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Das Räuchern versetzt Berge

Von Klaus Buttinger, 15. Dezember 2018, 00:04 Uhr
Das Räuchern versetzt Berge
Schale, Sand, Kohle, Kräuter – fertig. Bild: Volker Weihbold

Räuchern erlebt auch abseits der bäuerlichen Stallungen eine Renaissance. Das Ritual passt in neoesoterische Strömungen ebenso wie in die Sehnsucht nach dem Alten.

Der Geruch verkokelnder Kräuter und Harze, der Duft ätherischer Öle holt den Menschen an jenem Sinnesorgan ab, das den kürzesten Nervendraht zu den Gefühlen hat: der Nase. Sie leitet die Geruchsinformation direkt an die Amygdala (den Mandelkern) im Limbischen System. In dieser Erregungszentrale unseres Gehirns werden Emotionen bewertet, Situationen auf Wiedererkennung abgeklopft und Gefahren analysiert. Was wir riechen, betrifft uns tief.

Das war schon an den Lagerfeuern der Frühmenschen so. Die ersten Schamanen nutzten die Eindringlichkeit von Tanz und Rauch für ihre Rituale. Der Begriff Saman geht auf "verrückt" und "verbrennen" zurück. Heutige, selbsternannte Neo-Schamanen verschleiern die mehr oder weniger akkurat überlieferten Räucherrituale aus dem Volksglauben nicht mehr hinter Federkostümen, sondern dem sprachlichen Nebel aus "feinstofflichen Informationen", "pflanzlichen Seelen" oder "Reinigungszeremonien".

Angenehm ist es allemal

Unbestritten ist, dass Wohlgerüche in der Luft ein angenehmes Umfeld schaffen können. Das wirkt nicht nur nasenscheinlich in sanitären Nassräumen, sondern auch in Einkaufstempeln. Abgeschaut haben sich die Wirtschaftspsychologen den entspannenden Effekt von Gerüchen von der Religion. In Christentum, Buddhismus und Islam gibt es seit Anbeginn Räucherrituale. Der Nutzen dieses Weihrauchs war ein mehrfacher. Zum einen mag man sich ein massiv menschliches G’rücherl in einer Kirche des Mittelalters ohne den kaschierenden Weihrauchduft gar nicht vorstellen, zum anderen zeigte der Rauch tatsächlich eine psychoaktive Wirkung auf die Gläubigen.

Beim Verbrennen von Weihrauch, dem Harz von Boswellia-Bäumen aus Indien und Afrika, entsteht ein Wirkstoff namens Incensol, eine Boswelliasäure. Vor zehn Jahren untersuchten US-amerikanische und israelische Forscher die Wirkung von Incensol-Rauch auf Mäusemodelle, die zur Bewertung von antidepressiven und angstreduzierenden Psychopharmaka gezüchtet worden waren. In der US-Fachzeitschrift für experimentelle Biologie, dem FASEB-Journal, herausgegeben von der Federation of American Societies For Experimental Biology, hielten die Forscher fest: Incensol im Weihrauch könne das euphorische Gefühl verstärken, das in religiösen Zeremonien auftrete, weil es milde Gefühle und leichte Wärme stimuliere. Gerald Weissman, Chefredakteur der FASEB-Zeitschrift: "Vielleicht lag Marx gar nicht so weit daneben, als er die Religion das Opium für das Volk nannte: Morphium kommt vom Mohn, Cannabis von Marihuana und LSD von Pilzen. Alle Substanzen wurden in religiösen Zeremonien benutzt. Untersuchungen über die Wirkungsweisen dieser psychoaktiven Drogen haben uns dabei geholfen, die moderne Neurobiologie zu verstehen. Die Entdeckung, wie Incensol-Acetat bestimmte Bereiche im Gehirn beeinflusst, sollte uns auch helfen, Krankheiten des Nervensystems zu verstehen."

Weihrauch ist nicht als Medikament zugelassen. Er gilt als Naturheilmittel und dürfte – für die orale Einnahme aufgeschlossen – im Darmtrakt über entzündungshemmende Wirkung verfügen. Langzeitstudien dazu gibt es allerdings nicht.

Räuchermischungen mit den Kräutern des Palmbuschens – wie es christlich-bäuerliche Tradition ist – wirken nicht psychoaktiv, auch wenn die Sage behauptet, dass in den Rau(ch)nächten (siehe unten) Tiere sprechen könnten. Um das zu erleben, müsste man schon kräftigere Kräuterdünste heranziehen.

Effekte aus der Mythenwelt

Für Wissenschafter gehören therapeutische Effekte, die Harzen und Aromastoffen zugeschrieben werden, ins "Reich des Mythos", wie der klinische Psychologe Colin Goldner schreibt, ein anerkannter Kritiker alternativer Heilverfahren. "Je nach Vorliebe des Benutzers können die verbreiteten Aromastoffe in der Tat zu einer angenehmen Atmosphäre beitragen, mehr jedoch nicht", konstatiert Goldner. Er ortet hinter der Renaissance von Aromatherapie und dem Räuchern unter anderem "eine Sehnsucht nach einem animistisch-spirituellen Weltbild". Hier habe man es mit einer Mischung aus Volksweisheit, Versuch und Irrtum, Anekdoten, New-Age-Spiritismus und Träumerei zu tun.

Dennoch boomen Bücher und Seminare zum Thema Räuchern. Anscheinend steigt das Bedürfnis nach dieser Art von Ritualen, die losgelöst von den Kirchen doch Halt versprechen, ohne den Individualitätsanspruch zu verletzen. Man nehme Fichtenharz zur Stärkung der Konzentration, Lavendel zur Beruhigung und Bibergeil für die Libido. Wie sich deren Wirkung nachweisen lässt, beantwortet ein alter Bauer aus dem Salzburgischen so: "Nachweisen kann man es, indem man es spürt." Zirkelschluss sagte man dazu früher. Und zur Wirkung von Ritualen kennt der alte Psychologe Begriffe wie positive Rückkoppelung, selektive Wahrnehmung oder Antizipation. Die wirbeln allerdings derzeit keinen Rauch auf.

> Raunächte: Mit dem Thomastag, dem 21. Dezember, beginnen die Raunächte, an denen wieder fleißig geräuchert wird.

 

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