"Zentral sind Unterricht und Lehrer"

Von Jasmin Bürger   27.Dezember 2014

Die Schulform ist für erfolgreiches Lernen nicht wichtig, sagt Bildungspyschologin Christiane Spiel im OÖNachrichten-Interview. Sie erklärt auch, warum sie trotzdem eine gemeinsame Schule bis 14 befürwortet.

 

OÖNachrichten: Sie untersuchen aus wissenschaftlicher Perspektive, wie Schüler am besten lernen. Was sind die Voraussetzungen für erfolgreiches Lernen?

Christiane Spiel: Für erfolgreiches Lernen braucht es Lernmotivation und die Kompetenzen, diese Motivation auch umsetzen zu können. Lernen ist ein Prozess, bei dem Lehrer ihre Schüler in allen Phasen unterstützen und begleiten sollten.

Wie gut gelingt das im derzeitigen Schulsystem?

Lange war das Bild vom Lehrer als wissender Person vorherrschend und damit einhergehend der Frontalunterricht. Dieser richtet sich an einen fiktiven Durchschnittsschüler. Schüler werden aber immer heterogener, manchen geht es zu langsam und sie langweilen sich, andere brauchen länger. Viele Lehrer haben den Unterricht schon umgestellt, aber nicht alle. Daher muss man in der Lehrerausbildung ansetzen und diese Art des Unterrichts, wo Lehrer selbstbestimmtes Lernen fördern, forcieren. Und es braucht auch einen anderen Zugang: Derzeit haben wir ja eine Schule, wo "Streber" ein Schimpfwort ist und Schüler alles tun, um eben kein Streber zu sein. Auch da müssen Lehrer viel stärker als Motivatoren arbeiten.

Das heißt, der Lehrer soll weniger Wissensvermittler und mehr eine Art Coach sein?

Ja, dieses Rollenverständnis trifft es sehr gut, ein guter Lehrer ist nicht nur Wissensvermittler, sondern auch Lerncoach. Oft fangen Schüler gar nicht mit dem Lernen an, weil sie sich nicht zutrauen, es zu schaffen. Guter Unterricht beginnt mit der diagnostischen Fähigkeit der Lehrer, die wissen, wo ihre Schüler stehen, ihnen vermitteln, wie man realistische Lernziele setzt, und ihnen zeigen, wie sie diese Ziele erreichen können.

Ist für diesen Unterricht und den Lernerfolg die Frage der Schulform, über die SPÖ und ÖVP seit Jahren diskutieren, überhaupt wesentlich?

Nein, denn zentral sind der Unterricht und die Lehrperson. Das wissen wir aus vielen Studien, das steht außer Frage. Die Lehrperson muss nicht einmal in der Schule stehen, sie könnte mit den Kindern im Sommer auch in den Park gehen. Die Schulform hat aber mit Durchlässigkeit, Ausgleich von Benachteiligungen und Bildungsgerechtigkeit zu tun.

Ist eine gemeinsame Schule bis zum Alter von 14 Jahren also aus Ihrer Sicht die bessere Schulform?

Nicht für das Lernen direkt, aber ich bin trotzdem für eine gemeinsame Schule. Allerdings nur, wenn sie gut gemacht ist, nämlich mit einer viel größeren Differenzierung, als wir sie jetzt haben. Wenn die Lehrer nicht gut vorbereitet sind, wenn nicht Mindeststandards festgelegt sind, wenn man eine gemeinsame Schule "ho ruck" mit einem Schildtausch einführt, dann ist die Gefahr groß, dass es zum Nachteil der Schwächsten geht, nämlich der Schüler. Wenn, dann muss die gemeinsame Schule von allen getragen und akzeptiert sein.

Ob die Regierung sich einigt, ist fraglich. In einer Bildungsreformkommission wollen SPÖ und ÖVP aber das Schulsystem weiterentwickeln. Welche Reformen sind die drängendsten?

Ein ganz wichtiger Punkt, den auch die Regierung erkannt hat, ist, dass man bei Kindern möglichst früh ansetzen muss, um Benachteiligungen auszugleichen. Das Zweite ist die Lehrerausbildung, diese Reform muss gut umgesetzt und auch evaluiert werden. Wichtig ist auch eine Stärkung der Schulen und eine Verpflichtung zur Schulentwicklung nach Zielen, die sich die Schule selbst setzt. Wir brauchen auch mehr Transparenz im Schulsystem durch empirische Bildungsforschung, die in Österreich leider unterentwickelt ist, weil die Förderung fehlt.

Zur Person

Christiane Spiel steht dem Institut für Angewandte Psychologie – Arbeit, Bildung, Wirtschaft – an der Universität Wien vor. Die Bildungsforscherin und studierte Mathematikerin, Historikerin und Psychologin ist Mitglied in vielen internationalen wissenschaftlichen Vereinigungen und hat zahlreiche Studien zum Thema Bildung publiziert. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählt der Bereich Gewaltprävention.