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1918 bis heute: Was haben wir aus 100 Jahren gelernt?

Von Heinz Steinbock und Elisabeth Prechtl, 23. Februar 2018, 00:04 Uhr
1918 bis heute: Was haben wir aus 100 Jahren gelernt?
Diskussion mit Experten (v. l.): Lothar Höbelt, Professor für neuere Geschichte (Uni Wien), Walter Schuster, Leiter des Stadtarchivs Linz, die Chefredakteure Johannes Jetschgo (ORF OÖ) und Gerald Mandlbauer (OÖN), Historikerin Gudula Walterskirchen, Historiker Roman Sandgruber, Birgit Kirchmayr (Kepler-Uni). Bild: VOLKER WEIHBOLD

LINZ. Das Gedenkjahr 2018: Wie gut hat Österreich seine Geschichte aufgearbeitet? Darüber diskutierten Experten bei den "Oberösterreich-Gesprächen" von ORF und OÖNachrichten.

1918, 1938, 1968: die "Achterjahre", historische Zäsuren in Österreich, stehen im Mittelpunkt des heurigen Gedenkjahres. Doch wie hat Österreich seine Geschichte verarbeitet? Wie sehr beeinflusst sie auch heutige Politik? Bei den "Oberösterreich-Gesprächen" auf Einladung von ORF Oberösterreich und OÖN diskutierten darüber namhafte Experten: die Linzer Historiker Birgit Kirchmayr und Roman Sandgruber, Stadtarchiv-Leiter Walter Schuster sowie Lothar Höbelt (Uni Wien) und die Historikerin und Autorin Gudula Walterskirchen.

Einigkeit gab es darüber: "Viel zu spät" sei mit der Erforschung dieser Zeit begonnen worden, vor allem über die Zeit ab 1918 gebe es "wenig Debatte, wenig neue Forschung". Die Zwischenkriegszeit sei davon geprägt gewesen, dass "die politischen Lager nicht aufeinander zugehen konnten", meinte Höbelt. "Die Verantwortung für den Februar 1934 sollte schon außer Streit stehen", sagte Schuster. Walterskirchen verglich: "Im Gegensatz zu heute hatte die Demokratie in der Zwischenkriegszeit keinen Wert."

"Aufarbeitung" nach 1945

Es kam auch zu verbalen Schlagabtäuschen. Nach 1945 haben auch ÖVP und SPÖ ehemalige Nazis aufgenommen. "Aber der Unterschied zum Dritten Lager: Sie haben den Nationalsozialismus nicht verharmlost", sagte Schuster und nannte als Beispiel einen Linzer Mandatar der VdU (Vorgänger der FPÖ, Anm.), der die NS-Wohnbaupolitik lobte.

"Demokratie und Diktatur haben mit Wohnbau nichts zu tun", so Höbelt. Er verurteile die NS-Zeit, aber "nur, weil ich das Regime ablehne, alles zu verurteilen, das führt zu Unglaubwürdigkeit." Schuster darauf: "Es gibt keine guten Seiten des Nationalsozialismus." Sandgruber wollte darauf mit "Mythen" aufräumen: "Wohnbau oder Voest, da muss man ganz klar sagen, wie das finanziert und durchgeführt wurde. Mit Zwangsarbeit und Zwangsenteignung."

Die NS-Zeit sei in der Zweiten Republik bis in die 1980er-Jahre "ausgeblendet" worden, erinnerte Kirchmayr. "Das war für viele bequem und damals auch ein staatspolitisch stabilisierender Faktor."

Aber, lernen wir aus unserer Geschichte? Höbelt hat da so seine Zweifel, und eine Theorie: "Die einzige wirkliche Lehre aus der Geschichte ist: man muss opportunistisch sein." Diese Anpassung an die Gegebenheiten sei 1918 nicht gelungen, nach 1945 schon.

Sie warne vor dem "erhobenen Zeigefinger", sagte Walterskirchen. Man dürfe nicht den Fehler begehen, aus heutiger Position "zu Gericht zu sitzen". "Ich bin für die Analyse, die der Historiker leisten muss", sagte Sandgruber, "der Pädagoge muss sie korrekt wiedergeben. Man kann aus der Geschichte lernen, aber man muss nicht. Ob wir daraus lernen, ist eine Aufgabe, die uns alle angeht."

Video-Beitrag:

 

"So kann man Schüler fesseln"

"Was sollen die Lehrer den Schülern im Unterricht vermitteln, wenn schon die Historiker so unterschiedlicher Meinung sind?" Walter Schuster, der Leiter des Linzer Stadtarchivs, sprach bei den "Oberösterreich-Gesprächen" ein wichtiges Thema an: Die richtige Ausgestaltung des Geschichteunterrichts.

