehrsstadtrat Markus Hein (FPÖ) sowie der Sprecher der Automobilimporteure, Günther Kerle. Wobei Pneumologe Josef Bolitschek aufhorchen lässt: Denn der Mediziner sagt, dass zwar die Gesundheitsgefahr durch Feinstaub nachgewiesen, der negative Einfluss von Stickstoffdioxid aber nicht zu 100 Prozent bewiesen sei. In der Langzeitbetrachtung könne nicht gesagt werden, dass zu hohe NO2-Konzentrationen Asthma etc. auslösen würden.

"Beim NO2 ist die Datenlage nicht so sicher"

Josef Bolitschek ist Vorstand der Abteilung für Pneumologie im KH der Elisabethinen in Linz sowie Vorstand der Abteilung für Lungenheilkunde am LKH Steyr.

OÖN: Ist die Diskussion um die Feinstaub- und Stickstoffdioxid-Grenzwerte in Deutschland hilfreich?

Bolitschek: Ich als Lungenfacharzt habe mir immer gewünscht, dass wir in die Umweltdiskussion mehr involviert werden. Jetzt wünsche ich mir das Gegenteil. Denn jetzt befinden wir uns in einer Debatte, in der wir Pneumologen uns wie in einem Frontenkrieg gegenüberstehen. Was beispielsweise Dieter Köhler (der deutsche Lungenspezialist, der die Grenzwert-Diskussion losgetreten hat, Anm.) sagt, stimmt nur zu einem bescheidenen Teil. Recht hat Köhler beim NO2, denn in diesem Fall ist die Datenlage bei Langzeitexpositionen nicht so sicher. Bei Kurzzeitexpositionen hingegen glauben Lungenfachärzte – zumindest in Europa –, dass NO2 Asthma verstärken bzw. auslösen kann. Wesentlich sicherer ist die Datenlage beim Feinstaub. Sowohl in den Kurzzeit- als auch in den Langzeitexpositionen sind sich die WHO (Weltgesundheitsorganisation, Anm.), die EU als auch die USA einig, dass Feinstaub gesundheitsschädigend ist.

"Beim NO2 ist die Datenlage nicht so sicher"
Primar Dr. Josef Bolitschek

Die Feinstaubbelastung ist generell zurückgegangen, und die Verbrenner sind nicht immer die Hauptverursacher...

Das stimmt schon. Aber, und das ist klar, der Diesel ist ein Sünder vor dem Herrn. Und natürlich tragen unter anderem der Reifen- und Bremsabrieb ihren Teil bei. Klar ist auch, dass wir seit Menschengedenken mit Feinstaub konfrontiert sind: Vulkanausbrüche, Saharastürme und vor allem Waldbrände – da steigen die Werte nicht nur lokal, sondern großräumig massiv an.

Sind die Feinstaub- und NO2-Grenzwerte ausreichend?

Ja. Aber freilich kann darüber diskutiert werden, denn die WHO und die EU haben teilweise unterschiedliche Grenzwerte. Da muss die Frage erlaubt sein: Haben diese Werte einen direkten Zusammenhang mit Erkrankungen oder nicht?

Ganz konkret: Passen die 40 Mikrogramm beim NO2? Denn diesen niedrigen Grenzwert haben ja nur wir Europäer!

Stimmt. Die WHO sagt aber, dass 10 Mikrogramm optimal wären. Und wenn man sich die NO2-Grenzwerte für Büros anschaut, die liegen wiederum ums Zehnfache höher. Welcher Wert hier wirklich sinnvoll ist, kann ich persönlich nicht überprüfen. Aber ich glaube, man sollte die aktuellen Werte belassen bzw. sich nach unten orientieren.

Die Deutsche Umwelthilfe spricht von 120.000 NO2-Toten pro Jahr, das wären auf Österreich heruntergerechnet 12.000 Tote hierzulande...

In diesem Punkt kann ich eine gewisse Sympathie für die Aussagen von Herrn Köhler entwickeln. Denn diese Zahl ist schwer nachvollziehbar. Vor allem: Aus welchen Quellen stammen diese drastischen Angaben?

Doktor Köhler sagt auch, dass Raucher das x-fache an Feinstaub einatmen wie Nichtraucher. Nach sechs Wochen hat ein Raucher so viel Feinstaub inhaliert wie ein Nichtraucher in seinem ganzen Leben. Sein Fazit bezogen auf den Grenzwert: Ein Raucher müsste nach sechs Wochen tot umfallen.

