"Die Ungewissheit machte uns Angst"
LEOPOLDSCHLAG. Als Truppen des Warschauer Pakts im August 1968 den Prager Frühling niederschlugen, standen 3000 Panzer an der Grenze. Der Grenzübergang Wullowitz wurde vor 50 Jahren zum Flüchtlings-Hotspot – Die OÖN auf Spurensuche.
Entlang des Grenzübergangs in Wullowitz war ein lautes Rattern der Panzerketten zu hören. Zeitweise bellten Wachhunde. Scheinwerfer leuchteten gespenstisch ins Mühlviertel herüber: Es war die Nacht zum 21. August 1968, die Niederschlagung des Prager Frühlings hatte begonnen. Kurz vor Österreich machten die Truppen des Warschauer Pakts Halt. Die Ungewissheit war trotzdem groß. Würden die Panzer nun auch über die Grenze kommen?
Das fragte sich die Bevölkerung in der Marktgemeinde Leopoldschlag (Bezirk Freistadt). Sie liegt in unmittelbarer Nähe zum Grenzübergang Wullowitz. Damals wie auch 50 Jahre danach ist der Einmarsch der Roten Armee in der CSSR ein wichtiges Gesprächsthema, sagt der frühere Bürgermeister Heribert Schlechtl (79). "Vor den Grenzsoldaten hatten wir keine Angst, die waren wir ja schon gewohnt. Als aber dann die Truppen des Warschauer Pakts unmittelbar vor der Haustür standen, wurde es uns schon flau im Magen. Wir wussten ja nicht, ob sie auch Österreich einnehmen werden."
Nebel im August
Nicht nur die Stimmung sei bedrückend gewesen. In den Tagen der militärischen Bedrohung lag auch Nebel über dem Land. Schlechtl hätte gerne das Gras seiner Wiesen in den Stall gebracht. Aufgrund der Nässe entschied er sich, daheim zu bleiben und verfolgte die Ereignisse in der damaligen CSSR vor dem Radio.
"Wir haben gehört, dass der Prager Frühling niedergewalzt wird. Unsere Sorge um die Tschechen war groß", sagt Schlechtl.
Ab 1962 habe der sogenannte "Kommunismus mit menschlichem Antlitz" den Reiseverkehr zwischen der CSSR und den Nachbarstaaten unterstützt, erinnert sich Walter Pils (77). Er arbeitete damals als Zollwachebeamter am Grenzübergang Wullowitz: "Viele Tschechen kamen zu uns auf Urlaub. Es durften aber nie alle Familienmitglieder das Land verlassen." Auch Österreicher seien mit einem Visum in die CSSR gefahren. "Durch ihre Schilderungen haben wir von der Brutalität des Einmarsches erfahren."
Am 21. August 1968 trat Pils um vier Uhr früh am Grenzposten Wullowitz seinen Dienst an. Zu diesem Zeitpunkt hatte er ein großes Arbeitspensum zu bewältigen: "Die ersten Tschechen wollten nach Hause fahren. Einige überlegten, in Österreich zu bleiben. Das hätte für sie aber den Verlust der in Tschechien gebliebenen Verwandten bedeutet. Sie waren sich nicht sicher, was sie machen sollen und fragten verbittert nach Rat", erinnert sich Pils.
Um die Grenze zu schützen, wurde das österreichische Bundesheer aufgeboten. Josef Stitz (86) war damals als Funktechniker im Rang eines Vizeleutnants in Wullowitz. Um die Soldaten aus dem Osten nicht zu provozieren, ging das Bundesheer 30 Kilometer von der Staatsgrenze entfernt in Stellung. Stitz traute sich daher nicht, in der Militäruniform Reparaturen an der Telefonleitung im sogenannten Zollhäusel zu erledigen.
"Ich ließ mein Fahrzeug einen Kilometer vorher stehen und bin dann mit meiner Arbeitskleidung im Fußmarsch nach Wullowitz gegangen." Dort sah Stitz eine große Menge an tschechischen Flüchtlingen die Grenze passieren, solange es noch ging. "Die Leute haben gesungen und waren glücklich."