Historikerin Birgit Kirchmayr, die unter anderem Seminare für Erinnerungskultur abhält, plädiert dafür, junge Leute mittels lokaler und regionaler Geschichte zu begeistern: "Beim Thema Nationalsozialismus erzählten die jungen Teilnehmer Familiengeschichten oder von regionalen Bezügen. Das interessiert die Leute." Politiker oder markante Plätze der oberösterreichischen Geschichte fände man aber kaum in Geschichtsbüchern.

Unter die interessierten Zuhörer hatten sich auch Schüler gemischt. Lara Nösslböck, Schülerin des BRG Rohrbach, erzählte von ihren Erwartungen: "Verbindungen zur Gegenwart sind für ein besseres Verständnis hilfreich." Fakten und Jahreszahlen in Büchern seien bisweilen trocken, aber der menschliche Aspekt mache Geschichte für Schüler interessant. "Das Gespräch mit Zeitzeugen ist sehr wichtig für uns."

Peter März (l.), Kurator der Ausstellung „Zwischen den Kriegen“ im Schlossmuseum, und Pädagoge Leopold Pickner (re.)     Bild: (Volker Weihbold)

"Als Quelle nutzlos"

Diese Aussage setzte eine Diskussion über die Frage, ob Zeitzeugen in der Geschichtsvermittlung wichtige Helfer oder ein Hemmschuh sind, in Gang, die die Teilnehmer spaltete. Heimatforscher Gottfried Gansinger betonte den Wert authentischer Zeitzeugen: "So kann man die Schüler fesseln."

Historiker Lothar Höbelt stimmte dem nur bedingt zu: Zeitzeugen könnten uns zwar vieles sagen, das wir anderswo nicht mehr fänden. Andererseits sollten Schüler zu kritischen Menschen erzogen werden, die Dinge hinterfragen.

Der emotionale Aspekt stünde dem entgegen. Am vehementesten sprach sich Historiker Roman Sandgruber gegen diese Form der Geschichtsvermittlung aus: "Zeitzeugen lügen!" Diese würden sich ihr eigenes Bild aneignen, manche Dinge bewusst verschweigen und das selbst Erlebte nicht von dem, was sie gehört oder gelesen hätten, unterscheiden können. "Ich höre ihnen gerne zu, aber als Quelle sind sie nutzlos." Seine Aussagen erregten nicht nur im Publikum Widerspruch. Auch Schuster hielt dagegen: Zeitzeugen würde Dinge korrekt oder weniger korrekt darstellen. Wichtig sei, dass man alle Infos überprüfe und hinterfrage.

Einig wurden sich die Experten in dieser Frage nicht mehr, interessierte Zuhörer wie Fabian Egger, Schüler des BRG in Vöcklabruck, profitierten gerade davon: "Man sollte von den Meinungen jedes Teilnehmers etwas mitnehmen. Und aus der Geschichte lernen."

 

 

Zitiert

Verschiedene Blickwinkel im Landesstudio Bild: (Volker Weihbold)

Birgit Kirchmayr, Kepler-Uni: "Die Geschichte wiederholt sich nicht eins zu eins. Das heißt aber nicht, dass man sich nicht Strukturen ansehen und daraus Schlüsse ziehen kann. Ich glaube, dass wir zur Zeit auch eine Tendenz wahrnehmen, dass autoritäre Kurse eingeschlagen werden. Der Griff autoritärer Regierungen geht sofort auch auf die Geschichte. Das muss man auch in der politischen Bildung thematisieren."

 

Gudula Walterskirchen, Autorin: "Was mir in der Darstellung der Geschichte missfällt, das ist dieser moralisierende Beigeschmack. Es ist eine gewisse Technik entstanden, über die Geschichte und ihre Protagonisten zu Gericht zu sitzen. Geschichtswissenschaft hat die Aufgabe, Fakten zu bringen. Der Zeigefinger ist gefährlich. Es geht darum, aus der Zeit heraus die Dinge zu verstehen."

 

Lothar Höbelt, Historiker (Uni Wien): "Mit den Lehren aus der Geschichte ist das so eine Sache. Da müsste eigentlich der Konsumentenschutz einschreiten. In neun von zehn Fällen läuft das darauf hinaus, dass wir uns auf die Brust klopfen und sagen: Wieviel gescheiter und besser sind wir heute, wie verbohrt waren die damals. Die einzig wirkliche Lehre aus der Geschichte ist: man muss opportunistisch sein."

