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Orgasmus und Revolution

Von Bernhard Lichtenberger, 05. Mai 2018, 00:04 Uhr
Orgasmus und Revolution
1968, Kommune 1: Das Foto ist in der Architektur-Ausstellung "Together" bis 1. Juli im CID au Grand-Hornu nahe dem belgischen Mons zu sehen. Bild: Werner Bokelberg

Sie provozierten und kopulierten, entwarfen ein antiautoritäres und politisch motiviertes Lebensmodell. Nach knapp drei Jahren war 1969 der revolutionäre Elan der Berliner Kommune 1 vorbei.

Zur gleichen Zeit, da sich im Jänner 1967 im Golden Gate Park in San Francisco 30.000 Menschen zu einem Happening zusammenfanden, das zum "Summer of Love" führen sollte, gründete sich in Westberlin die Kommune 1. Dieses Matratzenlager mit wechselnden Adressen entwickelte sich aus der außerparlamentarischen Opposition der Studentenbewegung als Gegenmodell zur bürgerlichen Kleinfamilie. Diese wurde nicht nur als spießige Form des Zusammenlebens gebrandmarkt, sondern auch als Keimzelle des Faschismus betrachtet. Zudem, so die Vorstellung, könnten sich Mann und Frau in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit nicht frei zum Menschen entwickeln.

Führende Köpfe der neuen Form des Zusammenlebens waren der Politaktivist Dieter Kunzelmann, der später als Spaßrevoluzzer gehandelte Fritz Teufel und der langhaarige Rainer Langhans. Antiautoritäre Erziehung, sexuelle Befreiung, Kritik am herrschenden gesellschaftlichen System in der prüden, kapitalistischen Nachkriegs-Epoche standen auf der To-do-Liste der Kommunarden.

Camp der Klatschspalten-Kasperl
Ex-Kommunarde Rainer Langhans Bild: dpa

Es gab genug Mief, den die Jungen nicht mehr gewillt waren, widerstandslos einzuatmen – von den undemokratischen Strukturen der Universitäten bis zum Kuppelparagrafen, der das Zusammenleben Unverheirateter unter Strafe stellte. Als Presslufthammer gegen die Verkrustungen bedienten sich die Normbrecher der Provokation, die anarchistische bis satirische Züge aufwies. Ikonisch für die Kommune 1 wurde das Foto, auf dem die nackten, an die Wand gestellten Mitglieder der Wohngemeinschaft der Welt ihren Allerwertesten zeigten. "Das Private ist politisch", lautete das Credo der Gruppe, die privates Eigentum ablehnte und die Privatsphäre auch dadurch auflöste, indem die Türen zum Badezimmer ausgehängt wurden.

Die Pudding-Farce

Die erste geplante Aktion, ein Anschlag auf den US-Vizepräsidenten Hubert H. Humphrey, der im April 1967 Berlin besuchte, ging als "Pudding-Attentat" in die Geschichte ein. Das Vorhaben flog auf, mehrere Studenten wurden festgenommen – und am nächsten Tag wieder freigelassen, da sich die Zutaten für die "Bombe" als Puddingpulver, Mehl und Joghurt herausstellten. Öffentlichkeitswirksam wurden später von der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche hunderte Mao-Bibeln geworfen. Der deutsche Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar bezeichnete die Kommunarden als "medialen Fixpunkt". "Die wurden ganz schnell zu Popstars des Protests."

Guerilla-Clown Fritz Teufel landete nach der Demonstration gegen den Schah-Besuch in Berlin, bei der am 2. Juni 1967 der Student Benno Ohnesorg erschossen wurde, in Untersuchungshaft. Ihm wurde vorgeworfen, einen Stein geworfen zu haben. Die Rededuelle, die er sich im anschließenden Prozess mit dem Richter lieferte, sind heute legendär: Als das Gericht Teufel zum Aufstehen aufforderte, seufzte der Angeklagte: "Wenn’s der Wahrheitsfindung dient ..." Der Satz wird noch heute zitiert, um die Sinnlosigkeit von Ritualen bloßzustellen.

