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Tod der Insekten schadet dem ganzen Ökosystem

Von Klaus Buttinger   22.Juli 2017

Bekanntlich war früher alles besser – mit wenigen Ausnahmen. Fuhr man zum Beispiel mit dem Auto übers Land, war die Windschutzscheibe nach ein paar hundert Kilometern so verdreckt, dass man kaum noch durchsah. An der Tankstelle wuschen und kratzten die Chauffeure unzählige tote Insekten vom Glas. Das ist heute nicht mehr so. Doch wenige fragen, wo die Insekten geblieben sind, noch weniger, was denn das bedeutet für Flora, Fauna und letztlich den Menschen?

So viel vorweg: Die Auswirkungen sind dramatisch.

Bestandsaufnahme: Seit etlichen Jahren versuchen engagierte Naturschützer und Wissenschafter auf das große, leise Insektensterben aufmerksam zu machen. Horrorzahlen kreisten: Drei Viertel der Insekten seien verschwunden.

Seriöse Recherchen führen nach Krefeld am Rhein und entwerfen zumindest punktuell ein noch schlimmeres Bild: In den Rheinauen, an der Grenze zwischen Naturschutzgebiet und Landwirtschaftsflächen, fokussieren die Mitglieder des ansässigen entomologischen Vereins seit vielen Jahren nicht wie andernorts häufig auf qualitative Untersuchungen, sondern auf die Quantität, genauer auf die Biomasse von Insekten. Mit so genannten Malaise-Fallen fingen sie an mehreren Standorten Insekten aller Arten, zählten und wogen die Individuen akribisch (siehe Grafik rechte Seite). Fazit: bis zu 80 Prozent Rückgang der Insektenmasse. 60 Prozent der Hummelarten sind verschwunden.

Zu ähnlichen Befunden kamen Ökologen der Universität München. Selbst im Schmetterlings-Schutzgebiet am Keilberg nahe Regensburg ist ein Drittel der Arten gegenüber früher nicht mehr nachweisbar. Global – so warnt der Weltrat für Biodiversität – seien 40 Prozent der Fluginsekten vom Aussterben bedroht.

Österreich ist auch keine Insel der seligen Insekten. An der Grenze zu Oberösterreich, in Aigen am Inn, fand eine der wenigen Zählungen von Schmetterlingen statt. Forscher Josef Reichholf, emeritierter Professor für Naturschutz und Gewässerökologie an der TU München, maß einen Rückgang von 75 bis 89 Prozent der Wiesenarten.

Mittlerweile ist das Problem oben angekommen. Vor wenigen Tagen ließ das deutsche Bundesumweltministerium in Beantwortung einer Anfrage durch die Grünen verlauten: "In Teilen des Landes hat sich der Bestand von Insekten seit dem Jahr 1982 um bis zu 80 Prozent verringert." Besonders gefährdet seien Falter, Heuschrecken und Schwebefliegen. Die heutige Landwirtschaft mache den Insekten das Überleben schwer, sagte Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD). "Es werden große Mengen an Pestiziden eingesetzt, und es gibt zu wenig Blühstreifen und Hecken." Die Folgen des Insektenrückgangs seien gravierend.

Wer sorgt für Bestäubung?

Nicht mehr allein der Honigbiene gilt die Aufmerksamkeit. Sterben die Völker der Imker, war und ist die Aufregung groß. Die überwiegende Bestäubungsleistung geht allerdings von den fast 700 Wildbienenarten und anderen Insekten aus. Und um die steht es schlecht. Die Hälfte der Wildbienenarten rund um München ist vom Aussterben bedroht.

"Die Gegebenheiten in Deutschland sind mit jenen in Österreich vergleichbar", sagt Fritz Gusenleitner, Leiter des Biologiezentrums Linz. Sein Befund, der generell den schwindenden Lebensraum von Tieren angeht, fällt drastisch aus: "Zwischen 1850 und heute sind 70 Prozent der Auen und 82 Prozent der Moore zerstört worden. Und: 80 Prozent der verbliebenen Moore sind gefährdet."