 

Roman Sandgruber, Historiker: "Wir haben aus der Zwischenkriegszeit viel gelernt, was Demokratie insgesamt betrifft. Natürlich ist nicht alles aufgearbeitet, aber insgesamt unterscheidet sich die Zweite Republik ganz dramatisch von der Ersten. Was man für unsere Zeit am meisten lernen kann, ist eine sorgfältige Wortwahl. Da passiert auch heute manches, das man nicht goutieren darf."

 

Walter Schuster, Linzer Stadtarchiv: "Nach 1945 haben auch ÖVP und SPÖ ehemalige Nationalsozialisten aufgenommen, die es in den Parteien dann auch zu höheren Positionen brachten. Man ist sehr pragmatisch vorgegangen, das ist natürlich für die Opfer eine furchtbare Sache gewesen. Aber der Unterschied zum Dritten Lager ist: ÖVP und SPÖ haben offiziell den Nationalsozialismus nicht verharmlost."

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7  Kommentare
7  Kommentare
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lester (11.395 Kommentare)
am 23.02.2018 18:36

NICHTS, siehe die Wahlerfolge der FPÖ und der AfD gerade die deutschsprachigen Länder rücken imm weiter nach RECHTS und zumindest ins hellbraune Eck.

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rmach (15.039 Kommentare)
am 23.02.2018 14:34

Fortsetzung
Die Damen und Herren Historiker haben zu wenig Quellen. Die Archive sind voll damit.
Daraus geht zum Bsp. hervor, dass in Europa ein Gespenst umgeht. (Siehe Engels und Marx.) Als der Krieg zu Ende war, streunten viele bewaffnete Soldaten herum und holten sich bei Bauern etwas zu essen. Bauern verteidigten sich ebenfalls bewaffnet. Arbeiter vereinten sich mit Soldaten in den Arbeiter- und Soldatenräten. Unser ehemaliger Unterrichtsminister Drimmel hat das sehr anschaulich in seinen Büchern beschrieben.
Jede Gruppe, wollte über die anderen herrschen. Wenn es zu Annäherungen kam, dann max. mit Kompromiss und nicht mit Konsens.
Das rote Wien ist zum Aushängeschild geworden. Es wurde Land in Besitz genommen, ohne zu fragen. Es wurde Land unter Druck auf 100 Jahre verpachtet.
Menschen, die in einem Krieg zu Kampfmaschinen instrumentalisiert wurden, standen nun hungrig ohne Führung da und suchten sich Führer.
Der Siedlungswohnbau wurde arbeitstechnologisch perfektioniert.

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rmach (15.039 Kommentare)
am 23.02.2018 14:08

Aus Linzer Programm, III. Kampf um die Staatsmacht:
„ So werden in der demokratischen Republik die Klassenkämpfe zwischen der Bourgeoisie und der Arbeiterklasse im Ringen der beiden Klassen um die Seele der Volksmehrheit entschieden. Im Verlauf dieser Klassenkämpfe kann der Fall eintreten, dass die Bourgeoisie nicht mehr und die Arbeiterklasse noch nicht stark genug ist, allein die Republik zu beherrschen. Aber die Kooperation einander feindlicher Klassen, zu der sie eine solche Situation zwingt, wird nach kurzer Zeit durch die innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft unaufhebbaren Klassengegensätze gesprengt. Die Arbeiterklasse wird nach jeder solchen Episode unter die Herrschaft der Bourgeoisie zurückfallen, wenn es ihr nicht gelingt, selbst die Herrschaft in der Republik zu erobern. Eine solche Kooperation der Klassen kann also nur eine vorübergehende Entwicklungsphase im Klassenkampf um die Staatsmacht, aber nicht das Ziel dieses Kampfes sein.“
1934 war es dann so weit.

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mitreden (28.669 Kommentare)
am 23.02.2018 10:13

Schlicht und einfach NICHTS!
Leider.

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jago (57.723 Kommentare)
am 23.02.2018 14:00

Das glaube ich nicht, so nicht grinsen

Allerdings habe ich von dem, was ich in der Schule, in den Schulen gelernt habe, danach wenig brauchen können. Und hier^^ finde ich von dem, was ich beruflich und menschlich(tm) gelernt habe auch nicht viel.

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( Kommentare)
am 23.02.2018 07:30

Die Frage sollte eher lauten was wir noch immer nicht gelernt haben und das ist das Erkennen bzw. der richtige Umgang mit dem fundamentalen Nationalismus der sich gerade in Österreich außerordentlicher Popularität erfreut.

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jago (57.723 Kommentare)
am 23.02.2018 14:03

"ismen" kannst alle in die Tonne schmeißen.

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