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"Bitte informieren sie die ganze Welt"

Von Josef Achleitner   18.August 2018

Die Bilder, die die OÖNachrichten am 22. August 1968, am Tag nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes unter sowjetrussischer Führung, ihren Lesern lieferten, waren wie üblich schwarzweiß und wegen der Sendung per Funk nicht wirklich scharf. Dennoch gaben sie die Dramatik der Lage in Prag wieder: Männer und Frauen, die sich vor die Panzerkolonnen legten, um sie von der Weiterfahrt abzuhalten; zornige Menschenmassen im Zentrum von Prag, die die Invasoren als Faschisten beschimpften oder sie mit Hitlers 1939 einmarschierenden Wehrmachtssoldaten verglichen.

Die Seite 1 dominierte eine überdimensionale Karikatur des sowjetkommunistischen Kreml-Chefs Leonid Breschnjew mit den charakteristischen dicken Augenbrauen, aus dessen Mund Panzer und Kampfflugzeuge kommen. Daneben konnten die Leser die Chronologie der Ereignisse sehen: Um 2 Uhr früh hatte das noch unzensurierte Radio Prag gemeldet, dass um 23 Uhr ausländische Einheiten die tschechoslowakische Grenze überschritten haben und Fallschirmjäger abgesetzt worden sind.

"Bitte informieren sie die ganze Welt"

Regierungsstellen besetzt

Um drei Uhr früh begannen die Truppen, mit Panzern die wichtigsten Regierungs-, Parlaments- und Parteigebäude zu umstellen. Mehrere Tausend junge Prager demonstrierten vor dem Haus des kommunistischen Zentralkomitees und versuchten, die tschechische Fahne in die Panzerrohre zu stecken. Es gab die ersten Toten. Kurz nach fünf meldete die sowjetische Nachrichtenagentur TASS, die tschechischen Partei- und Regierungsspitzen hätten die Warschauer-Pakt-Staaten um Beistand gegen eine Konterrevolution gebeten.

Radio Prag meldete um 7.16 Uhr: "Panzer rücken auf den Prager Rundfunk vor. Wenn sie in Kürze ungewohnte Stimmen hören, bedeutet das, dass wir nicht mehr als das legale Organ der legalen Regierung arbeiten." Eine Menschenmenge versuchte verzweifelt, die Panzer vor dem Funkhaus aufzuhalten. Doch diese walzten die in den Weg gestellten 10-Tonnen-Kräne weg.

OÖN-Arzt als Augenzeuge

Radio Prag meldete um 1.35 Uhr: "Das Ende ist nahe." Im Lauf des Vormittags trat dann das Befürchtete ein: "In unserem Haus sind bereits ausländische Soldaten. Wir verabschieden uns von euch, haltet uns die Daumen."

Die OÖNachrichten hatten durch Zufall einen Augenzeugen in Prag.

Der Linzer Arzt und OÖN-Medizin-Kolumnist Dr. Ernst Schneider, der als Besucher in der Stadt war, berichtete unter dem Titel "Sowjetpanzer fuhren rücksichtslos in die Menge". Schneider schrieb von bis zu 50 zivilen Toten, die Panzer hätten auch Menschen niedergewalzt, ganze Kolonnen geparkter Autos seien zerstört, einige Häuser rund um das nahe dem Wenzelsplatz gelegene Funkhaus ausgebrannt. Auch über verzweifelte Versuche, mit zivilen Mitteln gegen militärische Gewalt vorzugehen, schreibt er. Eine Gruppe sammelte Unterschriften gegen die Okkupation. Mit Transparenten forderten junge Leute vor dem Wenzel-Denkmal Freiheit.

Tschechische Nachrichten

Dem ORF kam damals eine besondere Rolle zu. Jiri Pelikan, der Chef des Tschechoslowakischen Fernsehens, ein Freund des damaligen ORF-Generalintendanten Gerd Bacher und des Fernsehdirektors Helmut Zilk, war nach dem Einmarsch untergetaucht. Von wechselnden Stationen aus organisierte er mit TV- und Radiokollegen etwa 40 Sender im ganzen Land, die mit Informationen den Widerstand unterstützten. So wurden die Invasoren durch entfernte oder verstellte Straßenschilder in die Irre geführt. In den Sendungen erfuhren die Tschechen, welche Autonummern die Fahrzeuge der sowjetischen Verhaftungstrupps hatten und wo Straßensperren zu erwarten waren.

Zeitweise waren die Geheimsender die wichtigste Informationsquelle der ausländischen Medien. Pelikan und Freunde arbeiteten in enger Kooperation mit dem ORF. Die Österreicher informierten ausführlicher als andere über die Vorgänge. Gleichzeitig sendeten sie auch tschechische Nachrichten, die bis in die Vororte von Prag zu hören waren.

"Bitte informieren sie die ganze Welt"
Letzter Appell aus dem Sender Brünn: Lubomir Popelka

Gegen Ende übernahm das ORF-TV den Aufruf von Lubomir Popelka, dem Sprecher des Senders Brünn: "Liebe Freunde in Österreich. Ich spreche jetzt aus Brünn. Wir sind vielleicht noch die einzigen, die noch senden können. Ich weiß aber nicht, wie lange. Ich bitte alle: Informieren Sie die ganze Welt, besonders den Generalsekretär U Thant. Wenn die Situation kommt, bitte ich die Kollegen in Wien, damit sie die kürzeren Informationen von der Situation in der tschechischen Sprache senden. Ich danke aus dem ganzen Herzen."

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19. April 2024