ÖVP und FPÖ wollen in der Bildung umräumen

Von nachrichten.at/luc/apa   28.November 2017

Hervorgehoben wird dabei der Leistungsgedanke, so sind etwa wieder Ziffernnoten und eigene Vorbereitungsklassen für Kinder mit nicht ausreichenden Deutschkenntnissen vorgesehen. ÖVP-Obmann Sebastian Kurz hält an dem Ziel fest, die Regierung vor Weihnachten zu fixieren.

Die Chefverhandler sind Dienstagnachmittag wieder rund vier Stunden zusammengesessen - diesmal im Parlamentspavillon im Bibliothekshof, wo sich auch Räumlichkeiten des FPÖ-Klubs befinden. Im Anschluss präsentierten sie ihre Vorhaben in der Bildung und da wollen die beiden Parteien umräumen. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache versicherte gleichzeitig, dass entgegen mancher Befürchtung keine Kürzungen in dem Bereich, sondern Investitionen anstünden. Konkrete Summen wurden auf Nachfrage allerdings noch nicht genannt.

Hervor sticht unter anderem der Plan, die "Notenwahrheit wieder herzustellen". Ab der ersten Klasse Volksschule hat demnach künftig wieder die klassische Skala von 1 (sehr gut) bis 5 (nicht genügend) zu gelten. Verbale Benotungen sind nur noch zusätzlich möglich. Dies sieht Kurz auch "positiv", gebe es Kindern doch die Möglichkeit "etwas mehr Feedback" zu bekommen. Die Noten seien aber für die Vergleichbarkeit "sehr sinnvoll", meint der ÖVP-Chef.

Eine weitere Maßnahme sind die zwei verpflichtenden Kindergartenjahre vor dem Schuleintritt, wenn sich bei einer Testung herausstellt, dass dies für das Kind nötig ist. Schüler, die Deutsch nicht ausreichend beherrschen, sollen in eigenen Deutschklassen untergebracht werden. Auch im Sommer sowie an Nachmittagen soll es für diese Gruppe verpflichtenden Unterricht geben.

Schulen soll es außerdem ermöglicht werden, sich ihre Schüler verstärkt aussuchen zu können. Vorgesehen ist eine "temporäre Möglichkeit von Eingangsverfahren (im Zuge der Anmeldungen für die jeweiligen ersten Klassen) für höhere Schulen". An Aufnahmeprüfungen ist dabei aber nicht gedacht. Kritik an dem "inhaltsleeren" Bildungspaket übte Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ). Insgesamt bewertet sie die vorgestellten Maßnahmen als "undurchdacht".

Einige Rot-schwarze Reformen bleiben

Wiewohl Schwarz-Blau frischen Wind in der Bildungspolitik für nötig halten, werden nicht alle Reformen von Rot-Schwarz zurückgedreht. So bekannte sich Strache zur Schulautonomie und zu den Bildungsdirektionen. Auch die Modellregionen für die gemeinsame Schule können fortgeführt werden, versicherte Kurz, wenngleich er grundsätzlich auf ein differenziertes Schulsystem setzt - allerdings auch auf die Ganztagesschule, die weiter forciert werden soll.

Weiterhin ist das Ziel, die Koalitionsgespräche vor Weihnachten abzuschließen. Die Qualität stehe dabei aber im Vordergrund, so Kurz. Dementiert wurden am Dienstag Berichte, wonach die Zahl der Sozialversicherungsträger auf zehn reduziert werden soll. Man habe über unterschiedliche Modelle gesprochen, es sei aber keines mit der Zahl zehn dabei gewesen. Auf welches man sich einigen wird, steht noch nicht fest.

Offen sind laut Strache auch noch die - wie er einräumte - "Knackpunkte" Pflichtmitgliedschaft bei Kammern und die Direkte Demokratie. Der FPÖ-Chef lobte aber generell den ehrlichen Umgang miteinander und zeigte sich zuversichtlich, Lösungen zu finden. Bis Freitag trifft sich die Steuerungsgruppe jeden Tag, ein medienöffentliches Statement ist allerdings nur am Donnerstag geplant, hieß es.

ORF-Bericht: 

Einigung bei den Kassenfusionen?

Die Koalitionsverhandler von ÖVP und FPÖ sollen einen Konsens über eine drastische Reduktion der Sozialversicherungsanstalten erzielt haben, berichtete der "Standard" am Dienstag. Statt der neun Gebietskrankenkassen soll es nur noch eine für Unselbstständige geben. Eine Bestätigung dafür gab es bisher noch nicht.