Das ist natürlich polemisch. Wir wissen alle, dass Raucher nicht nach sechs Wochen tot sind. Aber Feinstaub ist – vor allem der kleine mit 2,5 Mikrometer – ein Gesundheitsproblem. Diese Teilchengröße ist ideal für die Lunge, diese Staubteile gehen bis zu den Alveolen (Lungenbläschen, Anm.) und können dort sämtliche Entzündungen auslösen. Wenn ich bei einem Raucher, der 30 Jahre lang 20 Zigaretten pro Tag geraucht hat, Lungenkrebs feststelle, dann kann ich sagen, da besteht eine klassische Kausalität zwischen Erkrankung und Rauchen. Ich tue mir aber wesentlich härter, einem Patienten zu sagen, dass sein Lungenkarzinom auf Feinstaub zurückzuführen ist. Da muss ich den großen epidemiologischen Studien glauben, dass Feinstaub auch die Todesursache sein kann.

Dieter Köhler sagt, er habe noch nie einen Feinstaub- oder NO2-Toten gesehen.

Die Monokausalität ist ein eigenes Kapitel. So oder so: Am Feinstaub und seinem Grenzwert sollten wir nicht herumdoktern, die Gefährlichkeit ist nachgewiesen.

Und beim NO2?

Da ist die Datenlage nicht so sicher wie beim Feinstaub. Da kann man nicht sagen, NO2 löst Erkrankungen wie Asthma usw. aus. Die großen Studien schließen dies zwar nicht aus, können’s aber auch nicht hundertprozentig belegen.

Wenn ich zu einem Facharzt gehe, möchte ich eine klare Meinung hören. In der aktuellen Diskussion gibt’s aber zwei Standpunkte, die nicht konträrer sein könnten. Das verunsichert sehr...

Darum hätte ich mir gewünscht, dass sich Pneumologen nicht eingemischt hätten, denn die ganze Debatte tut dem Image von uns Lungenfachärzten nicht gut.

 

„Wir haben keine verzerrten Messwerte“

Rudi Anschober Landesrat für Integration, Umwelt, Klima- und Konsumentenschutz:

OÖN: Sind die Grenzwerte für Feinstaub und NO2 zu hoch, zu niedrig oder gerade recht?

Anschober: Die WHO, die Weltgesundheitsorganisation, gibt die Parameter vor, auf deren Basis die Europäische Union die Grenzwerte verankert hat. Ich gehe davon aus, dass dies sauber und seriös geschehen ist. Unser Ziel ist – zum Schutz der Bevölkerung –, all diese Grenzwerte präzise einhalten.

"Wir haben keine verzerrten Messwerte"
Rudi Anschober

Liefern die Messstationen repräsentative Ergebnisse oder stehen die Geräte zu nahe an den Fahrbahnen? Gerade die Messstation am Römerbergtunnel steht diesbezüglich oft in der Kritik...

Auch hier gibt’s klare nationale Vorgaben auf Empfehlung der EU. Wir halten uns penibelst daran und haben deshalb zwei verkehrsnahe Messstationen in unserem Netz: zum einen die Station an der A1, zum anderen die Messstelle beim Römerbergtunnel. Die Frage, ob der Standort Römerbergtunnel repräsentativ ist, ist sehr gut abgesichert. Wir haben gemeinsam mit der Stadt Linz drei Jahre hindurch ein Zusatzmessprogramm laufen lassen. Dabei hat sich gezeigt, dass die Messstelle beim Römerbergtunnel absolut im Durchschnitt aller Messergebnisse liegt. Wir haben dort keine Höchst- oder verzerrenden Werte, sondern aussagekräftige Messergebnisse.

Die Luft wird immer sauberer. Sind trotzdem Maßnahmen wie Fahrverbote erforderlich?

Wir versuchen Fahrverbote zu vermeiden. Darüber besteht ein Konsens in der Landesregierung, weil Fahrverbote zuerst sozial Schwache treffen, die sich kein neues Auto leisten können.

 

"Diskussion nicht ehrlich geführt"

Markus Hein, Infrastruktur-Stadtrat Linz, über Fahrverbote und Grenzwerte.

OÖN: Sind die Grenzwerte für Feinstaub und Stickstoffdioxid (NO2) zu hoch, zu niedrig oder gerade recht?

Hein: Die aktuelle Diskussion wird nicht ehrlich geführt. Denn es gibt auch Studien – zum Beispiel vom Fraunhofer-Institut –, wonach nur sechs Prozent der Feinstaubbelastung durch Verbrennungsmotoren erzeugt wird. Der überwiegende Teil kommt aus der Natur bzw. vom Abrieb der Reifen und Bremsen. So gesehen wird die E-Mobilität, die ja gerne hochgelobt wird, nicht das Feinstaubproblem lösen. Denn auch dabei entsteht Feinstaub – durch die Bremsen, durch die Reifen. Nicht lokal, sondern global gesehen hat übrigens ein E-Auto eine schlechtere CO2-Bilanz als ein Verbrennungsauto. Was wiederum NOx (Stickoxid, Anm.) betrifft, ist zu hinterfragen, ob die Grenzwerte nicht zu niedrig angesiedelt sind. Denn beispielsweise in Büroräumlichkeiten sind die Limits teils bedeutend höher. Und dort halten sich Menschen ja länger auf als neben einer hochfrequentierten Straße. Und dann gibt’s ja noch die Messstation beim Römerbergtunnel...