Knapp 3000 Panzer standen an der tschechischen Grenze, weiß Kurt Cerwenka (75) aus Gallneukirchen. Er war damals Lehrer in Alberndorf, 40 Kilometer von Leopoldschlag entfernt: "Sechs Panzer haben direkt Richtung Österreich gezielt. Sie waren eingegraben und daher nicht sichtbar. Österreich konnte entlang der Grenze lediglich 45 Panzer aufbieten." Gespannt haben Cerwenkas Schüler gefragt, wie bedrohlich die Situation für Österreich sei.
"Wir haben Glück gehabt"
In der Volksschule von Wullowitz wurde ein Spähposten eingerichtet. Hubert Koller, der heutige Bürgermeister von Leopoldschlag, war damals sieben Jahre alt: "Wir hatten eine Woche länger Ferien, weil die Schule gebraucht wurde."
Kollers Vorgänger als Bürgermeister, Alois Böhm (69), musste im Oktober 1968 zum Bundesheer. Auch wenn zu diesem Zeitpunkt der Grenzschutz bereits minimiert wurde, ist seine Kompanie in Alarmbereitschaft: "Wir haben damals großes Glück gehabt, dass es zu keinen Kampfhandlungen in Österreich kam. Ich habe gehofft, dass sich der Prager Frühling durchsetzt, aber die Entwicklung war noch nicht so weit."
Kuriose Situationen an der Grenze
Der Eiserne Vorhang verhinderte die Entwicklung von Leopoldschlag
Einst war Leopoldschlag ein florierender Wirtschaftsstandort, erzählt Heribert Schlechtl. Eisenhammer- oder Brauereibetriebe habe es viele gegeben.
„Heute sieht man noch viele prunkvolle Kreuze auf den Friedhöfen von örtlichen Unternehmern.“ Mit dem Zweiten Weltkrieg habe dann der wirtschaftliche Niedergang begonnen.
Von der sogenannten „kommunistischen Zeit“ mit Besatzung und dem Bau des Eisernen Vorhangs habe sich die Region nur langsam erholt, da das Einzugsgebiet sehr beschränkt wurde.
Die Grenzsituation sorgte allerdings auch für kuriose Situationen, weiß Bürgermeister Hubert Koller. Vor allem im Sport: „Das Corner-Eck des Fußballplatzes war nur fünf Meter von der Grenze entfernt. Wenn der Ball über die Grenze geschossen wurde, durfte nur unser Platzwart den Ball holen. Er hatte dafür einen Ausweis. Manchmal haben auch die CSSR-Soldaten den Ball zurück aufs Spielfeld geschossen.“
Die Union Leopoldschlag bemühte sich um Verbindungen mit CSSR-Clubs, sagt Obmann-Stellvertreter Harald Broda: „Wenn wir in der damaligen CSSR Fußball spielen wollten, musste der Verein einige Wochen vorher um ein Visa ansuchen.“ Gegen Ende der 1980er-Jahre wurden die Verbindungen mit tschechischen Vereinen aber immer besser, da nach und nach staatliche Beschränkungen fielen.
Als der damalige Bürgermeister Heribert Schlechtl einen Anruf vom Bezirkshauptmann erhielt, war es dann so weit: „Er fragte, ob ich mit zur Grenze fahren möchte, weil dort gerade der Stacheldraht durchgezwickt würde. Als wir hinkamen, sahen wir gerade Landeshauptmann Josef Ratzenböck mit einer großen Zange in der Hand.“
Für Schlechtl ist dieser Moment die Sternstunde seiner Amtszeit als Bürgermeister von Leopoldschlag. „Das war ein Erlebnis, das ich nie vergessen werde.“ Jetzt wachse in der Region wieder die Industrie und das Vereinswesen. „Wir streben in den Mittelpunkt.“
50 Jahre danach: Lokalaugenschein in Leopoldschlag
Die Niederschlagung des Prager Frühlings durch Truppen des Warschauer Pakts hat sich bei vielen Zeitzeugen eingeprägt. Zum Gedenktag sprachen sie mit den OÖN über ihre Erinnerungen.