"K I"-Mitgründer Ulrich Enzensberger schreibt in seinem Buch "Die Jahre der Kommune I" nicht ohne Selbstironie: "Wir sind die Erfinder der Spaßgesellschaft", zugleich spricht er auch vom "Schlangenei, aus dem die Rote Armee Fraktion gekrochen ist".

Chef-Provokateur war damals Kunzelmann. "Was geht mich der Vietnamkrieg an, wenn ich Orgasmusschwierigkeiten habe", lautet sein viel zitierter Ausspruch, der den Studenten den Ruf einbrachte, sich mehr für die freie Liebe als für den Weltfrieden und den Klassenkampf zu interessieren.

Das traf vor allem auf das zweite Kommunen-Jahr zu, in dem mit dem Einzug des Münchner Models Uschi Obermaier Sex, Drugs und Rock’n’Roll die politische Komponente verkümmern ließen. Das Lustprinzip und Entgleisungen führten zu Rauswürfen und gegen Ende des Jahres 1969 schließlich zur Auflösung der Kommune 1.

 

Zwischen Orgasmus und Vietnam

Der Schriftsteller Robert Schindel gründete 1967 die „Kommune Wien“.

 

„Im Vergleich zum Wind in Deutschland waren wir mit unseren Wiener Spaziergang-Demonstrationen ein Lüfterl“, sagt Robert Schindel im Gespräch mit den OÖN. Der 1944 in Bad Hall Geborene, dessen jüdische Eltern aus Frankreich nach Österreich geschickt wurden, um den Widerstand gegen das NS-Regime zu organisieren, brachte 1968 zusammen mit seiner damaligen Freundin die Lebensform der Kommune von Berlin nach Wien.

Zwischen Orgasmus und Vietnam
Robert Schindel beim Gespräch mit den OÖN. Bild: Alexander Schwarzl

Schindel: „Es herrschte eine schreckliche Prüderie, für uns 20- bis 25-Jährige war das völlig unverständlich. Wir mussten kilometerweit gehen, um wenigstens einmal die nackte Brust einer Frau zu sehen. Heute erleben wir genau das Gegenteil, aber damals empfanden wir die Verkündigungen der sexuellen Revolution als sehr prickelnd. Bis dahin waren wir von braven Nazis umgeben, die danach brave Wiederaufbauer waren.“ Zur Erinnerung: In Vorarlberg war in diesen Tagen das Tragen von Bikinis noch behördlich verboten.

Die „Kommune Wien“, der radikalste, aber in keiner Weise terroristische Teil der österreichischen Studentenbewegung, bestand aus rund 30 Leuten. „Der kurze Frühling der Kommune Wien hat vom Herbst 1967 bis zu der als ,Uni-Ferkelei‘ titulierten Hörsaalaktion am 7. Juni 1968 gedauert. Das war’s“, sagt Schindel.

Zwischen Orgasmus und Vietnam
Robert Schindel bei einer Verhaftung 1968 Bild: privat

Die deutschen Vorbilder seien damals nach Wien gekommen, um Instruktionen zu geben, „aber“, so erinnert sich Schindel, „sie waren auch ein bisserl arrogant und haben uns eher als niedlich empfunden. Das waren wir wahrscheinlich auch, abgemildert durch österreichische Träumerei und Schlamperei.“ In seinem Essayband „Die Fantasie und die Macht“ (Czernin Verlag) beschreibt Schindel das ideologische Dilemma: „Inakzeptabel waren die reinen Genussspechte, die sich in der Art äußerten: Was geht mich Vietnam an, ich habe Orgasmusschwierigkeiten. Ich wollte dazwischen sein. Keine Orgasmusschwierigkeiten, aber Solidarität mit Vietnam.“ (pg)

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