Die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) und jene Bauern würden in einer Selbstständigenkasse aufgehen. Die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) würde es nicht mehr geben, die beiden zusammengelegten Kassen sollen ihre Aufgaben übernehmen. Die derzeit 21 Sozialversicherungsträger würden damit annähernd halbiert.

Für die Beamten soll die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter (BVA) bestehen bleiben, es sollen aber die 16 Krankenfürsorgeanstalten der Länder und Gemeinden hinzukommen. Mehr Einfluss will sich die Regierung bei der Beschickung der Sozialversicherungsgremien sichern. Vorgeschlagen wird ein Verwaltungsratsmodell nach dem Vorbild des Arbeitsmarktservice. Das würde die Selbstverwaltung der Kassen deutlich schwächen. Bis jetzt sollen diese Überlegungen nur in der betreffenden Untergruppe akkordiert sein, noch nicht auf Ebene der Chefverhandler. Dies soll am Donnerstag geschehen. 

Worauf sich die Koalitionsverhandler bisher einigten

Seit rund einem Monat verhandeln ÖVP und FPÖ über eine mögliche Regierungszusammenarbeit. Bei Themen wie der Verschärfung im Asyl- und Migrationsbereich konnte man sich rasch einigen, heute dürfte zudem, wie berichtet, die Übereinkunft im Bildungsbereich präsentiert werden (wir berichten live ab 16 Uhr). In anderen Bereichen noch Gesprächsbedarf geben, etwa der Direkten Demokratie, der Kammern-Pflichtmitgliedschaft oder dem Rauchverbot. Ein erneutes Treffen der Parteispitzen ist für heute, Dienstag, geplant.

Federführend verhandelt wird in der sogenannten "Steuerungsgruppe" mit den Parteichefs Sebastian Kurz (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ). Bis Freitag vergangener Woche haben die Chef-Verhandler alle Zwischenergebnisse der 25 "Fachgruppen", in denen die Details verhandelt werden, gesichtet. Einige Gruppen sind so gut wie fertig, in manchen wurden nach wie vor eine Reihe von Dissenspunkten festgestellt. Personelles wurde offiziell bisher gänzlich ausgespart, es gibt aber viele Namen, die kursieren.

Mehr Polizisten, weniger Mindestsicherung

In einer der zwischen den Verhandlern vereinbarten fünf "Cluster"-Gruppen - nämlich jener mit dem Titel "Sicherheit, Ordnung und Heimatschutz" - haben ÖVP und FPÖ einen Teil der Punkte bereits abgehakt: Das Berufsbild des Polizisten soll attraktiver werden, ein Lehrberuf "Verwaltungs- und Exekutivlehrling" und ein neues Besoldungsrecht für Polizisten geschaffen werden. Angedacht ist auch ein personelle Aufstockung der Exekutive. Weitgehend Einigkeit herrscht beim Sicherheitspaket zur Bekämpfung von Terrorismus, das mehr Überwachung bringen soll. Als generelles Ziel genannt wurde auch die Grenzraumsicherung, solange die Schengen-Außengrenze nicht gesichert ist.

In einem weiteren Cluster ("Soziales, Fairness & neue Gerechtigkeit") fallen die bereits vor gut einer Woche kommunizierten Einigungen im Bereich des Fremden- und Asylwesen, wo Verschärfungen geplant sind. Bei Asylwerbern will man künftig statt auf Geldleistungen verstärkt auf Sachleistungen setzen. Etwas unklar ist noch das Wie: Während Strache davon gesprochen hatte, ausschließlich auf Sachleistungen setzen zu wollen, hieß es seitens der ÖVP, man werde auf Geldleistungen nicht komplett verzichten können, weil ein Taschengeld EU-rechtlich vorgegeben sei.

Verständigt haben sich die Verhandler darauf, dass anerkannte Flüchtlinge die Staatsbürgerschaft künftig nicht mehr nach sechs, sondern (wie andere Zuwanderer) erst nach zehn Jahren beantragen dürfen. Abschiebungen sollen forciert, Beschwerdefristen bei Asylverfahren verkürzt werden. Verschärfungen soll es auch bei der Arbeitsmigration geben, hier soll etwa die Mangelberufsliste überarbeitet werden.

