"Wenn sich nichts ändert, können wir auch auf zehn Prozent abrutschen"

Von (az)   31.Jänner 2019

"Die SPÖ muss sich von dem Anspruch verabschieden, eine Großpartei zu sein", sagte Politologe Peter Filzmaier beim "Oberösterreich-Gespräch" von ORF und OÖNachrichten am Dienstagabend im ORF-Landesstudio. Das strategische Ziel müsse "Mittelpartei" sein, weil es für keine Partei mehr möglich sei, 40 oder 50 Prozent zu erreichen.

Über die schwierige Lage der Sozialdemokratie in Österreich und in Europa diskutierten SPÖ-Landesvorsitzende Birgit Gerstorfer, der Steyrer SPÖ-Nationalratsabgeordnete Markus Vogl, der Politologe Peter Filzmaier, der Historiker Marcus Gräser – und als Reibebaum für die SPÖ-Vertreter auf dem Podium der freiheitliche Landeschef Landeshauptmann-Stv. Manfred Haimbuchner.

Die Diskussion verlief emotional, auch das Publikum brachte sich mitunter lautstark ein. Grund dafür war Haimbuchner, der sich zwar anfangs zurückhielt und Bruno Kreisky als "größten Staatsmann" Österreichs nach 1945 bezeichnete, im Laufe des Abends aber angriffiger wurde.

Protest wegen Waldheim-Sager

Aufregung herrschte im Saal etwa, als Haimbuchner der SPÖ vorhielt, dass sie bei der Waldheim-Affäre in den 1980er-Jahren gegen die Interessen der Österreicher agiert und so an Glaubwürdigkeit verloren habe.

Gerstorfer kritisierte im Gegenzug die "fast wöchentlichen rechtsradikalen Ausrutscher" der FPÖ. Mit so einer Partei gebe es keine Basis für eine Zusammenarbeit. Haimbuchner konterte wiederum, indem er die SPÖ eine "Utopistensekte" nannte: "Ich denke, dass der Weg der SPÖ zu Ende gegangen ist. Sie beschäftigt sich nicht mit der Lebensrealität der Bevölkerung und stellt sich nicht dem Wertewandel, was Heimat, Leistung und Sicherheit betrifft", sagte Haimbuchner.

Gerstorfer und Vogl betonten die sozialen Errungenschaften der Sozialdemokraten. Auch heute seien Themen wie Wohnen, Gesundheit, Kinderbetreuung und Pensionen aktuell. Letzterem stimmte Politologe Peter Filzmaier zu – jedoch verliere die SPÖ den Themenwettbewerb in der Öffentlichkeit. Die FPÖ schaffe es, Themen, bei denen ihr zwar weniger Kompetenz zugeschrieben werde, zu "überlagern" – sie spreche etwa nicht über pädagogische Konzepte, sondern über den Anteil von Kindern mit nichtdeutscher Muttersprache in Schulen. Die SPÖ müsse hier dagegen halten, so Filzmaier. "Da braucht es aber dann wirklich die besseren Argumente."

Dass rote Wahltriumphe möglich sind, zeigte der Gewerkschafter Vogl bei der MAN-Betriebsratswahl in Steyr 2018 mit 92 Prozent. "Die Mitarbeiter haben gesehen, dass wir uns für faire Arbeitsbedingungen einsetzen. Die Schwäche auf Landesebene ist, Themen plakativ rüber zu bringen", sagte Vogl.

Aus dem Publikum schaltete sich Christian Denkmaier in die Debatte ein. Auch er ist ein roter Wahlsieger. Bei der Bürgermeisterwahl 2015 in Neumarkt im Mühlkreis erreichte der frühere SPÖ-Landesgeschäftsführer 71 Prozent: "Wer die wesentlichen Dinge richtig macht, wird nicht abgewählt." Die Leute würden genau abwägen, wer ihren Interessen am besten nutze. Dass das die SPÖ ist, davon seien offenbar immer weniger überzeugt. Wenn sich nichts ändere, "können wir in Oberösterreich auch auf zehn Prozent abrutschen", warnte Denkmaier.

Die SPÖ ist bei der Landtagswahl 2015 auf 18 Prozent gesunken. Parteichefin Gerstorfer wollte dennoch nicht von einem "Niedergang" sprechen. Man werde bei der Landtagswahl 2021 erfolgreich sein. Dazu braucht es laut Reinhard Winterauer, Ex-SPÖ-Landesgeschäftsführer und Ex-Bürgermeister von Bad Goisern, eine bessere, zielgerichtete Kommunikation. In den sozialen Medien etwa tue sich die SPÖ schwer, anders als die FPÖ, die hier laut Filzmaier früh teilweise eine "Parallelwelt" aufgebaut habe.

Entwicklungen verschlafen

Auch für Denkmaier sind die sozialen Medien eine "Entwicklung, die verschlafen wurde". Dazu gehörten auch das Migrationsthema und die Veränderungen durch die Globalisierung. Von einer gewissen "Erschöpfung" der Sozialdemokratie sprach Marcus Gräser, Vorstand des Instituts für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte an der Linzer Kepler-Uni (JKU). Zu Bruno Kreiskys Zeiten waren 80 Prozent Stammwähler. "Seither gab es eine Zersplitterung, die Milieubindung löste sich auf", sagte Gräser. Bevölkerungsschichten, die am Wohlstand noch nicht teilhaben, seien weiter das Reservoir für die SPÖ: "Aber das bringt nicht automatisch Wahlerfolge."

Auf die Eingangsfrage, wer die Sozialdemokratie noch brauche, sagte Gerstorfer letztlich: "Wir alle. Besonders in einer Zeit, in der der Sozialstaat demoliert wird."

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