Regierung will bei Sozialhilfegesetz nachbessern

Von nachrichten.at/apa   15.April 2019

"Wir werden klarstellen, dass Geldleistungen nicht angerechnet werden", so Hartinger-Klein vor Journalisten am Rande des Experten-Hearings im Sozialausschuss.

Bei den Sachleistungen sei dies ohnehin bisher klar gewesen, meinte die Sozialministerin. Laut Wöginger sind sowohl öffentliche als auch private Spenden gemeint: "Es werden Spenden aller Art nicht eingerechnet."

Bei der Knüpfung der Sozialhilfe an die Deutschkenntnisse hingegen, zeigten sich Wöginger und Hartinger-Klein unnachgiebig. "Dabei bleiben wir", erklärte die Sozialministerin.

Video: Diese Nachbesserungen kündigte das Sozialministerium an

Der Sozialausschuss des Nationalrats hat den Gesetzesentwurf am Dienstagnachmittag abgesegnet. Nach einem Experten-Hearing passierte die Regierungsvorlage den Ausschuss mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ÖVP und FPÖ. Der Beschluss im Nationalrat ist für den 25. April geplant.

Das Gesetz soll laut Regierungsvorlage mit 1. Juni in Kraft treten. Die Länder haben dann bis Ende des Jahres Zeit für ihre Ausführungsgesetze. Die genauen Ausführungsbestimmungen sowie konkrete Sanktionen bei Missbrauch oder Arbeitsunwilligkeit müssen sie selbst festlegen.

Erwartbares im Experten-Hearing

Keine Überraschungen haben die Einschätzungen der Experten zum umstrittenen Sozialhilfe-Grundsatzgesetz, also der Neuregelung der Mindestsicherung, am Montag im Sozialausschuss gebracht. Die Fachleute untermauerten weitgehend die Standpunkte der Parteien, die sie entsandt haben. Die von Türkis-Blau Nominierten verteidigten die Regierungsvorlage, jene der Opposition übten zum Teil massive Kritik.

Die von der FPÖ entsandte Expertin aus dem Sozialministerium, Elisabeth Bruckmüller, bezeichnete das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz als "Meilenstein". Ziel sei es, negativen Entwicklungen entgegenzusteuern. Zum einen hätten immer mehr Bezieher keine österreichische Staatsbürgerschaft mehr, zum zweiten würden die Ausgaben immer mehr steigen. Mittlerweile machten sie eine Milliarde Euro aus, so Bruckmüller. Die neue Sozialhilfe soll zudem die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt unterstützen, und der größere Fokus auf Sachleistungen würde die "Treffsicherheit" erhöhen. Außerdem liefere die Änderung des Sozialhilfestatistikgesetzes erstmals verbindliche Vorgaben, welche Daten von den Ländern zur Verfügung gestellt werden müssen, so Bruckmüller: "Damit haben wir erstmals verlässliche Daten aus den Ländern."

"Die Armutslücke wird vergrößert"

Kein gutes Haar ließ der von der Liste JETZT nominierte Rechtspolitologe Nikolaus Dimmel an der Regierungsvorlage. Die neue Mindestsicherung sei von ihrem Ziel her "nicht mehr auf die Vermeidung von Armut ausgerichtet". Vielmehr spitze sie die prekäre soziale Lage zu: "Die Armutslücke wird vergrößert." Durch die "Deckelungsmechanik" seien die Handlungsspielräume massiv eingeschränkt. Zudem befürchtete er eine Verschlechterung bei den administrativen Kosten der Länder und Gemeinden.

Eine weitere "Polarisierung und Verfestigung" der Armut befürchtete auch die von der SPÖ geschickte Sozialwissenschaftlerin Karin Heitzmann. Vor allem Familien mit Kindern werden betroffen sein. Zudem stehe bei den Anreizen für Integration die Schnelligkeit und weniger die Nachhaltigkeit im Vordergrund. Bereits im aktuellen Modell sei die kulturelle Teilhabe von Menschen, die eine bedarfsorientierte Mindestsicherung beziehen, eingeschränkt: "Die Teilhabemöglichkeiten werden durch die neue Sozialhilfe weiter reduziert." Gleich mehrere rechtliche Bedenken meldete der ebenfalls von den Sozialdemokraten nominierte Arbeits- und Sozialrechtler Walter Pfeil an. Die asylpolitische "Mauer", die da offenbar aufgebaut werden solle, werde vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) und vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) eingerissen werden. Eine Rechtfertigung aus integrations- und fremdenpolizeilichen Gründen würden womöglich die Staffelung oder den Vorrang von Sachleistungen möglich machen, im Armenwesen solle aber einzig auf den Gesichtspunkt der sozialen Bedürftigkeit Bedacht genommen werden.