"Diskussion nicht ehrlich geführt"
Markus Hein

...die ja umstritten ist. Zu Recht?

Der Standort direkt bei einer Tunnellüftung wurde bewusst gewählt. Der Tunnel wird ja durch die Kaminwirkung Richtung Süden entlüftet. Und dann denke ich, dass auch die Plakatwände, die vor der Messstation stehen, Einfluss auf die Durchlüftung – und damit auf die Messergebnisse – haben.

Wie sieht Ihre Luftgüte-Prognose für Linz aus? Drohen Fahrverbote?

Wenn wir die Punkte in unserem Projekt "Kumm, steig um!", das wir gemeinsam mit dem Land initiiert haben, umsetzen, sind wir auf einem guten Weg, den Verkehr in und um Linz besser zu steuern und die Luftgüte zu verbessern. Ob diese Maßnahmen dann auch ausreichen, müssen wir abwarten. Zu den Fahrverboten: Wir hören aus deutschen Städten, dass Fahrverbote ja nicht wirklich bei der Luftreinhaltung nützen. Zumal beispielsweise die seltsame Entscheidung in Hamburg, eine kurze Strecke zu sperren, sodass Dieselfahrer nun einen drei- bis vierfach längeren Umweg nehmen müssen, ein umweltpolitisches Fiasko ist.

Angeblich soll der Römerbergtunnel in absehbarer Zeit gänzlich für Dieselautos gesperrt werden. Was ist dran an diesem Gerücht?

Ein diesbezügliches Fahrverbot kann nur vom Land Oberösterreich verhängt werden. Ich halte – ganz abgesehen vom Römerbergtunnel – Fahrverbote generell nicht für den richtigen Weg.

 

„Eine Katastrophengeschichte“

Günther Kerle, Sprecher der österreichischen Automobilimporteure, übt Kritik an Standorten von Messstationen

OÖN: Ist die Diskussion um die Grenzwerte und die Standorte der Messstationen in Deutschland gerechtfertigt?

Kerle: Diese Diskussion ist auf alle Fälle gerechtfertigt. Vor allem, wenn man weiß, wie zum Beispiel der Grenzwert für das Stickstoffdioxid (NO2) entstanden ist. Es gibt auf der ganzen Welt kein einziges Land, keinen anderen Kontinent – außer eben Europa –, der diesen niedrigen Grenzwert eingeführt hat.

Sind Initiativen in Österreich geplant, um Grenzwerte – allen voran das Stickstoffdioxid-Limit – auf EU-Ebene zu kippen?

Wir versuchen schon seit Jahren über die Politik einen gewissen Einfluss zu nehmen. Oder, besser: den Verantwortlichen die Augen zu öffnen. Ich würde mir zum Beispiel vom ORF wünschen, eine Dokumentation wie die ARD („Das Diesel-Desaster, Anm.“) zu bringen. In Österreich ist zwar die Situation nicht derart extrem wie in Deutschland – sprich: die Grenzwertüberschreitungen sind bei uns nicht derart hoch wie bei unseren Nachbarn –, aber der EU-weite Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid ist einfach zu weit hergeholt. Zumal, wenn man Messergebnisse vergleicht. Eine Kerze stößt 260 Mikrogramm NO2 aus. Am vierten Advent ist man dann schon bei mehr als 1000 Mikrogramm. Da stimmt doch dann etwas mit den Relationen nicht mehr.

Sie gelten als großer Kritiker mancher Messstationen-Standorte. Wo stehen die größten „Sündenfälle“?

Eine Extremsituation ist in Vomp (Tirol) bei der Autobahnraststation zu finden. Es ist die einzige Stelle Österreichs, die derzeit rot leuchtet. Auf der einen Seite der Autobahn liegt die Raststätte, auf der anderen ein riesiger Lkw-Parkplatz. Dort übernachten die Trucker in ihren Fahrerkabinen. Im Winter lassen sie, um nicht zu erfrieren, die Motoren laufen. Gleich neben dem Parkplatz steht die Messstation. Dass dort die Grenzwerte überschritten werden, darüber brauche ich nicht diskutieren. Dort gibt’s im kilometerweiten Umkreis kein einziges Wohnhaus, da führt kein Spazierweg vorbei – nichts. Eine Katastrophengeschichte, die nichts mit repräsentativen Messergebnissen zu tun hat. Die Messstellen sollten dort positioniert werden, wo Menschen wohnen. Nämlich, um ermitteln zu können, wie hoch die Dauerbelastung tatsächlich ist. Dergleichen ist auch in Wien zu finden, bei der Westeinfahrt. Dort steht eine Messstelle, aber kein einziges Wohnhaus.

Und die Station beim Römerbergtunnel...

...zählt schon seit eineinhalb Jahren nicht mehr zu den höheren Belastungszonen.

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24. April 2024