Sie leben sagenhaft
Ein altes Häuserl unter Linden, daneben ein rauschender Bach – Märchenerzähler Helmut Wittmann und seine Frau Ursula, die kochende Wittmannin, haben ihren Traumplatz in Grünau im Almtal gefunden. Bernhard Lichtenberger und Alexander Schwarzl (Fotos) haben sie besucht – und dabei den Kopf eingezogen.
Vor langer, langer Zeit, war’s gestern oder war’s heut – so beginnen Geschichten, wenn sie aus Helmut Wittmanns Mund kommen. Auf denselben ist der seit 27 Jahren hauptberufliche Märchenerzähler nicht gefallen, und so sprudelt es aus ihm nur so heraus. Es genügt, ihm ein Stichwort als Hölzl hinzuwerfen. Umgehend apportiert der 59-Jährige druckreif formuliert eine Legende aus seinem reichhaltigen Fundus.
Besonnen hält sich seine Frau Ursula zurück. Die 53-Jährige, von ihrem Gespons gelegentlich liebevoll Wittmannin geheißen, lässt gerne den Kochlöffel sprechen. Mit ihren fabelhaft mundenden Gerichten, von denen der bekochte Gemahl im weltweiten Netz schwärmte, fütterte sie eine Fangemeinde an. Via Facebook wurde deren Appetit auf die Rezepte gestillt – bis aus der sich wiederholenden Mühsal eine Idee entstand. Wieso die Wittmann’sche Kulinarik nicht gleich zwischen zwei Buchdeckel packen, mit heimischen Festen und Bräuchen garnieren und mit zauber- und sagenhaften Legenden des Geschichten-Jägers- und -Hegers abschmecken?
Folglich rührte die 53-Jährige für das diesen Monat erscheinende Buch "Das Geschenk der zwölf Monate" in der räumlich bescheidenen Küche des Geschichte atmenden Häuschens im Fischereck ordentlich um. Bei der Auswahl der Gerichte hat sich Ursula Wittmann ganz auf ihr Bauchgefühl verlassen. "Es musste halt stimmig zu den Geschichten und zur Jahreszeit passen, wobei das Regionale im Vordergrund stand", sagt sie und zaubert aus Kräutern, die sie eben im Garten gezupft hat, eine köstliche Erfrischung, die sie schlicht "das grüne Getränk" nennt. "Ich bin schon bei den Großeltern immer in der Kuchl gestanden, und wenn Mama und Papa im Frühsommer Marmeladen und Saft einkochten, habe ich die Ribisel abgerebelt, während der Cousin sie im Mund verschwinden ließ."
Unter ihrem kleinen Kochkunst-Revier verbirgt sich ein genießbarer Schatz. Ursula Wittmann zieht eine Klappe im Küchenboden hoch. Ein steiles Treppchen führt hinunter zu den prall gefüllten Regalen. In Gläsern und Flaschen reihen sich Marmeladen an Kräuter- und Fruchtsäfte, saures Gemüse an Kompotte und Pestos sowie an Eierschwammerl, die in Salzlake oder Essig eingelegt wurden.
Seit 21 Jahren wohnen die Wittmanns hier. "Das Haus hat uns gefunden", ist Ursula überzeugt. Auch wenn das mit den Türstöcken so eine Sache ist. Den zur Küche hat selbst Helmut einmal handfest gescholten, nachdem er seiner Mannsgröße von 168 Zentimetern schmerzhaft im Wege stand. "Früher sollte wohl eine Demutshaltung eingenommen werden, wenn jemand ins Haus kam", sagt Helmut über die "erniedrigende" Architektur und lacht schallend. In der Ecke der Stube, dort, wo andernorts Kruzifixe ein Platzerl haben, entdeckt der Gast einen modellierten Gnom. "Das ist unser Herrzwergswinkel", so der verschmitzte Märchenerzähler.
Von der Sonnenbank an der Straßenfront schweift der Blick über Blumenwiesen hinauf zur Falkenmauer, auch Almtaler Matterhorn genannt. Vom ausgebleichten Geweih über der hölzernen Haustür baumelt ein Bündel Johanniskraut. Ein alter Spruch lautet: "Johanniskraut, ich segne dich, heilst das Jucken und den Stich, und die Macht der Hexe brich."
Reinigendes Feuerspringen
Die Wittmanns pflücken die antidämonische Heilpflanze jedes Jahr zur Sommersonnenwende. Das gehört für sie genauso zum 21. Juni wie das Sonnwendfeuer und der schneidige Sprung über selbes. "Das wirkt reinigend", schreibt Helmut im neuen Werk, das sich als praktisches Handbuch fürs gute Leben versteht. "Wer gleich neunmal übers Sonnwendfeuer springt, lässt nicht nur die eigene Lebenslust auflodern, sondern tut auch etwas gegen Fuß- und Kreuzschmerzen."
An Lebenslust mangelt es den naturverbundenen Eltern von fünf Kindern im Alter von 13 bis 30 Jahren ohnedies nicht. Die weckt zudem das gemeinsame Verweilen im Garten unter dem ausladenden Blätterdach der alten Baumbestände. "Unter den Linden zu sitzen, wenn es summt, brummt und duftet, ist ein Hochgenuss", sagt Ursula Wittmann. Den Angetrauten berauscht das vorbeifließende Wasser des Grünaubaches, der die Alm speist. Jeden Morgen zieht es ihn hinunter zum hölzernen Steg, wo einst die Frauen die Wäsche schwemmten. Flugs hinein, untergetaucht, und wieder hinaus. Sommers wie winters, natürlich im Adamskostüm. Denn: "Da in der Badehose reinzuhüpfen, da käm’ ich mir schon komisch vor", sagt Helmut Wittmann, der mit seinen Geschichten seit 27 Jahren professionell durch die Lande zieht, auch international, von Indien bis Iran.
Ursula, die im Märchen-Unternehmen angestellt und konstruktive Kritikerin ist, hat sich an drei Fragen zum Beruf ihres Mannes gewöhnt: Erzählt er dir auch Märchen? Kann man davon leben? Haben die Kinder auch etwas vom Vater?
Eine Frage wirft auch das Buch, das Tochter Heidemarie gestaltet hat, im Vorwort auf: Was macht ein glückliches Leben aus? "Dass man zu dem steht, was man tut, es aus vollem Herzen macht, und wenn es passt, mit einem Lied auf den Lippen oder einer Melodie im Kopf", sagt die Wittmannin. "Das Glück, das zu machen, was einen wirklich begeistert", sagt der Wittmann. "Und die Herzenswärme meiner lieben Frau." Und das ist kein Märchen. «
Märchen, Rezepte, Bräuche
Köstliches aus der alpenländischen Küche der Saison, Zaubermärchen, Sagen und Legenden und das alltägliche Brauchtum im Jahreskreis vereint der Wittmann-Band "Das Geschenk der zwölf Monate"
(Tyrolia Verlag, 256 Seiten, 29,70 Euro).
Präsentation am 22. Juni, 18 Uhr, Gasthof Silmbroth in Viechtwang im Almtal.
Rezepte aus dem Almtal
Das grüne Getränk >>> Zum Rezept
Augsburger mit Petersilienkartoffeln und Mangold-Kohlgemüse >>> Zum Rezept
Hollerstrauben >>> Zum Rezept
Bulgur mit Gemüse und Putenstreifen >>> Zum Rezept
Marillenknödel >>> Zum Rezept
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