"Auch aktuelle Regelung ist nicht das Gelbe vom Ei"

Der von der Volkspartei entsandte Sozialrechtler Wolfgang Mazal betonte, dass auch die aktuelle Regelung in Sachen Armutsbekämpfung nicht "das Gelbe vom Ei" sei. Die neue Sozialhilfe bringe in mehreren Punkten einen Paradigmenwechsel. Es gebe nun keine einheitliche Mindestsicherung pro Kopf, sondern es werde verstärkt auf die Unterschiede in den Ländern Rücksicht genommen. Der Spielraum der Länder bei den Wohnkosten sei sinnvoll. Mazal sieht die Spielräume der Länder nicht problematisch: "Ich vertraue darauf, dass die Länder die Sache lösen werden." Auch sei es legitim, einen starken Schwerpunkt auf Sachleistungen zu legen. Dies sei wichtig für die "soziale Kohäsion der Gesellschaft" und die Ausgewogenheit. Denn es dürften die Geldleistungen der Sozialhilfe nicht höher sein als manches Erwerbseinkommen. Und beim Spracherwerb sei nicht das primäre Ziel die Partizipation am Arbeitsmarkt, sondern die gesellschaftliche Teilhabe. Diesbezüglich sei der Spracherwerb ein "basic need".

Staffelung bei Kindern als "falsches Signal"

Für Ökonom Wolfgang Nagl (NEOS nominiert) geht das Ziel einer bundeseinheitlichen Regelung in die richtige Richtung, es werde halt nicht erreicht. Denn durch die Höchstgrenzen bleibe ein Spielraum für die Länder. Zudem hätte man noch mehr auf Sachleistungen setzen können, so Nagl: "Denn aus der Literatur wissen wir, dass Sachleistungen zielgerichteter sind, gerade im Wohnbereich." Bei der Erhebung der Höhe der Mindestsicherung hätte sich der Ökonom mehr Transparenz gewünscht, etwa indem das Vorschlagsrecht bei einer Expertenkommission läge. Die vorgesehene Staffelung bei den Kindern sei ein "falsches Signal". "Das finde ich etwas unglücklich." Bei den Vermögensfreigrenzen wäre es angebracht gewesen, das Lebensalter und die Erwerbssituation stärker zu berücksichtigen. In Sachen Deutschkenntnisse meinte Nagl, dass Anreize grundsätzlich zu begrüßen seien, es aber besser wäre, sie an die Bereitschaft und nicht an ein Sprachniveau zu koppeln. Auch die Änderung des Sozialhilfestatistikgesetzes seien "positiv" zu beurteilen. Die Daten müssten aber sowohl der Öffentlichkeit als auch der Wissenschaft zu Verfügung gestellt werden.

Der von der FPÖ geschickte Verfassungsexperte Michael Schilchegger betonte, dass das Gesetz aus seiner Sicht keineswegs verfassungswidrig sei. Zudem werde es zu einer höheren "Systemgerechtigkeit" führen. Der von der ÖVP nominierte oberösterreichische Landtagsdirektor Wolfgang Steiner bezeichnete den Zeitplan bis zum Inkrafttreten als "ambitioniert". Es werde nämlich einige Zeit benötigen, um die Systeme neu zu programmieren und anzugleichen. Weiters müssten Mitarbeiter geschult und Formulare neu gemacht werden, betonte Steiner: "Und das parallel zum weiterlaufenden Regelbetrieb." Das Gesetz soll am 25. April im Nationalrat beschlossen werden und mit 1. Juni in Kraft treten, die Bundesländer haben für ihre Ausführungsgesetze bis Jahresende Zeit.

Video: Der SPÖ-Parlamentsklub überträgt das Hearing per Livestream.

 

Die neue Sozialhilfe im Detail

Mit dem Bundesgesetz über die "Grundsätze der Sozialhilfe" regelt die Regierung die bisherige Mindestsicherung neu. Dieses im Vorfeld heftig kritisierte "Grundsatzgesetz" legt künftig Höchstgrenzen für die Sozialhilfe fest. Es soll mit 1. Juni in Kraft treten, die Bundesländer haben für ihre Ausführungsgesetze bis Jahresende Zeit. Eine kleine Änderung betreffend Anrechnung von Spenden soll es im Parlament noch geben.

Die monatliche Sozialhilfe wird damit künftig in der Höhe des Netto-Ausgleichszulagenrichtsatzes gewährt, das sind 885,47 Euro für 2019. Für Paare sind es zwei Mal 70 Prozent des Richtsatzes, das sind derzeit 1.239,66 Euro.

Für Familien mit mehreren Kindern bringt die Neuregelung Einschnitte durch eine Staffelung pro Kind: Für das erste Kind ist ein Sozialhilfe-Satz von 25 Prozent des Netto-Ausgleichszulagenrichtsatzes vorgesehen (221,37 Euro), für das zweite Kind 15 Prozent (132,82 Euro) und ab dem dritten Kind gibt es 5 Prozent des Netto-Ausgleichszulagenrichtsatzes (44,27 Euro).

