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„Wir müssen uns von Stalin distanzieren“

01.September 2009

OÖN: Herr Ryschkow, am 1. September 1939 überfiel Deutschland Polen. Wenige Tage nach der Unterzeichnung des Hitler-Stalin-Pakts. Ist Moskau mitverantwortlich für den Kriegsausbruch?

Ryschkow: Der Hauptschuldige ist der Aggressor Hitler. Eine große Verantwortung tragen aber auch Chamberlain und Daladier mit ihrer Befriedungspolitik. Auch die USA, die sich zu neutral verhielten. Aber natürlich haben die UdSSR und Stalin eine gewaltige Mitverantwortung. Stalin hätte ja auch die Möglichkeit gehabt, sich mit Frankreich und England zu verbünden. Oder einfach den Vertrag mit Hitler nicht zu unterschreiben. Aber Stalin nutzte diesen Vertrag für seine eigene Aggression, marschierte in Ostpolen ein, auch sein Angriff auf Finnland 1940 war mit Hitler verabredet. Das war ein verbrecherischer Pakt.

OÖN: In Russland erbost man sich darüber, dass europäische Historiker Nationalsozialismus und Stalinismus als totalitäre Systeme gleichsetzen.

Ryschkow: Was hatten beide System gemeinsam? Ein Einparteiensystem, politischen Terror, Zensur, eingeschränkte Rechte und Freiheiten. Wenn man ihre Ideologien beiseitelässt, weisen beide die Herrschaftsmechanismen eines totalitären Regimes auf. Aber es ist eine andere Frage, welche Rolle sie im Krieg gespielt haben. Hitler war der Aggressor. Die Sowjetunion aber war mit England und den USA sein Hauptgegner. Und wenn man den Krieg zu Land betrachtet, hat die Sowjetunion die entscheidende Rolle beim Sieg gespielt.

OÖN: Das offizielle Russland entschuldigt alle Sünden Stalins damit, dass er den Krieg gewonnen hat.

Ryschkow: Wir sind nicht in der Lage, unseren Sieg ohne Stalin zu feiern. Wir sind unfähig zu trennen. Zwischen dem Heldenmut und dem Sieg der Sowjetvölker, ob Russen, Armenier oder Georgier, die im Kampf gegen Hitler dutzende Millionen Menschen verloren, und den Verbrechen Stalins, der Annexion des Baltikums, der Aggressionen gegen Polen und Finnland. Wir müssen uns von Stalins Erbe lossagen, seine Repressionen verurteilen, klarmachen, dass das demokratische Russland ein anderes Land ist.

OÖN: Ganz offenbar fehlt der Wille, sich von Stalin zu distanzieren. Warum?

Ryschkow: Das liegt daran, dass unser Staat von Staatssicherheitsleuten regiert wird. Und die tragen die korporative Verantwortung für die Repressionen. Wer hat denn Zehntausende unserer Soldaten erschossen, Millionen in Arbeitslagern festgehalten, wer hat Massendeportationen und Hinrichtungen im Baltikum und in Polen veranstaltet? Junge Staatssicherheitsdienstler, die in den 70er Jahren die Lehrer jener Leute waren, die heute im Kreml sitzen. Seit Putin an der Macht ist, wird Stalin rehabilitiert.

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19. April 2024