Den Schwarzen Peter in der Entwicklung hängen Naturschützer gerne der Landwirtschaft um. Liest man, was vor einigen Jahren in deren Lobbyorgan "Die Landwirtschaft" stand, vielleicht nicht zu Unrecht: "Aus ungedüngten Wiesen werden schnell Blumenwiesen – mit unrentablen Unkräutern, Wild- und Giftpflanzen. Und solche Flächen laufen Gefahr, unter Naturschutz gestellt zu werden." Von dieser Düngung, hauptsächlich Gülle, zeugen jedes Frühjahr die Löwenzahnwiesen. "Der Stickstoffanzeiger Löwenzahn verdichtet die Wiesen, das Mikroklima wird kälter. Wildbienen finden keinen Platz mehr Nester anzulegen", sagt Biologe Gusenleitner. Man dürfe allerdings "keinen Kreuzzug gegen die Bauern führen. "Wenn der Konsument 80 Cent für einen Liter Milch zahlt, muss sich der Bauer halt etwas einfallen lassen."

Es ginge auch anders

Die Zeche zahlt die Natur. Die Zahl wiesenbrütender Vogelarten geht seit Jahren zurück, insektenfressende Vögel wie der Neutöter sterben aus, Fledermäuse finden immer weniger Nahrung (siehe rechts). "Insekten sind nun einmal die Nahrungsreserven für die Übergeordneten", sagt Gusenleitner. Solche biologischen Zusammenhänge würden aber kaum noch gelehrt. In der Lehrerausbildung habe man solche Inhalte reduziert. "Eine Debildungsstrategie läuft. Dabei geht es doch um das Bewusstsein, dass diese Welt auch Bestandteil unserer, der menschlichen Lebensversicherung ist."

Dabei ginge es auch anders: Wie Hans Uhl von der Vogelschutzinitiative "Birdlife" berichtet, funktioniert die Zusammenarbeit von Landwirtschaft und Tierschutz gut, wenn beide wollen. Mit einigen Landwirten kam man überein, Mais später auszusäen, um die Gelege von Kiebitzen zu schützen. Ein Erfolg. Die schrumpfende Population dieser Luftakrobaten im Naturpark Obsthügelland (Scharten) konnte deutlich mehr Nachwuchs verzeichnen. Solche Kooperationen könnten als Vorlage für den Artenschutz dienen. "Die Politik muss aber mehr Empathie dafür entwickeln", sagt Gusenleitner.

 

PDF: Eine der wenigen Studien zum quantitativen Vorkommen von Insekten stammt vom Entomologischen Verein Krefeld (D). Zwischen 1989 und 2013 wurde verglichen, wie sich das Gewicht aller gefangenen Insekten verändert (Biomasse):

Weitere Inhalte:

 

 

Nur gemeinsam mit der Landwirtschaft lässt sich etwas ändern

 

Die Biodiversität ist in der Stadt mittlerweile höher als auf dem Land. Imker tun sich leichter und sind erfolgreicher, wenn sie ihre Bienenvölker in gartenreicher, städtischer Umgebung aufstellen. Auf dem Land ist das Nahrungsangebot für Bienen und Insekten hoch, wenn die wenigen Arten an Nutzpflanzen, etwa der Raps, blühen. Im Spätsommer hingegen herrscht Nahrungsknappheit. Nur im Wald ist dann noch etwas zu holen. Das schwächt die Bienenvölker, macht sie anfälliger für Umweltgifte und Milbenbefall.

Nur gemeinsam mit der Landwirtschaft lässt sich etwas ändern
Wildbiene: Rote Mauerbiene

Seit einige Beizmittel in der Landwirtschaft (Neonicotinoide) nicht mehr oder nur noch vorsichtiger verwendet werden dürfen, „sind Schäden an den Bienenvölkern stark rückläufig“, konstatiert Peter Frühwirth, Grünland- und Bienenexperte der OÖ. Landwirtschaftskammer. Dies betreffe auch Wildbienen.
Für die Probleme der Wildbienen und Hummeln „kann der Pflanzenschutz nicht alleine verantwortlich gemacht werden“, sagt Frühwirth. Allerdings sei es auch nicht richtig, die Landwirtschaft generell aus der Verantwortung zu nehmen. Durch Fruchtfolge, Feldstückgröße und Nutzungsfrequenz im Grünland gebe es Einflussmöglichkeiten auf die Insekten.
Die Anlage von Blühstreifen oder Hecken würde die Situation verbessern.
Langfristig wírd Biolandwirtschaft den Ausweg aus dem Dilemma darstellen, wie im Weltagrarbericht seit Jahren konstatiert wird. Öffentliche und private Grünräume seien auch in die Pflicht zu nehmen, „wenn es um die Existenzsicherung von blütenbesuchenden Insekten geht“, sagt Frühwirth.