Für Menschen mit Behinderung ist ein Bonus von 18 Prozent (159,39 Euro) vorgesehen. Hier hat die türkis-blaue Koalition noch nachgebessert und aus der Kann-Bestimmung im Begutachtungsentwurf eine Muss-Bestimmung für die Länder in der Regierungsvorlage gemacht. Für Alleinerzieherinnen ist hingegen bei der Kann-Bestimmung geblieben. Ihnen können die Länder nach eigenem Ermessen Zuschläge von 12 Prozent vom Ausgleichszulagenrichtsatz (106,25 Euro) bei einem Kind ausschütten, bei zwei Kindern 21 Prozent (185.95 Euro), bei drei Kindern 27 Prozent (239,10 Euro) und für jedes weitere Kind plus drei Prozent.

Leben mehrere Sozialhilfebezieher in einer Wohngemeinschaft, so ist eine Deckelung von 175 Prozent des Ausgleichszulagenrichtsatzes (1.549,57 Euro) vorgesehen. Ausgenommen von dieser Deckelung sind nicht nur Kinder, sondern auch Menschen mit Behinderung. Auch dauerhaft erwerbsunfähige Bezieher sind von der Bestimmung ausgenommen.

Die Länder haben die Leistungen mit maximal zwölf Monaten zu befristen, danach muss ein neuer Antrag gestellt werden. Bestehende bessere Regelungen der Länder für Sonderbedarfe (Pflege, Behinderung) werden durch dieses Grundsatzgesetz nicht berührt. Die Länder können einen Wohnzuschuss von bis zu 30 Prozent gewähren, um die unterschiedlich hohen Mietkosten in den Bundesländern zu berücksichtigen. Straftäter bekommen während des Aufenthalts in der Haftanstalt keine Sozialhilfe, unmittelbar nach ihrer Entlassung (auch nach einer bedingten) haben sie aber Anspruch darauf.

Nach heftiger Kritik der Opposition hat die Regierung am Montag noch eine Klarstellung angekündigt, dass Spenden nicht angerechnet werden. In der Regierungsvorlage ist in Paragraf 7 noch davon die Rede, dass bei der Bemessung von Leistungen der Sozialhilfe "alle zur Deckung der eigenen Bedarfe zur Verfügung stehenden Leistungen Dritter, sonstige Einkünfte und verwertbares Vermögen - auch im Ausland - anzurechnen" seien. Gleichzeitig ist aber in Paragraf 6 geregelt, dass zusätzliche Leistungen zur Unterstützung des Lebensunterhaltes oder zur Abdeckung außerordentlicher Wohnkosten "im Einzelfall zur Vermeidung besonderer Härtefälle" möglich sind. Am Montag kündigte die Koalition jedenfalls eine Klarstellung an, dass Spenden aller Art nicht von der Sozialhilfe abgezogen werden.

Mit dem Sozialhilfe-Grundsatzgesetz werden explizit auch "integrationspolitische und fremdenpolizeiliche Ziele" berücksichtigt. Für Zuwanderer mit schlechten Deutschkenntnissen bedeutet das Kürzugen. Sie bekommen nur 65 Prozent der regulären Leistung, das sind für 2019 rund 575 Euro. Die rund 300 Euro Differenz auf die volle Geldleistung werden als Sachleistung zum "Arbeitsqualifizierungsbonus für Vermittelbarkeit" erklärt. Damit sollen Sprachkurse finanziert werden. Den vollen Betrag gibt es erst ab Deutsch-Niveau B1 oder Englisch-Niveau C1. Präzisiert wird hier im Integrationsgesetz, dass der Österreichische Integrationsfonds (ÖIF) die Kursanbieter zertifiziert und auch die Prüfungen abnimmt. Für Drittstaatsangehörige sowie EU- und EWR-Bürger ist eine fünfjährige Wartefrist vorgesehen, bevor sie die Sozialhilfe beziehen können.

Bestehen bleibt die Möglichkeit der Länder, auf das Vermögen der Betroffenen zuzugreifen. Es gibt aber Ausnahmen, so soll etwa ein Auto, das zur Fahrt in die Arbeit benötigt wird, vom Zugriff ausgenommen sein. Zudem wird ein "Schonvermögen" von 600 Prozent des Ausgleichszulagenrichtsatzes (rund 5.300 Euro) definiert, auf das kein Zugriff möglich ist. Zugleich wird die "Schonfrist" für den Zugriff auf das Eigenheim bzw. die pfandrechtliche Eintragung im Grundbuch von sechs Monaten auf drei Jahre erhöht.

Nach dem öffentlichen Hearing im Sozialausschuss am Montag und dem geplanten Beschluss am 25. April im Nationalrat soll das Gesetz laut Regierungsvorlage mit 1. Juni in Kraft treten. Die Länder haben dann bis Ende des Jahres Zeit für ihre Ausführungsgesetze. Die genauen Ausführungsbestimmungen sowie konkrete Sanktionen bei Missbrauch oder Arbeitsunwilligkeit müssen die Länder selbst festlegen.

Nach der im Gesetzesentwurf enthaltenen "Folgekostenabschätzung" sollen den Ländern Mehrkosten von 6,7 Millionen Euro im Jahr 2020, 11,8 Mio. im Jahr 2021 und 14,6 Mio. Euro im Jahr 2022 entstehen.