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„Der Führer braucht einen Kriegsgrund“

Von Von Heinz Niederleitner, 31. August 2009, 00:04 Uhr
„Der Führer braucht einen Kriegsgrund“
Reinhard Heydrich Bild: Archiv

Hitlers Angriff auf Polen, der sich morgen zum 70. Mal jährt, sollte nach dem Willen der Nazis wie ein Gegenschlag aussehen. Dazu hat die SS am Vorabend des Krieges Zwischenfälle vorgetäuscht.

Als sich die Bewohner von Oberschlesien, einem damals deutschen Gebiet an der Grenze zu Polen, am Abend des 31. August 1939 auf den Feierabend vor dem Radio einstellten, wurden sie überrascht: Kurz nach 20 Uhr brach das Programm ab. Was war geschehen?

Die Nazi-Propaganda lieferte in den folgenden Tagen eine Erklärung: Sie behauptete, der Rundfunksender Gleiwitz (heute Gliwice in Polen) sei von polnischen Provokateuren besetzt worden. Dazu kamen Meldungen von Grenzangriffen polnischer Soldaten. Hitler selbst behauptete am 1. September: „Polen hat heute Nacht zum ersten Mal auf unserem eigenen Territorium auch mit bereits regulären Soldaten geschossen. Seit 5.45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen!“ Der deutsche Angriff auf Polen lief. Warschaus Verbündete Frankreich und Großbritannien erklärten zwei Tage später Deutschland den Krieg. Der Zweite Weltkrieg begann.

Verbrechen der SS

Was sich am Abend vor Kriegsbeginn tatsächlich abgespielt hatte, erfuhr die große Weltöffentlichkeit erst nach dem Krieg bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen: Die angeblichen „polnischen Provokationen“ waren das Werk der SS. Der Historiker Jürgen Runzheimer hat später die Vorfälle rekonstruiert.

„Der Führer braucht einen Kriegsgrund“, hatte der Chef des Sicherheitsdienstes (SD) der SS, Reinhard Heydrich, Anfang August 1939 dem Leiter der Gestapo-Stelle im schlesischen Oppeln eröffnet. Heydrich engagierte sich persönlich bei der Vorbereitung von Zwischenfällen, die diesen Kriegsgrund vorgeben sollten. Drei Schauplätze wurden dafür bestimmt: Beim Sender Gleiwitz sollten zivil gekleidete SS-Männer einen Angriff polnischer Aufrührer vortäuschen. In Hochlinden und Pitschen sollten dagegen direkt an der Grenze Angriffe „polnischer“ Soldaten in Szene gesetzt werden. So weit der Plan.

Fehlalarm

Zunächst schien es schon am 25. August loszugehen, als Hitler den Angriff der Wehrmacht auf Polen anrollen ließ. Die SS-geführten Gruppen für die gespielten Zwischenfälle gingen mit ihren Utensilien – darunter polnischen Uniformen – in Bereitschaft. Als Hitler den Angriffsbefehl widerrief, hatte ein Teil die Operation sogar schon begonnen und konnte nur mit Mühe gestoppt werden. Die Tarnung der SS drohte dabei aufzufliegen.

Nach diesem Beinahe-Debakel entsandte Heydrich den SS-Offizier Heinrich Müller – den berüchtigten Gestapo-Müller – als neuen Leiter der drei Aktionen nach Oberschlesien. Müller war es auch, der für den Sender Gleiwitz – wie er es nannte – „Konserven“ organisierte: Er erklärte Sturmbannführer Alfred Helmut Naujocks, der den „Angriff“ in Gleiwitz leitete, dass er für die Aktion KZ-Häftlinge kommen lasse. Ihre Leichen sollten zum Beweis als polnische Soldaten und Aufrührer ausgegeben werden.

Die SS brauchte nach dem Fehlalarm nicht lange auf ihren Einsatz zu warten: Am 31. August stürmte Naujocks mit sechs Mann in Zivil gegen acht Uhr Abend das Sendegebäude in Gleiwitz. „Wir haben ein paar Warnschüsse in die Decke abgegeben, um ein bisschen Krawall zu machen und die Leute einzuschüchtern“, sagte Naujocks nach dem Krieg. Die getarnten SS-Männer sperrten die Angestellten des Senders in den Keller und gingen daran, einen vorbereiteten Text in polnischer und deutscher Sprache in den Äther zu schicken, wonach der Sender in polnischer Hand sei.

