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Der traurige Arzt, der tausende Mütter rettete

30. Juni 2018, 00:04 Uhr
Der traurige Arzt, der tausende Mütter rettete
Hygiene unbekannt: In Straßenkleidung wurde zu Zeiten Semmelweis’ operiert und seziert. Bild: Soutworth

Vor 200 Jahren wurde Ignaz Semmelweis geboren. Er entlarvte den "Dämon Kindbettfieber". Erst posthum wurde er anerkannt.

Ein österreichisches Schicksal – obwohl gebürtiger Ungar – erlitt der Arzt Ignaz Semmelweis (1818–1865), dessen Geburtstag sich am 1. Juli zum 200. Mal jährt. Als "Retter der Mütter, der Wöchnerinnen" wurde er bezeichnet, freilich erst posthum. Sein großes Verdienst: Er erkannte in der mangelnden Handhygiene des Spitalpersonals die Ursache für das Kindbettfieber, an dem Abertausende Frauen Mitte des 19. Jahrhunderts starben.

Semmelweis’ Studie von 1847/48 gilt heute als erster Fall von evidenzbasierter Medizin. An der I. Gebärklinik in Wien war es damals üblich, dass Medizinstudenten und Ärzte nach Obduktionen die Wöchnerinnen mit ungewaschenen Händen untersuchten. Noch waren potenziell tödliche Keime, die dabei übertragen wurden, etwa Streptokokken, Staphylokokken, Gonokokken oder Escherichia coli, unbekannt. Die Todesrate unter jungen Müttern lag zwischen zehn und 30 Prozent.

Der traurige Arzt, der tausende Mütter rettete
"Sollten Sie aber, Herr Hofrat, ohne meine Lehre widerlegt zu haben, fortfahren, Ihre Schüler und Schülerinnen in der Lehre des epidemischen Kindbettfiebers zu erziehen, so erkläre ich Sie vor Gott und der Welt für einen Mörder.“ Semmelweis an Dr. Scanzoni 1861 Bild: Hawes

Blutvergiftung

Anders in der II. Gebärklinik in Wien. Dort kümmerten sich keine Ärzte, sondern Hebammen um die Frauen, die Fallzahlen von Puerperalfieber lagen bei drei Prozent. Dazu kam, dass Semmelweis’ Freund, Prof. Kolletschka, nach einer Verletzung durch ein Skalpell während einer Obduktion Tage später an Blutvergiftung starb. Der Assistenzarzt erkannte, dass die Ärzte und Medizinstudenten selbst die Überbringer der Infektionen waren. Für den sensiblen Semmelweis eine erschütternde Erkenntnis, fungierte er doch selbst als Überträger, da er vormittags sezierte und später behandelte.

Bis zu jenen Tagen galten die Ursachen des Kindbettfiebers als irgendwelchen atmosphärischen oder kosmischen Einflüssen geschuldet, ja sogar dem Schamgefühl oder dem Ausbleiben der Menstruation. Die Lehre von diesem "Genius epidemicus" vertrat damals Friedrich Wilhelm von Scanzoni (1821–1891) in seinem weit verbreiteten "Lehrbuch für Geburtshilfe". Er und die Mehrheit der Fachwelt ließen sich von Semmelweis’ Erkenntnissen nicht überzeugen, obwohl praktische Beweise vorlagen, dass sich durch Waschen der Hände die Sterblichkeit in den Geburtskliniken drastisch verringern ließ. Semmelweis publizierte spät und lieferte sich dann erbitterte Kämpfe mit seinen Gegnern. "Herr Hofrath (Scanzoni, Anm.) hatte 13 Jahre lang recht, weil ich 13 Jahre lang schwieg", schrieb er 1861 in einem seiner offenen Briefe. Darin nahm sich der enttäuschte, beleidigte und unter Kollegenintrigen leidende Semmelweis kein Blatt vor den Mund. Todesfälle durch Kindbettfieber in Scanzonis Klinik bezeichnete er als "Mordthaten", Scanzoni selbst als "medizinischen Nero".

Semmelweis-Reflex

Die Polemiken zerstörten den Ruf von Semmelweis, aber auch der Stern Scanzonis und seiner Anhänger sank. In den späten Auflagen seines Geburtshilfe-Lehrbuchs musste Scanzoni die Hygiene-These übernehmen, was erst nach dem Tod von Semmelweis geschah. Der Wegbereiter der Krankenhaushygiene wurde Professor in Pest, kehrte später nach Wien zurück und erlitt eine Geisteskrankheit, die ihn in die "Landesirrenanstalt Döbling" brachte. Dort starb er an einer Sepsis, nachdem er von Wärtern verprügelt worden war.

Studien zufolge sterben in Europa jährlich zirka 150.000 Menschen an Spitalskeimen – mehr als im Straßenverkehr. Die ungeprüfte Ablehnung neuer Erkenntnisse durch die Fachwelt heißt Semmelweis-Reflex. (but)

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7  Kommentare
7  Kommentare
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Milka (2.615 Kommentare)
am 30.06.2018 19:38

Die dogmatische und arrogante Einstellung der damaligen "Fachwelt", hatte unzählige Frauen auf dem Gewissen, solch Sturheit gleicht wirklich einem vorsätzlichen Mord. Abgesehen davon, der normale Hausverstand, hätte auch damals jedem denkenden Menschen sagen müssen -(auch wenn es damals schlechte hygienischen Zustände gab) -wenn ich vorher meine Finger im Inneren von Toten habe, danach die Hände zu waschen.

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jago (57.723 Kommentare)
am 30.06.2018 15:12

> Die ungeprüfte Ablehnung neuer Erkenntnisse durch die Fachwelt heißt
> Semmelweis-Reflex.


Das habe ich noch nie gehört, wahrscheinlich gilt das nur bei den Briefmarkensammlern.

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Harbachoed-Karl (17.883 Kommentare)
am 30.06.2018 17:20

Das glaub ich dir schon und du bist nicht der einzige.
Müßtest freilich auch etwas mit Wissenschaft zu tun haben.

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bernhardb. (1.696 Kommentare)
am 02.07.2018 14:59

Heute würde man das Mobbing nennen.

PS: Alfred Wegeners Theorie der Kontinentalverschiebung wurde auch erst posthum anerkannt.

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Gugelbua (31.807 Kommentare)
am 30.06.2018 11:57

so einen Mann bräuchten wir heute auch um die vielen Toten durch Krankenhauskeime in den Griff zu bekommen !

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Harbachoed-Karl (17.883 Kommentare)
am 30.06.2018 17:21

Was willst denn mit Leichnamen machen?

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Harbachoed-Kater (4.909 Kommentare)
am 30.06.2018 08:33

Es war das Neunzehnte.
Die Rede „Jedem können Fehler passieren“ sollte Ansporn sein,
einen tauglichen Korrektor einzustellen,
fürstlich zu entlöhnen
und gut zu behandeln.

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