Heribert Schlechtl, Bürgermeister (1985–1997)
„Wir haben im Radio gehört, dass der Prager Frühling niedergewalzt wird und die Panzer Richtung Wullowitz ziehen. Vor dem Grenzübergang haben sie gestoppt, und unsere Neugierde war groß, wie es weitergeht. Die Bevölkerung hat vor der Grenze immer Respekt gehabt. Nachdem der Eiserne Vorhang gefallen ist, blühten wir auf.“
Alois Böhm, Bürgermeister (1997–2008)
„Die Bevölkerung hat im Laufe der Zeit gelernt, mit dem Eisernen Vorhang zu leben. Durch das Niemandsland war die Grenze entvölkert. Es hätte sich niemand getraut, durchzugehen. Wegen des Eisernen Vorhangs war Leopoldschlag abgeschnitten. Das hat man vor allem bei Veranstaltungen gemerkt. Unser Einzugsgebiet war eingeschränkt.“
Hubert Koller, Bürgermeister (seit 2008)
„Mein landwirtschaftlicher Grund befindet sich an der Grenze. Wenn eine Kuh hinüber ist, haben wir sie selber nicht geholt, sondern zur Sicherheit mit dem Grenzposten in Wullowitz telefoniert. Die Soldaten haben dann die Kuh herüber getrieben. Die Grenztrupps waren immer schwerbewaffnet.“
Harald Broda, Obmann-Stellvertreter Sportunion
„Wir holten immer wieder Fußballer aus der ehemaligen CSSR. Sie waren besser ausgebildet und sehr ehrgeizig. Schließlich war der Sport eine der wenigen Möglichkeiten, zumindest kurzfristig in den Westen zu kommen. Unter 30 Jahren durfte kein tschechischer Spieler bei einem Verein aus dem Westen sein. Die Verhandlungen liefen über Funktionäre aus Prag.“
Panzer statt Militärmusik
Johann Sonntagbauer (69) aus Stadl-Paura erinnert sich: „1968 schaffte ich die Aufnahmsprüfung zur Militärmusik Linz unter Kapellmeister Rudolf Zeman. Im Linzer Vereinshaus spielte ich vor und rückte dann im Oktober nach Ebelsberg zur Grundausbildung ein.
Doch nach sechs Wochen musste ich meinen Traum von der Militärmusik begraben, da wegen der Mobilmachung keine neuen Musiker aufgenommen wurden. Ich bekam einen Brief, in dem stand, dass ich Panzerfahrer werden müsste. In Treffling befand sich die Panzerfahrschule, die sechs Wochen dauerte.
Dann kam ich auf den Truppenübungsplatz Allentsteig ins Manöver. Unsere M47-Panzer hatten 1000 PS und die Besatzung bestand aus fünf Soldaten. 50 Granaten hatten wir an Bord, konnten allerdings nur schießen, wenn der Panzer stand.
Nach den Manövern begann der Grenzeinsatz. Wir fühlten uns nicht sehr gut ausgebildet und hatten Angst. Noch heute bin ich froh, dass keiner von uns aus Versehen einen Schuss losgelassen hat. Wir hatten großes Glück.“
Eine kleine Geschichte des Friedens
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Global hatte ich die ganze Zeit als trocken und heiß in Erinnerung, ich kam gerade vom Ernteurlaub zurück.
Jetzt erinnere ich mich wieder: Am Abend fuhren wir zur Grenze und wollten an einer Bucht in einem Berghang unser Zelt aufstellen, ein Haflinger sollte uns leuchten, auch beim Abladen vom LKW.
Es begann leicht zu regnen, da wurde der Haflinger abgezogen für einen wichtigen Transport, die Wachmannschaft lud das Zelt und was dazugehörte wieder auf den LKW. Es wurde eine lange Nacht an der Grenze, und erstmals außerhalb des Schießplatzes scharfe Munition in den Magazinen.
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Das ist eine persönliche Momentaufnahme und in keiner Weise vergleichbar mit dem, was die Grenzlandbevölkerung er-lebte in den Jahrzehnten davor und danach.
Danke an die Redaktion für diesen Artikel, der am Beispiel Leopoldschlag die ganze Grenze beispielhaft beschreibt.
+ Tschego
Das Beispiel macht’s anschaulich. Ähnlich oder gleich betroffen waren natürlich weite Landstriche.
