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„Man musste weggehen von Linz“

Von Laura Gassner, Isabella Kienast, Herbert Schorn, 19. Mai 2018, 00:04 Uhr
Valie Export Bild: Carolina Neuwirth

1967 wurde die in Linz geborene Waltraud Lehner zur Performance-Künstlerin VALIE EXPORT. 1968 entstand ihr erstes bekanntes Werk, das „Tappund Tastkino“. Im Gespräch mit den Studentinnen Laura Gassner und Isabella Kienast sowie OÖN-Redakteur Herbert Schorn schildert sie das miefige Linz der 50er-Jahre, die Utopien der 68er und ihre Lust an der Provokation.

Wie haben Sie Linz in den 1950er-Jahren erlebt? 

Sehr drastisch. Ich machte in der Kunstgewerbeschule eine Textilausbildung. Es gab durch die Musik und die Neue Galerie eine kleine Aufbruchsszene in Linz. Der Beginn waren der Rock’n’Roll und Elvis Presley. Es gab kleine Lokale, in denen wir zu diesen Platten getanzt haben. 

Was hat Sie damals künstlerisch beeinflusst? 

Vor allem Alfred Kubin. Durch ihn lernte ich, was ein Strich und was eine Zeichnung ist. Er hat mein künstlerisches, ästhetisches Bewusstsein beeinflusst. Ende der 50er-Jahre ging ich nach Wien, weil nichts los war in Linz. Man musste weggehen von Linz, weil nichts geboten wurde, weil man sich mit nichts auseinandersetzen konnte. 

Hat sich das mittlerweile geändert? 

Ja, Linz ist in den vergangenen zehn, 20 Jahren aufgeblüht. In den 50er-Jahren hat alles gestunken von den Stickstoff-Werken und der Kaffeefabrik. Das Klima war nicht gut, die Gärten waren vernachlässigt, weil man kein Geld hatte. 

Wie würden Sie das gesellschaftliche Klima damals beschreiben? 

Das war eine ganz geschlossene Atmosphäre. Das Nazitum war noch sehr spürbar. Da war keine Offenheit. Es war sehr katholisch. Überall haben die Kirchenglocken geläutet. Die Leute hatten noch Angst. 

Wovor? 

Der Krieg war noch nicht lange vorbei, die Amerikaner und Russen waren noch da. 

Smart Export Bild: Gertraut Wolfschwenger

Und Wien war offener? 

Ja, das war ganz anders. In Wien lernte ich durch die Textilfachschule viele Leute, vor allem Künstler, die Kunstszene und ihre Lokale kennen. 

1968 führten Sie erstmals Ihre wohl bekannteste Performance, das „Tapp- und Tastkino“, durch. Dabei trugen Sie über Ihren nackten Brüsten einen Kasten mit Vorhängen, durch den die Besucher 33 Sekunden lang die Brüste berühren konnten. Wie fühlte sich die Auslieferung des weiblichen Körpers an? 

Es war keine Auslieferung. Ich wusste ja, worauf ich mich einlasse. Das „Tapp- und Tastkino“ war ein kleiner Kinosaal mit Vorhängen, die Hände waren die Besucher und Besucherinnen. Das war kein Ausliefern, mir ging es um den Voyeurismus eines jeden Kinobesuchs. 

War das mit Schamgefühl verbunden? 

Für die Besucher ja, für mich nicht.

Was ging in den Köpfen der Teilnehmer vor? 

Das kann ich nicht sagen. Aber was auffällig war: Alle haben mir in die Augen geblickt und ich ihnen. Der Blick ist ja etwas Wesentliches im Kino, nur schaute man eben bei mir keine Leinwand an, sondern der Darstellerin richtig in die Augen. Manche waren belustigt, manche überrascht. Ich habe das Tapp- und Tastkino öfter gemacht, auch auf der Straße, aber immer nur eine Viertelstunde. Ich wollte ja keine Sensation erreichen, was vielleicht heute der Fall wäre. Die Leute draußen haben gelacht. Das war so überraschend für alle. Das war eine der ersten öffentlichen Performances im urbanen Raum. 

Hätte die Aktion heute noch denselben Effekt? 

Heute könnte man das nicht mehr machen. Heute wäre sofort die Polizei da. Obwohl man glaubt, heute ist alles freier. Für die Leute wäre das nicht mehr zu verstehen, weil sie darin nur noch die Sensation sehen würden. 

Von li. nach re.: Maria Weinberger (Lehrende), Laura Gassner (Studentin), Herbert Schorn (OÖN-Redakteur), Valie Export, Isabella Kienast (Studentin) Bild: Carolina Neuwirth

Waren die Leute damals für so eine Aktion sensibler? 

Sie waren einfach nicht darauf gedrillt, alles negativ oder als Sensation zu sehen. Sie haben es einfach so wahrgenommen, wie es sich dargestellt hat. Sie haben nicht gleich interpretiert. Es war ein besonderer Moment. 

Vielleicht deshalb, weil es damals nichts Vergleichbares gab? 

