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Arbeitswelt zwischen Wunschkonzert und Pflicht

Von Klaus Buttinger, 28. April 2018, 00:04 Uhr
Arbeit kostet Zeit
Bild: Weihbold

Zwischen den Extremwerten „arbeiten, um zu leben“ und „leben, um zu arbeiten“ tut sich ein weites Feld an Lebensent-würfen auf. Anlässlich des (Feier-)Tages der Arbeit stellt sich die Frage nach Sinn und Identitätsstiftung von Arbeit heute.

Fragt man Studierende aus der Oberschicht an amerikanischen Universitäten nach den wichtigsten Parametern ihrer künftigen Arbeit, steht eines ganz vorne: Selbstverwirklichung. Ihr Job müsse sie intellektuell herausfordern und zum Selbstbild passen, er solle Sinn und Begeisterung stiften. Ja, man müsse den Job lieben können. Wie viel man damit verdiene und ob der Jobwunsch zur Arbeitsmarktsituation passt, ist zweitrangig. Hauptsache Leidenschaft. Passion Principle nennen Soziologen folgerichtig diesen Glaubensmechanismus. Ihr Prediger war Apple-CEO Steve Jobs (1955– 2011), der einst postulierte: „Deine Arbeit nimmt einen großen Teil deines Lebens ein. Nur wenn du einen tollen Job hast, für den du dich begeisterst, wirst du zufrieden sein. Wenn du den noch nicht hast, suche weiter. Gib nicht auf. Suche ihn mit aller Kraft, dann wirst du ihn auch finden.“

Ein Elitenphänomen aus dem Silicon Valley, sicherlich, doch suppte es in den vergangenen Jahren durch bis unten. Mittlerweile wird in Job-Inseraten bereits Leidenschaft von Putzfrauen und Regalbetreuern (allein das ist schon ein Euphemismus für Warenschlichter) erwartet. „Discounter – zum Beispiel – lassen Lehrplatzsuchende zu oft mehrtägigen Assessment-Centern anreisen“, sagt Christian Winkler, Geschäftsführer der Bischöflichen Arbeitslosenstiftung der Diözese Linz.

Die Bedeutung von Arbeit hat sich verändert. Der lebenslange Arbeitsplatz, an dem Wohl und Wehe hing, wurde zurückgedrängt. Andererseits: „Ich finde heute keine Mitarbeiter mehr, die sich wie wir früher völlig für die Firma verausgabten“, erzählt eine 50-jährige Werbeagentur-Chefin. Den Mitarbeitern von heute sei die Work-Life-Balance wichtiger. Vielleicht weil sie in Relation weniger verdienen als ihre Vorgänger? „Mag sein“, sagt die Unternehmerin, „vielleicht braucht die Erbengeneration das Geld auch nicht mehr so dringend.“

Überstunden? Gibt es nicht!

Lohn und Gehalt fungieren als Wertmaßstäbe in einer arbeitsteiligen Gesellschaft. Auch diese Sicht hat sich ausgeweitet. In trendigen Lifestyle-Firmen regieren All-inclusive-Arbeitsverträge. Hochmotivierte Mitarbeiter schauen nicht auf die Uhr. Überstunden gibt es nicht. Man arbeite doch nicht in einer Beamtenburg, man lebe den Job, heißt es. Davon profitieren Arbeitgeber umso mehr, je sektenartiger sie ihr Imperium definieren. Ein internationaler Softwareriese etwa stattete seine Arbeitsplätze in Wien mit allen Annehmlichkeiten aus – da steht der Wuzeltisch in der pipifeinen Cafeteria samt Garten, und im Besprechungsraum wähnt man sich in der Karibik. Unsichtbar für Besucher liegt dahinter eine Software, welche die Mitarbeiter rund um die Uhr an der elektronischen und kurzen Leine hält.

Demgegenüber sind oft Tätigkeiten von tatsächlich eminenter Bedeutung für die Gesellschaft schändlich bezahlt. Beispiel Kindergarten: Gehirnforscher sind sich einig, dass die Basis für ein gutes Leben bereits im Kleinkindalter gelegt wird. Jene Pädagoginnen aber, die sich im Kindergarten um frühe Förderung des Nachwuchses kümmern, sind am schlechtesten bezahlt. Wer so viel Gutes tut, der verdiene wohl mit Gotteslohn genug, möchte man sarkastisch anfügen.

Während Arbeit zunehmend als sinn- und identitätsstiftend glorifiziert wird, verdeckt die Gesellschaft das andere Ende der Erwerbstätigkeit: die Arbeitslosigkeit. Selbst in Zeiten brummender Konjunktur kann nicht von Vollbeschäftigung gesprochen werden – einst ein zentralgestirngleiches Politikthema. Vielmehr werden die Mittel für das Arbeitsmarktservice gekürzt.

