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Wie immer es kommt – das Leben will leben

Von Klaus Buttinger, 31. März 2018, 06:03 Uhr
Krankenhaus-Seelsorger Reinhold Felhofer ist seit einem Unfall vor 17 Jahren querschnittgelähmt. Bild: Alexander Schwarzl

Sich nach einer Niederlage das Krönchen zurechtzurücken und von vorne zu beginnen, gilt als Pflicht. Die Kür hingegen ist, sich nach einem Schicksalsschlag aufzurappeln. Drei Geschichten des Hochkommens.

Der junge Mann war noch auf der Suche. Sollte er Ordensbruder werden, Priester? Er studiert Theologie, will aber der inneren Welt auch die äußere Welt hinzufügen. Der in Aigen-Schlägl aufgewachsene Naturbursche nimmt sich mit 30 Jahren eine Auszeit, besucht Südafrika. Am 4. März 2001 kommt Reinhold Felhofer mit seinem Auto von der Straße ab. „Es hat uns mehrmals überschlagen und ich habe eine Stauchungsfraktur des siebten Halswirbels erlitten“, sagt er. Der unverletzt gebliebene Beifahrer holt Hilfe. „Befürchtet habe ich sofort nach dem Unfall, dass es da etwas Gröberes hat, gewusst habe ich es mit jedem Tag mehr, an dem ich nichts bewegen konnte, außer einer großen Zehe. Immer mehr habe ich mich damit abgefunden, dass das so bleiben wird.“

Der junge Mann fährt mit seiner Ducati 748 vom Hochkar heim. Paragleiten war der 21-Jährige. Er will mit seinem Motorrad überholen. Ein Autofahrer schert aus, ohne vorschriftsgemäß nach hinten zu sehen. Oliver Dreier aus Waidhofen an der Ybbs weicht in die Botanik aus und knallt mit 70 km/h gegen ein Verkehrszeichen. An den Unfall erinnert er sich nicht. „Ich kann nur erzählen, was mir erzählt wurde“, sagt er. Demnach riss es ihm durch den Aufprall den rechten Arm ab. „Dass ich überlebt habe, ist auf eine Reihe von Zufällen zurückzuführen. Der Erstretter, Dr. Putz, hatte Arterienklemmen dabei, was lebensentscheidend war. Im Schockzustand bin ich noch zum Motorrad gegangen, um zu sehen, ob ihm eh nichts fehlt. Erst dann bin ich umgefallen. Alles, was im Rettungsauto und im Hubschrauber an Blutkonserven war, hat man in mich hineingedrückt.“

Tumor im Rückenmark

Der junge Mann hat eben sein Studium der Politik- und Theaterwissenschaften in Wien beendet, als bei ihm ein Rückenmarkstumor diagnostiziert wird. 26 Jahre ist der Verlagslektor Erwin Riess alt, als er 1983 zum Rollstuhlfahrer wird – und bald zum Aktivisten der „Selbstbestimmt Leben Bewegung“ behinderter Menschen. „Gehen nach Orten, die durch Gehen nicht erreicht werden können, muss man sich abgewöhnen“, sagt der erfolgreiche Schriftsteller. „Denken über Probleme, die durch Denken nicht geändert werden können, muss man sich abgewöhnen.“

Schriftsteller, Rollstuhlfahrer, Behindertenrechtsaktivist Erwin Riess Bild: Alexander Golser

Obwohl er sich im Krankenhaus in Südafrika gut aufgehoben fühlte, empfand Felhofer eine Phase der Hilflosigkeit und Traurigkeit, „ein Loch und die Frage, wie komme ich drüber?“ Während seiner Überstellung nach Linz fieberte er, ein großflächiger Dekubitus (Druckgeschwür, Anm.) am Steißbein fungierte als Eintrittsquelle für eine Infektion. Mag man da irgendwann nicht mehr? „Ich habe mich immer wieder erholen und aufbauen können. Dem Gedanken ,Ich mag nicht mehr’ bin ich nicht verfallen. Das Leben will trotzdem noch leben – nicht nur aus mir selber heraus , sondern auch noch von woanders her, aber genauer weiß ich das nicht“, sagt Felhofer, der seit 15 Jahren als Krankenhausseelsorger im Ordensklinikum der Barmherzigen Schwestern in Linz arbeitet. Er ist verheiratet („meine Frau lernte mich schon sitzend kennen“) und hat einen Sohn (10).

