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Die gescheiterte Republik

Von Josef Achleitner, 27. Jänner 2018, 00:05 Uhr
Die gescheiterte Republik
Die Ausrufung der Republik 1918 Bild: Wien Museum

Politologe Anton Pelinka spricht im OÖN-Interview lieber von Verantwortung als von Schuld der Politik zwischen 1918 und 1938. Die Verantwortung treffe alle, aber nicht zu gleichen Teilen.

Gedenkjahr 2018. Über die vor 100 Jahren gegründete Erste Republik, deren politische Lager und deren Ende spricht der Politologen Anton Pelinka im OÖNachrichten-Interview.

Sie haben Ihr Buch "Die gescheiterte Republik" genannt, was nicht unbedingt die umstrittene Schuldfrage einschließt.

Anton Pelinka: Also, ich vermeide den Begriff Schuld und spreche eher von der Verantwortung. Ich versuche, nicht in eine Bekenntnisdebatte einzusteigen. Bekenntnis heißt immer, dass der andere schuldig ist. Das gilt es zu differenzieren, ohne dass ich die Verantwortung der verschiedenen Lager gleichsetze. Für das Scheitern der demokratischen Republik gehe ich von einer geteilten Verantwortung aus, aber nicht zu gleichen Teilen. Es ist sicherlich ganz eindeutig die Verantwortung der Christlichsozialen Partei, dass ein Bundeskanzler aus ihren Reihen (Engelbert Dollfuß. Red.) 1933 den parlamentarischen Charakter der Ersten Republik zerstört hat. Und es ist natürlich die Verantwortung der deutschnationalen Parteien, dass die NSDAP, die in Österreich im Wesentlichen aus der Großdeutschen Volkspartei und dem Landbund entstanden ist, die Selbstständigkeit Österreichs zerstört hat.

Wo liegt die Verantwortung der Sozialdemokratie?

Ihre Verantwortung ist, dass sie nicht wenigstens versucht hat, die Politik des Kompromisses, die zwischen 1918 und 1920 möglich war, fortzusetzen.

Die Ausrufung der Republik 1918 ist für Sie die "wohl beste Verlegenheitslösung, die im Herbst 1918 politisch möglich war". Wie ist das zu verstehen? Etwa in dem Sinne, dass eine Revolution verhindert worden ist?

Es war eine Verlegenheitslösung, weil Österreich eigentlich in die Gründung der Republik hineingeworfen worden ist: durch die Niederlage der österreichisch-ungarischen Armee, die Kapitulation, die Abdankung des Kaisers und die Gründung von Nachfolgestaaten wie der Tschechoslowakei. Der Rest war Österreich, das als einziger Nachfolgestaat gar nicht gewusst hat, was es tun soll. Hier sind die alten Eliten der Monarchie aus dem Reichsrat eingesprungen und haben pragmatisch versucht, aus dieser zufällig entstandenen Situation das relativ Beste zu machen. Und das ist ihnen auch gelungen, denn die Verfassung der Ersten Republik ist allein schon durch ihre Dauerhaftigkeit bis in die Zweite Republik ein Erfolg.

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Anton Pelinka Bild: APA

Wie ist der Versuch der westlichen Bundesländer zu werten, sich von Österreich abzusetzen?

Salzburg und Tirol wollten sich, wenn es schon dem Staat nicht erlaubt war, dem demokratischen Deutschland als Bundesland anschließen. Den Anschluss Vorarlbergs wollte die Schweiz selbst nicht. Es war ein naiver Versuch, denn die Siegermächte wollten Österreich so, wie es 1918 war, ohne Anschluss.

Die erste große Koalition zwischen Sozialdemokraten und Christlichsozialen war ja von den Ergebnissen her ein Erfolg.

Ja, es sind einige Entwicklungen entstanden, die haltbar waren. Etwa die Gründung der Arbeiterkammern als Balance zu den bereits lange bestehenden Handelskammern. Und auch nach der Koalition Anfang der 1920er-Jahre ist Vernünftig-Pragmatisches entstanden wie die Absicherung des Föderalismus, die Integration von Burgenland/Westungarn als Bundesland, die friedliche Trennung von Wien und Niederösterreich.

Ist nicht zugleich auch in dieser Zeit die Polarisierung zwischen dem linken und dem rechten Lager gewachsen?