Alex (18) kam vor vier Jahren mit ihren Eltern aus Polen nach Österreich, absolvierte die Pflichtschule und begann eine Lehre. Dann warf sie ein Unfall aus der Bahn. Seit einem Jahr arbeitet sie im Jugendprojekt „ju-can“ der Bischöflichen Arbeitslosenstiftung. „Eine ganz G’schickte“ sei sie, befindet Winkler, „sie sieht die Arbeit und übernimmt Verantwortung.“ Mehr als 30 Bewerbungen hat Alex, die ganz gut Deutsch spricht, in Richtung Gastronomie geschickt – jene Branche, die immer an der Front dabei ist, wenn es gilt, Personalmangel zu beklagen. Bisher gab es für die junge Freistädterin nur Absagen. „Das ist schon schwer“, sagt Alex, „es macht mich traurig.“

Den Job als Wunschkonzert spielt es für die meisten ohnehin nicht. Nicht jeder Jus-Absolvent wird zu einem Ainedter und vertritt illustre „Leistungsträger“. Es braucht auch Anwälte und Richter, die alltägliche und banale Streitfragen klären. Wo bleibt hier die Sinnstiftung? Vielleicht in einem Begriff, der ein wenig aus der Mode kam: Solidarität. Seinen Teil beizutragen in der Versorgung von Menschen ist bereits ein Akt für das Gemeinwohl. Nach der katholischen Soziallehre besteht das Ziel der Wirtschaft nicht in einem beliebigen, grenzenlosen Wachstum, sondern eben in jener Versorgung der Menschen – mit preiswerten Gütern und Diensten des täglichen Bedarfs, wobei es zusätzlich die Verpflichtung gibt, für den Erhalt der Lebenschancen künftiger Generationen und der Schöpfung einzutreten. Nachsatz: Nicht möge sich die Güterfülle bei den besitzenden Kreisen anhäufen, dagegen aber im breiten Strom der Lohnarbeiterschaft zufließen, heißt es darin.

Erfolg durch Menschlichkeit

Was nicht heißen soll, dass die Forderung von mehr Menschlichkeit, Sinnorientierung und Selbstverantwortung in der Arbeitswelt vor lauter solidarischer Aufopferung vom Tisch wäre. Wie heißt es so schön im kirchlichen Sozialrundschreiben Quadragesimo anno: „Eine menschengerechte Gestaltung von Arbeit und Wirtschaft führt auf weite Sicht auch zu bestem wirtschaftlichen Erfolg.“

Für die meisten Menschen hierzulande, die über ihre Arbeit nachdenken, gilt der pragmatische Ansatz. Wie Bernadette Hauer, Leiterin der Abteilung Bildung, Jugend und Kultur bei der Arbeiterkammer OÖ berichtet, wenden sich nicht unbedingt Sinnsucher an die AK-Bildungsberatung: „Es geht oft um die Verwertbarkeit. Die Leute fragen, welche Qualifikationen es zu erwerben gilt, damit sie auf dem Arbeitsmarkt mehr gefragt sind.“ Auffällig sei, dass diese Nachfrage bzw. das Bedürfnis, etwas anderes zu arbeiten, meist dann auftreten, wenn im Leben eine (Baby-)Pause oder eine andere Zäsur eintritt. Es lässt sich wohl erst aus der Distanz zum Job ersehen, was nicht passt. Pausen tun not.
Autor nach Diktat auf Sabbatical.

 

Marx und sein Schwiegersohn über Arbeit, die entfremdet oder viel zu lange dauert

 

Entfremdete Arbeit ist keine, die man nicht kennt, die einem fremd ist. Vielmehr stammt dieser Terminus vom Philosophen Karl Marx, dessen Geburtstag sich heuer am 5. Mai zum 200. Mal jährt. In seinen zu Lebzeiten unveröffentlichten ökonomisch-philosophischen Manuskripten von 1844 schloss Marx: Der Arbeiter produziere durch seine Tätigkeit fortwährend einen immer größeren, ihm fremden Reichtum in Form von Privateigentum in den Händen der Kapitalistenklasse, mit welchem er erneut ausgebeutet werde. Das Privateigentum sei daher Produkt der entfremdeten Arbeit. Der Arbeiter werde umso ärmer, je mehr Reichtum er produziere. Diese Analyse wurde durch die Einbindung der Lohnabhängigen in den Besitzerwerb im 20. Jahrhundert (Eigenheim, etc.) entkräftet.

Marx und sein Schwiegersohn über Arbeit, die entfremdet oder viel zu lange dauert
Paul Lafargue Bild: Archiv

Marx’ Schwiegersohn Paul Lafargue folgerte in seinem Pamphlet „Das Recht auf Faulheit“ (1880), dass drei Stunden Arbeit pro Tag ausreichen müssten. Die kapitalistische Moral, so Lafargue, verurteile den Arbeiter dazu, die Rolle einer Maschine zu erfüllen, und ersticke seine Leidenschaften. In den 1970ern kritisierte auch der US-Anarchist Bob Black lange Arbeitszeiten trotz Technisierung: „Es gibt mehr Freiheit in jeder einigermaßen entstalinisierten Diktatur als an einem gewöhnlichen amerikanischen Arbeitsplatz.“

 

Arbeit, die Sinn ergibt?

