Aktenaffäre: Linz gerät immer stärker unter Druck

Von Roland Vielhaber   23.November 2018

"Das ist inakzeptabel und gleicht einer Missachtung des Rechtsstaates, wenn betrügerische Unternehmen trotz ganz konkretem Anfangsverdacht ungeschoren davonkommen": Gestern platzte Finanzminister Hartwig Löger (VP) der Kragen.

Denn während der Magistrat der Stadt Linz mit der Nachforschung begann, ob auch nach Bekanntwerden der Aktenaffäre im Mai 2017 große Fälle nicht bearbeitet worden sind, verstärkte die Finanzpolizei ihre Vorwürfe: So seien in den vergangenen eineinhalb Jahren nicht weniger als 1171 Urgenzschreiben seitens der Finanzpolizei an den Linzer Magistrat ergangen – in Papierform. Diese Urgenzen betrafen 400 Verfahren, die laut Finanzpolizei nicht verjährt waren, die die Stadt aber selbst nach Auffliegen der Affäre liegen gelassen habe. Laut Finanzpolizei waren darunter auch ganz neue Fälle.

Rückblick: Zwischen 2010 und 2017 verjährten fast 2000 Strafanzeigen, weil die zuständige Abteilung im Rathaus untätig geblieben war. Im Mai 2017 erstattete die Finanzpolizei deswegen bei der Staatsanwaltschaft Anzeige gegen die Stadt.

Am Mittwoch hatte die Finanzpolizei neue schwerwiegende Vorwürfe auf den Tisch gelegt - die OÖN berichteten ausführlich. Demnach sei unter anderem im Dezember 2017 der Fall einer Linzer Fassadenbaufirma verjährt, die von der Finanzpolizei wegen illegaler Beschäftigung von 25 Arbeitern auf einer Baustelle in Wien angezeigt worden war. Dabei ging es um einen Strafrahmen von 100.000 Euro. Die Firma kam ungeschoren davon, obwohl die Stadt nach Bekanntwerden der Affäre noch ein halbes Jahr Zeit zum Handeln gehabt hätte.

Linz geht von anderen Fristen aus

"Die Finanzpolizei und wir gehen bei diesem Verfahren von unterschiedlichen Fristen aus. Dieser Fall ist aus unserer Sicht schon vor Bekanntwerden der Affäre verjährt, es handelt sich um eine Altlast", sagt Vizebürgermeisterin Karin Hörzing (SP), die gestern eine engere Kooperation mit der Finanzpolizei vereinbarte. Die Stadt sei um lückenlose und rasche Aufklärung bemüht, sagt Hörzing. Aus dem Büro von Bürgermeister Klaus Luger (SP) hieß es: "Das Kontrollamt sowie die Personaldirektorin sind eingeschaltet."

Die Kritik ist harsch - auch aus den Reihen der Linzer Opposition. "Offensichtlich haben auch die Einstellung zusätzlicher Mitarbeiter in der Abteilung Verwaltungsstrafen und die Beiziehung eines Rechtsanwaltes, der die Stadt bisher knapp 200.000 Euro gekostet hat, nicht ausreichend Wirkung gezeigt", hieß es gestern von ÖVP, Grünen und Neos. Die Leitungsstelle der betroffenen Abteilung Verwaltungsstrafen ist im Übrigen seit rund einem Jahr unbesetzt.

Wirtschaftslandesrat Michael Strugl (VP) sieht nicht nur einen finanziellen Schaden durch die Aktenaffäre. Betriebe, die illegal Arbeiter beschäftigen, aber wegen Untätigkeit vom Magistrat ungestraft davonkamen, können weiter an öffentlichen Ausschreibungen teilnehmen, sagt Strugl. "Die Aktenaffäre bedeutet damit eine massive Wettbewerbsverzerrung für die Wirtschaft."

Video: Heftige Reaktionen gibt in der Linzer Aktenaffäre auf die Vorwürfe der Finanzpolizei, wonach auch Anzeigen am Bau nicht bearbeitet worden seien.

 

Die Aktenaffäre: 

Prüfer des Bundesrechnungshofes beziffern im Rohbericht, der den OÖN vorliegt, den Schaden durch entgangenen Strafzahlungen mit 382.000 Euro, die nun eintrudelnden Einstellungsbescheide dürften den Schaden erhöhen.