Die Polarisierung war ja schon da, sie ist nur zunächst überspielt worden. Die großen Lager Sozialdemokratie, Christlichsoziale und Deutschnationale haben Ziele verfolgt – man könnte sagen, sie haben Visionen geprägt –, die die andere politische Seite kaum respektiert hat. Man kann von einem Nullsummenspiel in den Köpfen der Parteien sprechen. Jeder eigene Erfolg ist immer als Niederlage der anderen gesehen worden. So etwas wie ein Denken in den Kategorien "mehr oder weniger" hat kaum Platz gegriffen, es ist immer um "alles oder nichts" gegangen.

Was wir heute unter Demokratie verstehen – Wettbewerb, Kompromiss, Machtausgleich –, war wahrscheinlich in keinem Lager das wirkliche Ziel.

Es war zwar vorhanden, ist aber zu wenig entwickelt worden. Denn sonst hätte man nicht die vernünftige Verfassungsregelung 1920 gefunden. Aber dieses Denken ist nicht stabil verankert worden. Seipel (Prälat Ignaz Seipel, CS-Parteiobmann und Bundeskanzler) beginnt schon früh zu schreiben von der "wahren Demokratie", und das war sicher nicht die Demokratie, die in der Verfassung verankert war. Die Sozialdemokraten sprachen gelegentlich davon, dass die Demokratie gar nicht so wichtig sei, sondern wichtig sei das Ziel des Sozialismus.

Das Schreckgespenst, das zwischen Sozialdemokraten und Bürgerlichen in dieser Zeit gestanden ist, war ja die russische Oktoberrevolution mit ihren Folgen wie Enteignungen, Vertreibungen, Massentötungen. Hat die Sozialdemokratie mit ihrem deklariert marxistischen Linzer Programm diesen Ängsten zusätzlich Nahrung gegeben?

Die Sozialdemokratie hat aus meiner Sicht den Fehler gemacht, ihre de facto demokratische Haltung zu relativieren durch diese nicht kluge, ja unsinnige Formulierung, dass sie zur Verteidigung der Demokratie die Diktatur des Proletariats einsetzen würde. Das ist ein Begriff, der ganz eindeutig besetzt war von den Erfahrungen des Kommunismus. Also ein Begriff der sowjetkommunistischen Diktatur. Das hat dem Gegner im bürgerlichen Lager zu sagen geholfen, die Sozialdemokraten seien ja eigentlich doch Kommunisten. Das heißt, man hat die Vorurteile der anderen zu begründen geholfen.

Antisemitismus, ob nun religiös, rassisch oder antikapitalistisch begründet, war kennzeichnend für diese Zeit. Angesichts der späteren katastrophalen Folgen im NS-Regime fragt man sich, warum es damals keine politische Kraft gegeben hat, die offen dagegen agiert hat.

Ja, es fällt auf, dass es zwar massiven Antisemitismus gegeben hat, bei den Großdeutschen sogar im Parteiprogramm, dass aber kaum eine Debatte darüber geführt wurde, wie wir sie heute führen können. Die Sozialdemokratie war programmatisch nicht antisemitisch, ist dem Thema aber ausgewichen. Die Christlichsozialen waren immer versucht, ein Stück Antisemitismus des deutschnationalen Lagers nachzumachen. Das heißt, es hat Schattierungen gegeben, aber keine Partei, die den Antisemitismus offensiv konfrontiert hätte. Eine der wenigen Ausnahmen war Irene Harand, die gegen Hitlers Pläne anschrieb, aber das war politisch leider ohne Konsequenzen.

Die bürgerlichen Parteien gingen, umgeben von mehreren autoritären Regimen, immer mehr in diese Richtung. Die Sozialdemokratie verweigerte sich der Zusammenarbeit. War der Ständestaat oder auch Austrofaschismus unausweichlich?

Nicht unausweichlich, damit die Verantwortung der Akteure nicht verschwindet. Aber schwer vermeidbar. Die Regierung Dollfuß hat versucht, mit (dem faschistischen italienischen Diktator) Mussolini den Aufstieg von Hitler in Österreich zu vermeiden, dafür wollte Mussolini die Ausschaltung der Sozialdemokratie. Gleichzeitig, noch bevor der spätere Pakt Mussolini-Hitler ins Spiel kam, hat die Sozialdemokratie das Koalitionsangebot von Seipel zurückgewiesen. Ein großes Fragezeichen, ob es auf Dauer geholfen hätte, wenn die SDAP angenommen hätte. Aber die Sozialdemokratie hat es nicht einmal versucht.

