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Deutsch als Fremdsprache

Von Magdalena Lagetar   14.März 2019

„Das Wichtigste ist: Weg vom Frontalunterricht“

MATTIGHOFEN. "Der Bub sitzt auf dem Elefant!", sagt die kleine Helene und zeigt auf das Brettspiel, das sie gerade gemeinsam mit zwei anderen Mitschülern und einer ihrer Lehrerinnen, Sonja Grill, spielt. In einem eigenen, offenen Raum, nicht in der Klasse. Weil sie den Satz richtig gesagt hat, darf sich die Volksschülerin einen Ring holen. Wer am Ende die meisten Ringe hat, hat gewonnen. Sonja Grill ist nachsichtig. Wer kleine Fehler bei den Fällen macht, wird korrigiert, den Ring bekommt er trotzdem. "Im Wasser", sagt sie deutlich. Die Kinder wiederholen und sagen nicht mehr "in Wasser".

Sonja Grill ist eine von sieben Teamlehrerinnen, die sich in der Volksschule Mattighofen ausschließlich mit Kindern mit nicht deutscher Muttersprache beschäftigt. "Das ist mir ein großes Anliegen und es macht mir Freude, wenn ich sehe, welche Fortschritte die Kinder in kurzer Zeit machen", erzählt sie.

"Kind dort abholen, wo es steht"

Direktorin Sandra Auer ist stolz auf ihr Team, das hohe Flexibilität an den Tag legt. "Jedes Kind bekommt das, was es braucht", betont sie. Differenziert und individuell wird gelehrt, die Kinder sollen dort abgeholt werden, wo sie stehen. "Ohne sie zu unter- oder überfordern", sagt sie. Das gelte für alle, nicht nur für die Kinder mit Migrationshintergrund. "Das Wichtigste ist: weg vom Frontalunterricht und auf die Kinder eingehen", sagt Auer. Das funktioniere für alle sehr gut. "Wir haben zwar viele Kinder mit Förderbedarf, aber auch viele andere, die danach ins Gymnasium gehen. Eben weil wir versuchen, alle Kinder so zu fördern, wie sie es brauchen", so Auer.

Hilfe auch in der Klasse

"Erklär mir das", bittet eine kleine Erstklässlerin schüchtern die Teamlehrerin Sonja Grill, als diese ein Klassenzimmer betritt. Denn nicht nur außerhalb der insgesamt 17 Klassen in Mattighofen, sondern auch während des Unterrichts kommen die Sprachförderlehrerinnen und helfen dort, wo sie gebraucht werden. "Dafür bin ich da", sagt sie, setzt sich mit zwei Mädchen in den hinteren Bereich der Klasse und arbeitet mit ihnen Einzahl und Mehrzahl heraus, während die Kinder vorne mit ihrer Klassenlehrerin Rechenblätter ausfüllen. "Wenn wir zu laut werden, dann gehen wir raus", sagt Grill. "Es ist ja auch wichtig, dass die Kinder das Gesagte laut und deutlich hören, um es zu lernen", sagt Lisa Haider. Deshalb sind die Lehrerinnen nicht nur im Unterricht, sondern oft holen sie sich Kinder aus der Klasse heraus. "Das kann auch klassen- und schulstufenübergreifend sein, je nachdem, was gerade auf dem Programm steht", erzählt Haider. Auch sie ist eine Sprachförderlehrerin und hat ihre Bachelorarbeit diesem Thema gewidmet. Natürlich habe man viel vorzubereiten, so die Lehrerin. "Vor allem, wenn unterm Schuljahr Kinder kommen, die kein Wort Deutsch sprechen. Dann muss ich auch darauf wieder neu eingehen", sagt sie.

Mattighofen ist Zuzugsgemeinde

Das passiere in Mattighofen oft. "Das ist eben eine Zuzugsgemeinde", sagt die Direktorin. Ihre Lehrerinnen sehen das aber gelassen. "Ich mache ja sowieso verschiedene Aufgaben mit den Kindern. Sie haben ja nicht alle das gleiche Sprachniveau", erzählt Haider. Wichtig sei eine genaue Absprache.

