Burn-out in der Politik: „Die Dunkelziffer ist sicher höher“

Von Wolfgang Braun   22.September 2012

Ausgebrannt, erschöpft, überlastet, Burn-out. Was Oberösterreichs grüner Umweltlandesrat Rudi Anschober am Donnerstag als erster österreichischer Spitzenpolitiker öffentlich einbekannte, ist für heimische Politologen kein Einzelfall. „Die Dunkelziffer liegt sicher höher“, sagt der Innsbrucker Politologe Ferdinand Karlhofer. Es sei daher hoch an der Zeit, dass ein exponierter Politiker den Mut gehabt habe, dazu auch öffentlich zu stehen. Anschobers Ehrlichkeit sei empfehlenswert, sagt Karlhofer.

Dass Politiker eine Zeit lang von der Bildfläche verschwinden, abtauchen, das alles hat es schon gegeben. In vielen Fällen dienten diese Pausen dazu, sich wieder zu stabilisieren, ein emotionales Tief in den Griff zu bekommen – häufig mit Hilfe von Medikamenten. Die Auszeiten lösten zwar manchmal Geraune und Gerüchte aus, aber keine öffentlichen Geständnisse.

Überraschen dürfe die Belastung der Politiker niemanden, so Karlhofer: „Politiker ist ein harter Beruf, für den es Leidenschaft und Leidensfähigkeit braucht. Daher bin ich auch der Meinung, dass Politiker kein Lebenszeit-Job sein sollte“, sagt der Politikwissenschafter. Arbeitstage bis in die Nachtstunden, keine freien Wochenenden, das alles zehrt nicht nur an der eigenen Substanz, sondern auch am Familienleben. Und dazu kommt das horrend steigende Tempo, befeuert durch Youtube, Facebook, Twitter etc.: „Heute ist es Politikern trotz der Professionalisierung ihrer Pressestäbe nicht mehr möglich, die Kommunikationskontrolle zu behalten. Heute kann es passieren, dass man eine Aussage auf einer Veranstaltung im Mühlviertel eine Stunde später mit Handy gefilmt auf Youtube im Internet finden kann“, sagt der Politologe Peter Filzmaier.

Der Glaube, ständig erreichbar und verfügbar sein zu müssen, lässt die Politiker nicht mehr los – und er steigt im selben Ausmaß, in dem das Prestige der Politik sinkt. „Politiker haben den Eindruck, als stünden sie bei den Wählern unter Generalverdacht. Sie glauben, sie müssen immer demonstrieren, dass sie tatsächlich etwas leisten“, sagt Ferdinand Karlhofer. Daher sei das Eingeständnis, eine Pause oder etwas Abstand zu brauchen, auch ein Tabu-Thema in der Politik. Nicht zu vergessen ist die Vorsicht vor den Parteifreunden: „Viele weigern sich auch deshalb, eine Überlastung einzugestehen oder eine Auszeit zu nehmen, weil sie Angst haben, dass dann angefangen wird, parteiintern am Stuhl zu sägen“, sagt Peter Filzmaier.

Mitschuld an der Entwicklung habe laut Filzmaier aber auch die Politik selbst. Jahrelang habe man Bilder vom fitten, jungen, dynamischen Politiker geschaffen. „Fast jede Partei hatte doch eine Zeit lang in ihren Reihen mindestens einen, der Marathon gelaufen ist. Zu signalisieren, dass man Spitzenpolitik betreiben und nebenbei Marathon trainieren kann, damit hat es die Politik auf die Spitze getrieben. Und das nicht zu ihrem Vorteil“, sagt Filzmaier.

Filzmaier ist jedoch wie auch Karlhofer der Meinung, dass diese Entwicklung wieder umgekehrt werden kann – wobei Anschober als Beispiel dient. Dieser habe offen, glaubwürdig und menschlich reagiert.

Ob Anschober den Weg zurück in die Politik wieder schaffen kann? „Ja. Eben gerade deshalb, weil er der Handelnde war“, sagt Filzmaier. Er habe sich nicht von außen in eine Pause drängen lassen müssen, sondern habe sich selbst offensiv zu diesem Schritt entschieden. Zudem sei er bei den Grünen in Oberösterreich die erklärte Führungsfigur. „Durch seine politischen Erfolge ist er in seiner Partei unangreifbar“, sagt Filzmaier.