Wäre Hitler mit einer Demokratie von Österreich abzuhalten gewesen?

Das nationalsozialistische Deutschland hat massiv die Gleichschaltung und den Anschluss Österreichs betrieben. Die Faktoren waren äußerst ungünstig, um die demokratische Verfassung von 1920 zu halten.

 

Anton Pelinka

Er ist einer der Doyens der österreichischen Politologie. Seit 2006 lehrt Anton Pelinka Politikwissenschaft und Nationalismusstudien an der Central European University in Budapest. Zuvor war Pelinka 31 Jahre lang Universitätsprofessor an der Universität Innsbruck. Seine Publikationen sind der Demokratietheorie, dem politischen System Österreichs und der europäischen Integration gewidmet.

In seinem im Böhlau-Verlag erschienenen Buch zum Gedenkjahr 2018 („Die gescheiterte Republik, Kultur und Politik in Österreich 1918–1938“), analysiert Pelinka einerseits die politische Kultur der Parteien, die wie auch die meisten Zeitungen mehr auf das Trennende als auf das Gemeinsame setzte. Der Kulturbetrieb an sich war jedoch auf das Gestern bezogen oder auf ein erträumtes Morgen. Die Gegenwart der Republik wurde, so Pelinka, weitgehend ignoriert. Gleichwohl war Österreich (z.B. Salzburger Festspiele) damals eine kulturelle Großmacht.

 

Zwei Schüsse am Beginn der Urkatastrophe

Das Attentat von Sarajevo war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte

Zwei Schüsse standen am Beginn des Ersten Weltkriegs. Zwei Schüsse, mit denen der österreichisch-ungarische Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau Sophie ermordet wurden. Zwei Schüsse aus der Pistole des serbischen Nationalisten Gavrilo Princip, dessen hehres Ziel die Vereinigung aller Jugoslawen stand, wie er zu Protokoll gab.

Es war der 28. Juni 1914, der den Lauf der Geschichte nachhaltig verändern sollte. Millionen Tote, das Ende der Donaumonarchie und ein völlig neues Europa standen am Ende dessen, was mit den zwei Schüssen in Sarajevo begonnen hatte. Doch in Wahrheit war es nur der eine Tropfen ...

Stationen einer viel geprüften Herrschaft
Das Thronfolgerpaar Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gattin Sophie werden in Sarajevo vom serbischen Nationalisten Gavrilo Princip erschossen. Bild: Hilscher

Jubel um Kriegseintritt

In großen Teilen der Bevölkerung und auch der Kirche war der Kriegseintritt bejubelt worden, wie das Zitat zu Beginn zeigt. Ein gutes Stimmungsbild gab auch Karl Kraus mit „Die letzten Tage der Menschheit“.

Über Ursache und Motiv des gemeinhin als „Urkatastrophe“ bezeichneten Ersten Weltkriegs, sind sich die Historiker uneins. Einigkeit herrscht jedoch darin, dass auch ohne das Attentat die Spannungen zwischen den Großmächten in Europa wahrscheinlich zu einer Eruption geführt hätten. Die Balkankrise, Russlands Drang, sich die strategisch wichtige Landenge am Schwarzen Meer zu sichern oder Deutschlands hegemoniale Ziele – alles „gute“ Gründe für einen Krieg. Auch der Chef der Generalstabschefs der k.u.k.-Armee, Conrad von Hötzendorf, drängte vehement auf einen Krieg und wurde daher schon 1911 vom Kaiser abgesetzt. Allerdings – Ironie der Geschichte – später von Franz Ferdinand wieder eingestellt. In sein Tagebuch schrieb von Hötzendorf schon lange vor dem Ausbruch des Kriegs: „Was aber, wenn die Dinge anders kommen und sich alles im faulen Frieden fortschleppt ...“

Krieg für wenige Wochen

„Das Attentat löste nicht den Krieg an sich aus. Es war aber zweifellos der Auslöser für eine politische Aktion“, sagt der Historiker Manfried Rauchensteiner.

Die Kriegsbegeisterung wich allerdings bald der Ernüchterung. Millionen Tote, Hunger, traumatisierte und schwer verwundete Heimkehrer zeichneten ein völlig anderes Bild von der Vorstellung eines Krieges, dessen Dauer für wenige Wochen oder Monate anberaumt gewesen war.