Regelmäßig werden die Kleinen getestet. "Dann können wir sehen, welche Fortschritte sie machen", sagt Grill. Nächstes Schuljahr wird es erstmals eine Deutschklasse in der Volksschule Mattighofen geben, in der Kinder, die nicht ausreichend Deutsch sprechen, nicht mehr mit den anderen in einer Klasse sitzen, sondern alle zusammen in einer. "Das wird eine große Herausforderung", sagt Haider. Die Schüler werden aber trotzdem eine "Stammklasse" haben, mit der sie zum Beispiel gemeinsam turnen und werken werden. "Das ist auch für mich als Direktorin eine riesengroße Aufgabe, wenn ich den Stundenplan erstelle. Aber da muss ich durch", sagt Auer.

Die Direktorin ist aber zuversichtlich, dass ihr Team auch das neue Modell gut meistern wird.

Früher verstand sie kein Deutsch, heute unterrichtet sie

Marijana Lagetar floh mit ihrer Familie während des Balkankrieges nach Simbach und ging dort ohne Sprachkenntnisse zur Schule.

Früher verstand sie in der Schule kein Deutsch, heute unterrichtet sie
Marijana Lagetar unterrichtet Deutsch.

 

Sie erinnert sich noch gut an ihren ersten Schultag als Sechsjährige in der Grundschule in Simbach. Die heute 32-jährige Deutschprofessorin schmunzelt, wenn sie daran denkt: „Die Lehrerin hat Namensschilder ausgeteilt und da waren auch verschiedene Bilder darauf. Auf meinem Schild war ein Tisch“, sagt Marijana. Was es damit auf sich hatte, hat ihre Lehrerin damals sicher erklärt, aber Marijana hat nichts verstanden. Die Kroatin ist in Bosnien aufgewachsen, floh mit ihrer Familie vor dem Krieg und bekam in Simbach Asyl. Deutsch konnte sie nicht. Also ließ sie sich erstmal berieseln, schlug immer jene Bücher und Mappen auf, die auch die anderen Kinder in der Klasse aus der Schultasche nahmen, ärgerte sich über eine Mitschülerin, die ihr immer ihre Filzstifte wegnahm, konnte sich aber nicht mitteilen. „Ich weiß gar nicht mehr, was das für ein Gefühl war und wann ich eigentlich anfing etwas zu verstehen“, sagt sie. Fünf Jahre lang ging sie in Simbach zur Schule und lernte dabei quasi nebenbei Deutsch. So gut, dass sie sich schwor: „Ich will diese Sprache nicht mehr verlernen!“

Im zweiten Halbjahr der fünften Klasse musste ihre Familie in den Balkan zurückkehren, der Krieg war vorbei. Marijana zog in die kroatische Stadt Osijek, in der sie mit ihrer jüngeren Schwester und ihrem älteren Bruder die Schule fertig machte. Schon früh war ihr klar, dass sie später mit Kindern arbeiten will. „Ich mag Kinder, ich wollte schon immer Lehrerin werden und ich konnte mir nicht vorstellen, in einem Büro zu sitzen“, erzählt sie.

Und weil sie gut und sehr gerne Deutsch sprach und anderen Kindern diese Sprache beibringen wollte, studierte sie Germanistik in Kroatien. Seit mehr als sieben Jahren unterrichtet Marijana nun in der Stadt Pleternica Deutsch von der ersten bis zur achten Schulstufe. Regelmäßig reist sie in deutschsprachige Länder und kann heute über ihre schweren Anfänge in der Schule lachen.

Übrigens: Schon am Ende ihres ersten Schultages löste Marijana das Rätsel mit dem Bild des Tisches auf ihrem Namensschild. „Die Kästchen im Gang hatten alle verschiedene Symbole. Meines war eben der Tisch“, sagt sie.