Auf Sendung

Trotz technischer Schwierigkeiten gelang es Naujocks’ Leuten, das aus Breslau zugeleitete Programm abzustellen und das Gewittermikrofon zu finden. Diese Einrichtung wurde normalerweise nur zur Ankündigung der Senderabschaltung bei schweren Unwettern verwendet. Der Sender Gleiwitz selbst machte kein eigenes Programm.

Soweit sich heute feststellen lässt, ist es den SS-Männern aber nicht gelungen, die ganze Rede zu senden. Nur die Worte „Achtung! Achtung! Hier ist Gleiwitz! Der Sender befindet sich in polnischer Hand“ sollen zu hören gewesen sein.

Rund 20 Minuten nach ihrem Eindringen verließ Naujocks mit seinen Leuten das Gebäude wieder. An der Tür, so sagte er nach dem Krieg, habe er dann einen Mann mit blutverschmiertem Gesicht liegen gesehen – die von Müller angekündigte „Konserve“. Später tauchte noch ein zweiter Toter auf dem Sendergelände auf. Nach dem Krieg konnte, oder eher: wollte Naujocks dazu keine genaueren Auskünfte geben. Er lebte als Geschäftsmann in Hamburg und bestritt, mit dem Mord etwas zu tun zu haben.

Das Kalkül der Mörder

Heute gilt Franz (Franciszek) Honiok als einer der Toten. Von dem Oberschlesier war bekannt, dass er ein Anhänger Polens war, auch wenn er auf der deutschen Seite der Grenze lebte. Insofern, so das Kalkül seiner Mörder, würde seine Leiche die Behauptung vom polnischen Überfall stützen. Honiok war offenbar ganz bewusst ausgesucht und kurz vor dem „Senderüberfall“ festgenommen worden. Mitunter wird er als das erste Todesopfer des Zweiten Weltkriegs bezeichnet.

Doch am Abend des 31. August wurden noch weitere als „Konserven“ ausgewählte Menschen ermordet. Denn die zwei anderen von der SS geplanten „Grenzzwischenfälle“ in Oberschlesien fanden ebenfalls statt. Bei Hoch-linden zog eine SS-Gruppe im Wald polnische Militär-uniformen an. Die Männer marschierten zum deutschen Zollhaus, das sie mit Luftschüssen „angriffen“. Dabei schimpften sie laut auf Polnisch über Deutschland. Die „Angreifer“ demolierten wie befohlen das Zollgebäude und wurden dann als „Gefangene“ von vorgeblichen Verteidigern der Grenze abtransportiert. Die Schüsse des inszenierten Gefechts waren in einer nahen Ortschaft zu hören. Zurück blieben ein zerstörtes Zollhaus und etwa sechs Tote in polnischen Uniformen – weitere „Konserven“ von Müller.

Ein Scheingrab

Der letzte „Zwischenfall“ wurde in Pitschen inszeniert. Dort griffen die angeblichen Eindringlinge ein Forsthaus an. Als der Förster den Bürgermeister des Ortes über Telefon informierte, wurde effektvoll mitten im Gespräch die Telefonleitung durchschnitten. Beim Eintreffen von Beamten der Grenzaufsichtsstelle war von den „Angreifern“ nichts mehr zu sehen. Der Förster war unverletzt. Zurück blieben Einschusslöcher und ein Erdhügel als Scheingrab.

Obwohl die NS-Presse die angeblichen „polnischen Angriffe“ zunächst groß aufspielte, hat sie der beginnende Zweite Weltkrieg mit seinen enormen Gräueln schnell überlagert. Der Versuch der NS-Führung, den eigenen Angriffskrieg als Reaktion auf polnische Attacken darzustellen, hat London und Paris nicht täuschen können: Die Aggression ging von Deutschland aus. Die Appeasement-Politik, die nach dem „Anschluss“ Österreichs die deutsche Eingliederung des Sudetenlandes sowie die Besetzung der sogenannten „Rest-Tschechei“ (Protektorat Böhmen und Mähren) toleriert hatte, war zu Ende.

Angesichts von rund 55 Millionen Toten im Zweiten Weltkrieg erscheinen die „Grenzzwischenfälle“ heute als eher kleine Ereignisse. Aber sie sind ein weiteres Symbol dafür, wie das Dritte Reich mit skrupelloser Hinterlist, Lüge und Mord seine Interessen verfolgte.

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