1916 gaben die Mittelmächte zwar, auf Drängen Österreich-Ungarns, ein Friedensangebot ab. Allerdings war es den Entente-Mächten zu wenig konkret. Der Krieg wurde fortgeführt. Hoffnung für Österreich-Ungarn keimte noch einmal kurz auf, als nach der Oktoberrevolution 1917 Russland offiziell aus dem Krieg austrat und so die Ostfront wegfiel, der Eintritt der USA im selben Jahr macht diese Hoffnungen allerdings schnell wieder zunichte, da Präsident Woodrow Wilson eine Massenarmee gegen die Mittelmächte aufbot. Am Ende standen 20 Millionen Tote zu Buche und eben so viele Verletzte. Österreich-Ungarn zerfiel in mehrere Länder. Und der Rest ward die Erste Republik Österreich.

 

Der letzte Kaiser

Der Krieg verloren, die Monarchie am Ende und ein Kaiser, der formell nie abdankte.

735 Jahre standen die österreichischen „Erblande“ unter der Herrschaft des Hauses Habsburg-Lothringen. Ein Vielvölkerstaat, der jedoch Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhundert in einer Zeit des aufkeimenden Nationalismus nicht mehr zeitgemäß zu sein schien. Von vielen als „Völkerkerker“ empfunden, drifteten die Völker und Nationen auseinander. Zusammengehalten wurde die Donaumonarchie zuletzt nur noch durch den alten Kaiser Franz Joseph – oder besser, die Treue „seiner“ Beamten und „seines“ Militärs.

Nach dessen Tod 1916 und dem desaströsen Ende des Ersten Weltkrieges war der Zerfall der Habsburgermonarchie nicht mehr aufzuhalten. Daran änderte auch der von Franz Josephs Nachfolger, Kaiser Karl I., am 16. Oktober 1918 proklamierte „Neuaufbau des Vaterlandes“ nichts. Das Manifest, wonach unter der Krone Habsburgs „Österreich dem Willen seiner Völker gemäß zu einem Bundesstaate werden“ sollte, „in dem jeder Volksstamm auf seinem Staatsgebiete sein eigenes staatliches Gemeinwesen bildet“, kam zu spät. Die Nationen schufen bereits selbständige Staaten oder schlossen sich solchen außerhalb der Reichsgrenzen an.

Das Ende der Monarchie war gekommen, reibungslos ging es jedoch nicht vonstatten. Nachdem Kaiser Karl am 11. November auf alle Staatsgeschäfte verzichtet hatte, wurde tags darauf die Republik Deutschösterreich ausgerufen. Eine Entlassung der Armee und der Offiziere, die auf den Kaiser vereidigt worden waren, blieb ebenso aus wie eine Abdankung Karls als König von Ungarn. Gattin Zita hielt das aufgrund des „Gottesgnadentums“ des Monarchen für „unmöglich“.

Mittlerweile von Schönbrunn auf Schloss Eckartsau im Marchfeld übersiedelt, wartete der letzte Habsburgerkaiser auf eine Normalisierung der Lage zu seinen Gunsten. Doch die kam nicht. Wer kam, war Karl Renner. Bei einem Besuch auf Eckartsau wollte der deutschösterreichische Staatskanzler über des früheren Kaisers Zukunft sprechen. Da er jedoch nicht um eine Audienz gebeten hatte, wie es dem Hofzeremoniell entsprochen hätte, musste Renner wieder abziehen. Der Ex-Kaiser war nicht zu sprechen, kurz, er weigerte sich, abzudanken. Erst als man ihm mit Internierung drohte, erfolgte die Emigration in die Schweiz. Am 24. März 1919 verließ der Ex-Kaiser mit einem Sonderzug Österreich, nicht jedoch ohne vor dem Grenzübertritt seinen Verzicht vom 11. November 1918 zurückzunehmen. Kaiser Karl dankte formell nie ab, was Anfang April 1919 zur Erlassung des sogenannten „Habsburgergesetzes“ führte. Damit einher gingen eine „bedingungslose Landesverweisung“ sowie eine Enteignung des habsburgischen Vermögens und eine Abschaffung von Adelstiteln und adeliger Vorrechte.

Nachdem auch eine Restauration der Habsburger in Ungarn scheiterte, wurde der Ex-Kaiser 1921 auf die Insel Madeira ins Zwangsexil geschickt, wo er am 1. April 1922 starb. (rofi)

 

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