Die Prüfer sehen in dem vertraulichen Bericht auch eine „Mitverursachung“ der Affäre durch die Rathaus-Spitzen – also durch Bürgermeister, Magistratsdirektion und Geschäftsbereichsleitung. Sie hätten verabsäumt, den erforderlichen Personalbedarf in der zuständigen Abteilung rechtzeitig zu prüfen. Bürgermeister Klaus Luger (SP) war erstmals im Juni 2016 von der Finanzpolizei auf Verjährungen hingewiesen worden.

Gegen Luger sowie fünf Magistratsbedienstete ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf Amtsmissbrauch.

Video: Neue Vorwürfe in der Aktenaffäre 

Linzer Leiden: Die Baustellen der Landeshauptstadt

1. Magistrat: 2000 Strafakten blieben einfach liegen

Wie konnte es dazu kommen, dass im Linzer Rathaus fast 2000 Strafanzeigen aufgrund von "Untätigkeit der Behörde" verjährten? Diese Frage stellen sich viele Linzer. Die Aktenaffäre wurde im Mai 2017 nach Anzeige durch die Finanzpolizei publik. Selbst danach sollen weitere Verfahren, darunter auch große, nicht bearbeitet worden sein.

 

2.  Theater: Ein echtes Drama um den Theatervertrag

Seit 40 Jahren regelt ein komplexes Vertragswerk die Zahlungsströme zwischen Stadt Linz und Land Oberösterreich, was die Theater- und Orchester-GmbH (TOG), Liva und AEC betrifft. 2019 zahlt Linz 13,2 Millionen für die TOG. Das Land überweist rund 7,6 Millionen für AEC und Liva. Linz hat per Ende 2019 den Vertrag aufgekündigt.

 

3. Infrastruktur: Verkehrsprobleme sind nur gemeinsam lösbar

Der Stau in Linz: tägliches Ärgernis, das sich verschärft. In die Brückenbauten ist zuletzt Bewegung gekommen, beim Ausbau des öffentlichen Verkehrs stockt aber noch viel. Zweite Straßenbahn-Schienenachse, Park-and-ride-Plätze mit Umsteigeknoten für leistungsfähige Bahnverbindungen, Ostumfahrung – all das benötigt den Schulterschluss.

 

4. Swap: 500 Millionen schweres Damoklesschwert

Der Prozess mit der Bawag, der ehemaligen Hausbank der Stadt, läuft seit 2013: Linz hatte 2007 eine desaströse Franken-Zinswette abgeschlossen ("Swap 4175"), stieg später aus dem Geschäft aus und klagte die Bank. Vor dem Wiener Handelsgericht geht es um einen Streitwert von 500 Millionen Euro –
Ausgang ungewiss.

 

5. Finanzen: Problem mit regionalen Kreditgebern

Bereits im Vorjahr haben die OÖN berichtet, dass die Regionalbanken bei der Kreditvergabe an Linz auf der Bremse standen. Bei der Suche nach Geldgebern musste Linz nach Deutschland ausweichen. Solange man rund um den Swap nicht zahlen muss, hat die Stadt Spielraum. Allerdings erschwert dieses Damoklesschwert die Refinanzierung.

 

6. Stadion: Bei der Lask-Arena hält Luger den Ball flach

Das Land spielt beim geplanten Stadionbau des LASK in unmittelbarer Nähe zum Pichlinger See mit dem Fußball-Verein den Doppelpass. Bürgermeister Klaus Luger hält den Ball dagegen flach. Der LASK sei eine GmbH und daher wie ein Unternehmen zu sehen. "Ich werde keiner Firma zehn Millionen Euro schenken", sagte Luger.

 

7. Kepler-klinikum: Abschied von einem Prestige-Projekt

Linz hat sein AKH in das Kepler-Universitätsklinikum (Kuk) eingebracht und hält nun an diesem Uni-Klinikum 25,1 Prozent. Es ist ein Prestige-Projekt, das Linz aber jährlich insgesamt rund elf Millionen Euro kostet – Tendenz eher steigend. Daher ist ein Ausstieg aus dem Kuk denkbar, noch läuft allerdings bis 2023 ein Kooperationsvertrag.