Perndorfer: „An meiner Schule ist die Lebensrealität abgebildet“

RIED. 245 Schülerinnen und Schüler besuchen derzeit die TN²MS Ried (Roseggerschule). Elf davon sind aufgrund ihrer mangelnden Deutschkenntnisse außerordentliche Schüler. Dazu kommen viele weitere, deren Erst- bzw. Muttersprache nicht Deutsch ist. Für Direktorin Maria Perndorfer und ihre 35 Kolleginnen und Kollegen stellt das im Schulalltag eine Herausforderung dar. Doch die Direktorin betont: „Der Großteil der Kinder, die in den vergangenen Jahren nach Österreich gekommen sind, ist gut bis sehr gut integriert. Natürlich gibt es auch welche, die Probleme machen, aber damit können wir umgehen.“ Wichtig sei es auch, die Eltern mit ins Boot zu holen, „auch wenn das die Kinder nicht immer begeistert.“ Entscheidende Elemente in Bezug auf die Integration sind für Maria Perndorfer Bereitschaft und Wille. „Das ist keine Einbahnstraße. Beide Seiten sind gefordert“, sagt die Pädagogin. Positive Beispiele für gelungene Integration samt Erlernen der deutschen Sprache gebe es genug. „Wir haben Schüler, die erst seit einem Jahr in Österreich leben und dem Unterricht bereits gut folgen können. Ein Mädchen sucht sogar auf Youtube in ihrer Muttersprache nach Lösungen, wenn sie im Mathematikunterricht etwas nicht versteht“, freut sich Maria Perndorfer über dieses Engagement der Schülerin.

Die Direktorin ist überzeugt, dass eine Schule neben der Wissensvermittlung weitere wichtige Aufgaben erfüllen sollte. „Die Kinder müssen sich bei uns gut aufgehoben und sicher fühlen. Einige kommen aus Kriegsgebieten, wissen gar nicht, ob sie überhaupt in Österreich bleiben können. Diese Sorgen müssen wir ernst nehmen. Auch das ist Teil unserer Arbeit.“

Für die österreichischen Kinder seien die vielen Kulturen auch eine Bereicherung. „Unsere Kinder müssen lernen, mit diesen Unterschieden und Herausforderungen umzugehen. Sich abzuschotten ist keine Lösung. Menschen aus anderen Ländern und Kulturen werden auch in Zukunft bei uns leben und arbeiten. Im Grunde ist es so, dass an meiner Schule die Lebensrealität abgebildet ist“, sagt Maria Perndorfer.

Trotzdem ist es ihr wichtig, traditionelle österreichische Werte und Bräuche zu vermitteln – inklusive Adventkranz und Weihnachtsgottesdienst. „Wir zwingen niemanden, irgendwo mitzumachen. Aber es hat mich sehr gefreut, dass beim Weihnachtsgottesdienst im Vorjahr Kinder aus anderen Kulturkreisen mitgesungen haben.“

Zahlen

Schüler mit nicht deutscher Muttersprache (Quelle: Bildungsdirektion):

  • Bezirk Braunau: 1892 Schüler von insgesamt 7484 Schülern in Allgemeinbildenden Pflichtschulen (APS) im Bezirk Braunau haben keine deutsche Muttersprache. Das ist ein Anteil von 24,44 Prozent. 929 Schüler können dem Regelunterricht nicht folgen und werden entweder als außerordentliche Schüler geführt oder mit einer zusätzlichen Sprachförderung unterrichtet. Der Anteil von Kindern mit nicht deutscher Muttersprache, die in eine Volksschule im Bezirk Braunau gehen, liegt bei 23,87 Prozent. Fast die Hälfte kann dem Regelunterricht nicht folgen.
  • Bezirk Schärding: 530 Schüler, die im heurigen Schuljahr im Bezirk Schärding eine APS absolvieren, haben keine deutsche Muttersprache. Insgesamt gehen 4196 Schüler in die Pflichtschulen. Der Anteil jener mit nicht deutscher Muttersprache entspricht 12,63 Prozent. 415 Kinder können dem Regelunterricht nicht ausreichend folgen. In den Volksschulen des Bezirkes Schärding liegt der Anteil der Kinder mit nicht deutscher Muttersprache derzeit bei 11,8 Prozent. Davon können über zwei Drittel nicht dem Regelunterricht folgen.
  • Bezirk Ried: 962 Schüler von insgesamt 4715 haben eine andere Muttersprache als Deutsch. Der Anteil in den Allgemeinbildenden Pflichtschulen ist seit dem Schuljahr 2009/10 bis zum Schuljahr 2018/19 von 12,49 auf 20,4 Prozent gestiegen. 726 Schüler können dem Regelunterricht nicht ausreichend folgen und benötigen eine zusätzliche Sprachförderung.
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