 

Vor Kurzem war ich einkaufen. Ein Kleid um 50 Euro. Das hat mich nachdenklich gemacht. Ich kann mich erinnern, vor 30 Jahren ein ähnliches Kleid um den doppelten Betrag gekauft zu haben. Laut Statistik Austria müsste das Kleid heute ca. 200 Euro kosten. Auch das alte Kleid hatte jemand in einem fernen Land hergestellt. Ich überlege weiter: Was ist heute der Wert der Arbeit der Näherin? Mir macht das Kleid Freude. Das macht ihre Arbeit wertvoll für mich. Aber wie steht es um den Preis ihrer Arbeit? Ich wage zu bezweifeln, dass sie von ihrer Hände Arbeit gut leben kann.

Ich gehe davon aus, dass auch mein neues Kleid Profit abwirft. Wer profitiert? Was ist mit den Löhnen derer, die den Rohstoff produzieren und weiterverarbeiten, den Löhnen der Näherinnen? Was verdienen die Verkäuferinnen hier in Österreich, die Reinigungskräfte, die das Geschäft sauber halten?

Nachdenklich bin ich auch, weil so viel von dieser Arbeit von Frauen gemacht wird. Unter Akkord und Zeitdruck, mit Teilzeitanstellungen und unregelmäßigen Arbeitszeiten.

Arbeit ist komplex und international verflochten. Manche Produkte umrunden diesen Erdball – nicht erst beim Vertrieb, sondern schon beim „Einsammeln der Bestandteile“. Menschen verschiedenster Sprachen und Kontexte legen Hand an. Wird ihre Arbeit nur durch den Preis bestimmt?

Aus christlicher Perspektive hat Arbeit einen Wert, weil dahinter ein Mensch mit unverbrüchlicher Würde steht und mit seinem Tun dazu beiträgt, diese Welt zu gestalten. Daher darf Arbeit nicht nur vom Markt bzw. Preis diktiert werden. Die Forderung nach gerechtem Lohn steht für die Forderung nach notwendiger Grundversorgung von Menschen. Durch Arbeit für sich und andere sorgen zu können, ergibt Sinn. Und ist nicht ein gutes Leben für alle das fundamentale Ziel von Arbeit?

Arbeit hat immer eine gesellschaftliche, strukturelle Dimension, die gestaltet und entschieden werden muss. Was, wie, unter welchen Rahmenbedingungen wird gearbeitet? Wer von globalen Arbeitsmärkten spricht, bleibt oft nur auf der Preisebene und übersieht den Menschen.

Arbeit hat auch eine höchstpersönliche Dimension. Es geht um Lebenszeit von Menschen. In der Arbeit konkrete Fähigkeiten einzubringen und zu entwickeln, in ein soziales Gefüge eingebunden zu sein, gibt Sinn. Sich nicht gebraucht zu fühlen, ausgeschlossen zu sein von Arbeitsprozessen erleben Arbeitssuchende oft als sehr schmerzlich.

Wenn wir als Bereich „mensch & arbeit“ mit unserer Kampagne „Hier arbeitet ein Mensch“ in den nächsten Monaten unterwegs sind, wollen wir ins Gespräch kommen: Mit Menschen, denen ihre Arbeit Freude macht. Mit jenen, denen ihre Arbeit Belastung ist. Mit jenen, deren Fähigkeiten brachliegen, weil sie irgendeiner Arbeit nachgehen müssen, um zu überleben. Menschen mit ihren Arbeitserfahrungen, ihren Bedürfnissen und Sehnsüchten stehen im Mittelpunkt. Arbeit hat Wert und ergibt Sinn. Und was heißt das für den Preis eines Kleides?

Edeltraud Addy-Papelitzky leitet in der Diözese Linz den Bereich „mensch & arbeit“. www.mensch-arbeit.at

 

 

 

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5  Kommentare
5  Kommentare
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( Kommentare)
am 29.04.2018 20:09

Was wir brauchen sind weniger Belastungen durch den staat. Sowohl die Unternehmen wie Arbeitnehmer.

Keine Steuerboni für große Unternehmen.

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Gugelbua (31.890 Kommentare)
am 29.04.2018 12:06

der 1. Mai entwickelt sich immer mehr zum Sklavenaufstand.

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Almroserl (7.529 Kommentare)
am 28.04.2018 22:20

Heini Staudinger lädt zum Pfingstsymposium:

Diese Wirtschaft tötet. Wir bauen eine andere.
symposium.rueckenwind.coop

Weil die Regierung nichts dergleichen tut, um die ärgsten globalen Probleme anzugehen.
Na dann GEA.

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jago (57.723 Kommentare)
am 28.04.2018 21:24

> Nach der katholischen Soziallehre besteht das Ziel der Wirtschaft nicht in einem
> beliebigen, grenzenlosen Wachstum, sondern eben in jener Versorgung der Menschen –
> mit preiswerten Gütern und Diensten des täglichen Bedarfs,

Oje .. - da hat sich die katholische Soziallehre eine kindische Widiwidiwitt - Welt zusammen gebastelt zwinkern

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Almroserl (7.529 Kommentare)
am 28.04.2018 22:24

Das ist doch nicht weiter schlimm, jago.

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