Zu Dreier, dem Rechtshänder ohne rechten Arm, kam die eigene Familie auch erst nach dem Unfall, den er nur knapp überlebte. Eine Krankenschwester vom St. Pöltener Spital sagte zu ihm: „Jährlich passieren zwei Wunder, eines warst du.“ Der behandelnde Arzt habe ihm vom Verlust des Arms erzählt, sagt er. „Aber man ist so voller Medikamente, dass man das ganz locker realisiert. Man wird sanft aus dem Tiefschlag zurückgeführt. Der erste Tag dauert zehn Minuten, der zweite Tag dauert eine Stunde, der dritte drei. Jeder Tag eine Herausforderung. Aber Depression hatte ich keine, es ging vom ersten Tag an bergauf. Da war kein Gedanke ans Aufgeben.“

Para-Spitzensportler Oliver Dreier Bild: privat

Im Gegenteil. Herkunftsfamilie, Freunde schauen auf ihn, fordern ihn. „Meine spätere Frau Anette habe ich in der Krankenhausphase erst richtig kennengelernt. Ich bin positiv abgelenkt gewesen, jeden Tag ausgebucht. Mir ist der Tag zu kurz geworden, und das ist heute noch so. Ich würde mir nicht um einen Euro eine voll funktionsfähige Hand kaufen, weil sich dann mein Leben nicht so ergeben hätte, wie es ist.“ Drei Kinder hat Dreier und seit dem Unfall eine sportliche Karriere, die sich sehen lassen kann. Mehrere Para-Weltmeistertitel im Duathlon und Triathlon, er fliegt auch wieder mit dem Gleitschirm und sportelt sogar beruflich – für das Heeresleistungssportzentrum. Nebenbei arbeitet er im Sportgeschäft Harreither in Waidhofen.

Die Frage aller Fragen

„Ich glaube an Gott, bin aber kein extremer Kirchgeher“, sagt Dreier und meint, es müsse da etwas geben. „Damals, während der Tiefschlafphase, da war einmal die Frage da, ob es weitergehen soll oder nicht, und die habe ich klar mit ja beantwortet.“ Der Unfall sei eine Chance gewesen, die er einfach nutzen musste. „Wenn man positiv an die Sache herangeht, kann man das auch als Zuckerl nehmen“, sagt der Motivationstrainer. Den „alten Oliver“ wünsche er sich nicht zurück, insbesondere, „wenn ich mir ansehe, wie patschert Leute mit zwei Händen sind und was ich mit einer Hand erreichen kann.“

Schriftsteller Erwin Riess orientiert sich ebenfalls an hohen Zielen. Schlicht und satirisch: „die Lösung sämtlicher Welträtsel“. Der diesbezüglich beauftragte Ausschuss tagt in Permanenz beim Binder-Heurigen in Wien-Floridsdorf, wo Riess wohnt. Sein ein Alter Ego, der ebenfalls im Rollstuhl sitzende Privatdetektiv Herr Groll empfängt dort seine Klienten. Und von dort aus entspinnen sich die fulminanten Kriminalgeschichten, für die Groll um die Welt fährt – in seinem Rollstuhl namens Josef und einem altersschwachen Renault mit Handgas. In Wirklichkeit fährt Riess Volvo. In beiden Welten ärgern sich und protestieren Riess und Groll unisono über mangelnde Barrierefreiheit.

Felhofer begann nach seiner Reha Rollstuhlrugby zu spielen. Wegen zunehmender Verspannungen ist er auf Yoga umgestiegen. Manchmal, wenn er Jogger sieht, sehnt er sich zurück nach dem Marathonläufer Felhofer. Ob er wegen seines Schicksals mit Gott hadert? „Das will ich nicht denken, weil ich an ein solches Gottesbild nicht glaube. Ich glaube an einen barmherzigen Gott, der es gut mit uns meint. Warum es so viel Leid und Ungerechtigkeit gibt in der Welt – das bleibt rätselhaft.“

Für Dreier ist klar: „Es hat so kommen müssen. Ich glaube, dass für jeden die Geschichte schon niedergeschrieben ist. Man kann sie positiv annehmen oder den Kopf in den Sand stecken. Für mich gibt es nur die Richtung nach vorne.“ Und Riess sagt: „Uns retten keine höh‘ren Wesen, wir müssen mit unsren Kräften vorliebnehmen. Dann steht die Welt offen wie ein Scheunentor.“

 

Buchtipps

Beeindruckender, motivierender Bericht von Oliver Dreier: „Mein Leben mit links“, mit Co-Autor Robert Kotrc, Eigenverlag, 116 Seiten, 24,95 Euro. Bezug über www.oliver-dreier.com

Aufklärung über Sexualität behinderter und kranker Menschen von Rudolf Likar/Erwin Riess: „Unerhörte Lust “. Otto Müller Verlag, 251 Seiten, gebunden: 24,80 Euro

 

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