Genau. Die Überraschung war, dass eine Frau dasteht und ihre Brüste 33 Sekunden lang zur Berührung anbietet. Für mich war es damals einfach befreiend, dass ich das machen konnte. Dass ich keine Hemmungen oder Ängste hatte. Für Künstlerinnen und Künstler ist es wichtig, dass ihre Arbeiten auch ihnen selbst Befreiung geben und nicht nur von den Rezipienten aufgenommen werden. 

Eine weitere provozierende Performance war die „Aktionshose : Genitalpanik“, bei der Sie 1968 mit einer im Schritt offenen Hose durch ein Münchner Kino gingen. Woher kam der Mut, so ein Werk umzusetzen? 

Man hat sich damals als Künstlerin sehr stark mit dem eigenen Körper beschäftigt, mit seinen Symbolen und Codes. Als Künstlerin ist es selbstverständlich, das zu machen, was man will und muss. Es ist nicht allein der Mut, sondern auch die Selbstverantwortung und die Selbstverständlichkeit, dass man das macht. Wenn man etwas selbst von sich heraus tut, muss man immer mutig sein. 

Wie wichtig war bei alledem die Provokation? 

Sie war schon sehr wichtig, weil man die Rezipienten dadurch auffordert, sich mit einem Thema zu beschäftigen, positiv oder negativ. Wichtig ist die Auseinandersetzung. 

Und das war anders nicht zu erreichen? 

Nein, da muss man schon herausfordern. Aber das ist ja in anderen Kunstformen, etwa der Literatur oder der Musik, dasselbe. Auch Mahler oder Musil haben herausgefordert, auf ihre Weise. 

Ist Kunst Provokation? 

Ja, Kunst ist Provokation, eben um eine Auseinandersetzung zu erreichen. Kunst ist dadurch aber auch politisch, weil sie eine Wahrnehmung herausfordert, die wir in unserem ganzen Leben brauchen. Damit wird unsere Sensibilität geschärft, mit der wir auch die Politik verstehen können und wie sie mit uns umgeht. 

Wie war das, wenn man als Frau damals Tabuthemen ansprach? 

Da hat fast niemand zugehört. Man hat den Frauen keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. 

Hatten Sie nie Angst, missverstanden zu werden? 

Dass man missverstanden wird, ist klar. Aber Angst davor hatte ich nie. 

Hätte die „Aktionshose : Genitalpanik“ heute noch denselben Effekt oder ist die Gesellschaft dafür schon zu abgehärtet? 

EXPORT: Ich glaube, dass auch hier die Leute die Polizei rufen würden. Was meinen Sie? 

Gassner: Ich glaube, manche würden sich schrecken, aber es würden weitaus nicht so viele Leute den Saal verlassen. 

Im Gespräch mit Valie Export Bild: Carolina Neuwirth

Kienast: Die Leute würden eher hingehen und Fotos machen ... 

Gassner: und dann sofort posten. 

Neuwirth: Die Leute wären viel zu sensationsgeil, als dass sie weggehen würden. Ich glaube, dass die Leute heute aufgeschlossener wären, gerade wenn es vor kunstaffinem Publikum passiert. 

EXPORT: Es würde dann zur Eventkultur werden. Nach dem Motto: Da passiert was, das schauen wir uns an, das filmen wir skrupellos. 

Würden Sie es heute noch einmal machen? 

Nein. Ich mache keine Remakes. Es ist eine andere Zeit, es sind andere Voraussetzungen, es ist ein anderes Klima. Das hat keinen Sinn. 

Wie haben Sie die 68er-Bewegung erlebt? Sehen Sie sich als Teil davon? 

Es ging um Studenten-Auseinandersetzungen, weniger um eine künstlerische Bewegung. In Österreich ist nicht viel passiert. Für mich war es eine Zeit, in der man über Utopien sprechen konnte und wollte. Man sehnte herbei, dass sich etwas ändert, dass es eine Progression gibt und alles offener wird. Das war für mich 68. Auch dass das Nazitum sichtbar wird. Die Bevölkerung wusste zwar, dass es noch viele Nazis gab, aber das war kein Thema. 

Sind Sie Teil der 68er-Bewegung? Sind Sie eine 68erin? 

Ja, aufgrund meiner künstlerischen Aktionen. 

Was ist von der 68er-Bewegung geblieben? 

Ich glaube, den Leuten wurde nach und nach bewusst, wie die Gesellschaft funktioniert, nach welchen Mechanismen und Regeln sie arbeitet.

 

Das „Tapp- und Tastkino“

Dabei hatte VALIE EXPORT einen Kasten umgehängt. Besucher konnten 33 Sekunden lang durch Vorhänge hindurch ihre nackten Brüste berühren. „Das Tapp- und Tastkino war ein kleiner Kinosaal mit Vorhängen, die Hände waren die Besucher und Besucherinnen. Bei der ersten Präsentation bei einem Filmfestival in Wien gab es einen großen Aufruhr, viele Filmemacher sagten: ‚Ist das überhaupt noch Kino?’“ Inhaltlich ging es VALIE EXPORT um eine Umkehrung des Voyeurismus im Kino: „Jeder Kinobesuch ist ein Voyeurismus.