+ Tschego
Das Beispiel macht’s anschaulich. Ähnlich oder gleich betroffen waren natürlich weite Landstriche.
Jetzt ist es mir klar. Die FPÖ hat aus der Geschichte "gelernt" und biedert sich an Russland an, weil Kickl und Strache Zäune so gerne haben. Genau an jenen Putin, der in der UDSSR-Zeit KGB-Offizier der Kommunisten war.
https://de.wikipedia.org/wiki/Wladimir_Wladimirowitsch_Putin
Dank Kurz und Strache ist Österreich in Europa immer mehr isoliert. Wien hat in der EU keine Handschlagqualität mehr und auch die Brückenfunktion zwischen Ost und West ist wegen einer deutlichen Russenschlagseite nach nicht einmal einem Jahr Türkis-Blau flöten gegangen.
Das wird Österreich sehr viele Jobs kosten, denn mit Verrätern und EU-Querulanten macht meine keine Geschäfte mehr.
Was für ein parteipolitischer Unsinn.
Flüchtlinge und Migranten vom selben Kontinent oder gar vom Nachbarland sind nicht zu vergleichen mit weitgereisten Wirtschaftsflüchtlingen von anderen Kontinenten.
Alles ist "zu vergleichen" und es schadet überhaupt nicht, dass dabei Überraschungen entstehen
Alle Menschen kommen vom Raumschiff Erde.....
Wenn du deine elitären, sozialistischen Abgrenzereien zurücksteckst, dann reden wir weiter über das Thema "wir sind alle ..."
Auch der allwissenden und immer Recht habende jago wird mir meinen Idealismus nicht abgewöhnen können.
Ich finde Ihren elitären Fatalismus alles andere als in Ordnung. Zu sagen, es is eh alles Scheisse, drum geh ich erst gar nicht wählen, mag Ihre Lösung aller Dinge sein, meine Lösung ist das sicher nicht.
Aber aus völlig anderer Motivation heraus...
Die Parteien verursachen Grenzen zwischen den Menschen im Land. Dass sie sich "demokratisch" nennen, ist eine Heuchelei.
Gehen sie in den schatten ,nicht das sie mir kolabieren....
Möglicherweise hätte man früher an der Grenze mit den Flüchtlingen genauso tun sollen wie einige östliche Nachbarn heutzutage, dann wäre jetzt ein Umdenken da und nicht so ein Streit in der EU, da streuben sich doch einige gegen die gemeinsame Aufteilung......wohlgemerkt nicht die Kriegsflüchtlinge gemeint ! Wirtschaftsflüchtlinge finden auch vom Osten immer noch zu uns weil die Entlohnung bei uns höher ist und drücken bei uns die qualifizierten( z.B. Dipl. Krankenschwestern bei 24 Std. Hilfe aus dem Markt). Für sich Betroffene gilt natürlich die Unschuldsvermutung!
Das war Nächstenliebe
und nicht Fernstenliebe der Retter der ganzen Welt
Sehr vereinfacht siehst du das. Nur das, was du sehen möchtest.
Ich halte dem mal entgegen:
Wenn sie schon da sind, sind sie dir nah.
Auch Christus ist umhergezogen.
Hat Christus nur die in seinem Land angesprochen oder soll seine Lehre für die ganze Welt gelten?
Mitdenk, denke an Paulus.
Und Christus’ höchstes Gebot? Warum wird das so gern vergessen?
Ich denke doch, dass das höchste Gebot das der Liebe ist. Und das ist mir heilig.
Mit dem Karlchrist braucht man nicht über Jesus reden. Mit dessen Lehre hat der Spacco so wenig am Hut wie der Trump mit dem Kommunismus.
Das ist viel tragischer: die Trump-Wähler sind weitaus mehrheitlich Fundamentalisten, die "glauben", dass Gott de Welt fix und fertig so erschaffen hat wie sie ist.
Mei liab, der fundamentalistische Sektierer "Karlchristian" hat diese Meinung geschrieben
Gott hat vor 6000 Jahren die Welt erschaffen und die Evolution ist eine Erfindung des Teufels .
so, als hätten wir genug Leute, die unseren Dreck wegputzen - machst du das?
Ach - was bin ich dpch elitär