 

Wenn Insekten fehlen, leiden viele Wirbeltiere

 

Vögeln, Fledermäusen, Spitzmäusen fehlt Nahrung

 

Anhand der Fledermaus lässt sich augenscheinlich der Zusammenhang zwischen Insektenmangel und Population einiger Flattertierarten veranschaulichen, die seit vielen Jahren rückläufig ist.

Neben dem Verlust von geeigneten Quartieren, der direkten Verfolgung durch Katze, Mensch und Marder sowie der Gefährdung durch im Körper angereicherte Pestizide setzt der Nahrungsmangel den Fledermäusen schwer zu. Dieser ist wiederum auf das Verschwinden von Lebensräumen für Insekten zurückzuführen. Der deutsche Naturschutzbund beklagt die Vereinheitlichung und Ausräumung der Landschaft durch die Beseitigung von Kleinbiotopen. Wenn wertvolle Extremstandorte (trockene oder sehr feuchte) verschwinden, verlieren sich auch die darauf angewiesenen Insekten. Werden Jagdbiotope, etwa Alleen oder Kleingewässer, zerstört, verlieren Fledermäuse nicht nur Nahrung, sondern auch Orientierungspunkte und damit Flugrouten. Die Echoortung der Fledermäuse funktioniert nämlich nur auf kurze Distanzen, lange Strecken müssen sie sich merken.

Dazu kommt der massenhafte Tod von Insekten an ungeeigneten und falsch betriebenen Beleuchtungskörpern oder auf angestrahlten Wänden.

 

Stirbt der Schmetterling, geht es anderen Insekten auch nicht gut

 

Die meisten Pflanzen- und Insektenarten sind auf magere Wiesen eingestellt. „Diese Arten hat es hart getroffen, als in den 1980er- und 90er-Jahren die Landwirtschaft umgestellt wurde: Das Vieh kam in die Ställe, der Mais auf die Felder“, erinnert der bayrische Ökologe Josef Reichholf. „Das viele Düngen vertragen nur wenige Wildpflanzen, etwa die Brennnessel. Der Brennnesselfalter ist somit einer der ganz wenigen Gewinner dieser Entwicklung.“ Schmetterlinge seien zudem eine Indikatorgruppe. Ihr Rückgang lasse auf die Lage der Insekten insgesamt schließen.

Stirbt der Schmetterling, geht es anderen Insekten auch nicht gut
Distelfalter

Seit vierzig Jahren beschäftigt sich Peter Huemer, Leiter der naturwissenschaftlichen Sammlung in den Tiroler Landesmuseen, mit Schmetterlingen. „Ja, es gibt einen deutlichen Rückgang“, sagt er. Dabei stützt sich der Forscher auf Literatur, Erfahrung und Biodiversitätsforschung aus der Schweiz und Südtirol. In Österreich gebe es wenig Daten. Dennoch könne das Fazit gezogen werden: „Je intensiver eine Fläche landwirtschaftlich genutzt wird, desto stärker ist der Arten- und Individuenrückgang.“
Unabwendbares Schicksal ist diese Entwicklung nicht. Huemer verweist auf die Obstbaugemeinde Mals im Vinschgau in Südtirol. Hier hat sich die Bevölkerung in einer Abstimmung gegen den Einsatz von Pestiziden entschieden.

Aber auch „Österreich gibt Hoffnung auf positive Veränderung“, sagt Ökologe Reichholf. „Wenn, wie im Land Salzburg, gut die Hälfte der Fläche biologisch bewirtschaftet wird, wäre das auch überall anders möglich.“ Eine Umorientierung der Subventionen auf ressourcenschonende (Klein- und Mittel-)Betriebe wäre der Hebel, mit dem gearbeitet werden könne.

 

 

 

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25. April 2024