Valie Export mit dem Tapp- und Tastkino Bild: Werner Schulz

Normalerweise sieht der Besucher den Körper der Schauspieler auf der Leinwand als Abbild. Der Besucher ist Voyeur und sitzt im Dunkeln und ihm passiert nichts. Ich wollte das umkehren. In meinem kleinen Kinosaal war der Busen wirklich vorhanden, man konnte ihn aber nicht sehen, nur berühren, ertasten. Aber der Besucher war dem voyeuristischen Blick der anderen ausgesetzt. Sie sahen zwar nicht, was im Kino los ist, aber ganz genau, wie der Zuschauer das Kino besuchte. Das war eine Umkehrung.“ 

Die „Aktionshose:Genitalpanik“ 

„Das war eine Fortsetzung des Tapp- und Tastkinos“, sagt VALIE EXPORT. Für diese Arbeit ging sie mit einer Hose, die im Schritt geöffnet war, durch die Sitzreihen eines Münchner Kunstkinos. „Ich ging bei eingeschaltetem Leinwandlicht durch die Reihen. Hier ging es wieder um das Prinzip, dass die Leute in natura sehen, was sonst auf der Leinwand gezeigt wird. Das war den Leuten sehr unangenehm. Das hat sie herausgefordert, weil sie nicht damit umgehen konnten, dass man so etwas sieht. Viele gingen nach hinten oder aus dem Kino. Ich glaube, ich schaffte nur eineinhalb oder zwei Reihen, dann war das Kino leer.“

VALIE EXPORT

VALIE EXPORT zählt heute auf internationaler Ebene zu den renommiertesten Vorreiterinnen konzeptueller Medien-, Performance- und Filmkunst. Bis heute treibt sie die Beschäftigung mit zentralen Begriffen wie Identität und Kommunikation, Repräsentation und Reflexion an. Ihr Material sind ihr Körper oder technologische Werkzeuge, die sie als Erweiterung des Körpers versteht. Ihr vielschichtiges Werk umfasst u. a. Video- Environments, Fotografie, Installationen, Body Performances und Film. Sie lebt und arbeitet in Wien. 

  • 1940 Waltraud Lehner erblickt in Linz das Licht der Welt.
  • 1955–1958 Besuch der Kunstgewerbeschule Linz.
  • 1960–1964 Umzug nach Wien; dort absolviert sie die Abteilung Design an der Höheren Bundeslehr- und Versuchsanstalt für Textilindustrie mit Diplom.
  • 1965–1968 Regelmäßige Jobs in der Filmbranche als Cutterin, Scriptgirl und Filmkomparsin.
  • 1967 In diesem Jahr findet die Künstlerin zum Namen VALIE EXPORT, indem sie ihren Spitznamen mit einer überklebten Smart-EXPORT-Zigarettenschachtel kombiniert. Die Namensfindung und die Fixierung der Schreibweise in Großbuchstaben stellen schon früh wichtige inhaltliche Weichen im Werk der Künstlerin. Es geht um Prozesse des Sichtbarmachens bzw. -werdens und um das Erweitern (das EXPORTieren) des Inneren nach Außen.
  • 1967–1968 Erste Expanded-Cinema-Arbeiten entstehen, die darauf abzielen, die Grenzen der herkömmlichen Filmproduktion mithilfe technischer Mittel zu überschreiten, um das Medium Film als solches sichtbar zu machen. So eröffnen z. B. Mehrfachprojektionen neue filmische Seh- und Erlebensweisen.
  • 1968 VALIE EXPORT macht mit Performances wie „Tapp- und Tastkino“ oder „Aktionshose : Genitalpanik“ (1969) von sich reden. Ab jetzt ist sie mit ihren medienreflexiven und feministischen Arbeiten kontinuierlich in internationalen Kunstausstellungen u. a. in London, Shanghai, Berlin, New York und Los Angeles vertreten.
  • 1977 Teilnahme an der documenta 6 in Kassel.
  • 1981 Seit den frühen 1980ern gibt die Künstlerin ihr Wissen in zahlreichen Lehraufträgen und Gast-Professuren an internationalen Universitäten aktiv weiter.
  • 2007 Teilnahme an der 52. Biennale di Venezia. In ihrer Performance „the voice as performance, act and body“ wird ihre Stimmritze (glottis) während ihres Vortrages mit einem Laryngoskop aufgenommen und parallel auf vier Monitore übertragen.
  • 2010 Das Lentos Kunstmuseum Linz und das Belvedere Museum Wien würdigen die Aktualität und Bedeutung ihres Werks mit der Ausstellung „Zeit und Gegenzeit“.
  • 2015 Die Stadt Linz erwirbt den Vorlass der Künstlerin. Das VALIE EXPORT Center ist in der Linzer Tabakfabrik beheimatet und gilt als umfangreichstes Materialkonvolut VALIE EXPORTs, das heute als Forschungszentrum der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.
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