Restriktionen soll es auch bei der Mindestsicherung geben, die zwar alle Bevölkerungsgruppen betreffen, aber in erster Linie auf Asylberechtigte abzielen. So soll etwa die Sozialleistung für Familien in ganz Österreich einheitlich gedeckelt werden. Eine bestimmte Höchstgrenze nannten die Verhandler noch nicht, kolportiert wurde hier ein Maximal-Betrag von 1.500 Euro pro Familie. Für Asylberechtigte ist eine "Mindestsicherung light" mit weniger Geld-und mehr Sachleistungen wie in Ober- und Niederösterreich geplant. In den unter der Überschrift "Metaziele" festgehaltenen Absichten der Verhandler wurde auch eine Wartefrist (fünfjähriger Aufenthalt in Österreich) bei Transferleistungen wie Mindestsicherung und Kinderbetreuungsgeld genannt.

Video: In täglichen Verhandlungen wollen die Chefverhandler offene Punkte klären. Auf ein zweites, verpflichtendes Kindergartenjahr haben sich ÖVP und FPÖ bereits geeinigt. Wann die Regierung festgezurrt wird, ist weiter offen.

Das zweite verpflichtende Kindergartenjahr kommt

In den Cluster "Zukunft" fällt die bereits verkündete Einigung auf ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr, das mittels neuer Bund-Länder-Vereinbarung (15a-Vereinbarung) umgesetzt werden soll. Die Verpflichtung ist nur für jene vorgesehen, die es brauchen, die Entscheidung soll u.a. auf Grundlage einer Sprachstandfeststellung erfolgen. Für Kinder, die schlecht Deutsch sprechen, ist eine verpflichtende Sprachförderung vorgesehen. Ebenfalls im Elementarpädagogik-Bereich angesiedelt sind die Ziele von höheren Standards bei Bildung und Betreuung, die Sicherstellung des flächendeckenden Ausbaus der Kinderbetreuungseinrichtungen, die Erhöhung der Qualität der Kinderbetreuung (Sprache, Bildung, Werte) sowie verstärkte Kontrollen.

Präsentiert wurden auch schon die Ziele im Bereich der Digitalisierung, die wie die Bildung in einer der Fachgruppen im "Zukunfts"-Cluster verhandelt wurde: Diese enthalten einen flächendeckenden Breitbandausbau sowie das Ziel, eine "Digitale Betriebsstätte" einzurichten: Mit deren Hilfe sollen Online-Unternehmen dazu verpflichten werden, Steuern in jenem Staat zu zahlen, wo die Gewinne erwirtschaftet wurden.

Neben diesen bereits verkündeten Einigungen haben die Verhandler bisher auch schon die groben Leitlinien ("Metaziele & Zukunftsprojekte") verkündet. Neben den genannten drei Clustern sollen unter dem Generalthema "Schlanker Staat, starke Gesellschaft" der EU-Vorsitz, die Verwaltungsreform und eine "Modernisierung der Sozialpartnerschaft" thematisiert werden. Ein weiterer Cluster beschäftigt sich mit dem Thema "Starke Wirtschaft, erfolgreiches Land".

Bei letzterem gibt es das Bekenntnis, die Steuer- und Abgabenquote Richtung 40 Prozent zu senken (derzeit 43,2). Im Fokus dieser Steuerreform sollen Entlastungen für Kinder, Familien und Erwerbstätige (sowohl Arbeitnehmer als auch Unternehmer) stehen. VP-Chef Sebastian Kurz hatte während des Wahlkampfes ein Volumen von zwölf bis 14 Milliarden Euro genannt. Konkretes gab es dazu bisher nicht, ein am Wochenende kolportiertes Entlastungsvolumen von 5,2 Milliarden Euro bei Lohn-und Einkommenssteuern wurde von den Verhandlern umgehend dementiert. Über eine Steuerreform sei in den Koalitionsverhandlungen sei noch überhaupt nicht gesprochen worden, hieß es.

Zankapfel Kammermitgliedschaft und Rauchverbot

Bei den Sozialversicherungen haben sich ÖVP und FPÖ auf das generelle Ziel einer Reduzierung der derzeit 21 Träger festgelegt. Konkreteres gab es auch dazu noch nicht, in den Ländern regt sich aber bereits Widerstand.

Ein Verhandlungs-Knackpunkt könnte auch das von der FPÖ gewünschte Aus für die Pflichtmitgliedschaft in den Kammern werden. Seitens der (teils von der ÖVP dominierten) Kammern wurde Widerstand angekündigt. Als mögliche Alternative sieht die FPÖ eine Reduzierung der Kammerumlage.

Ein weiteres Thema, bei dem man unterschiedlicher Ansicht ist, ist das ab Mai 2018 geltende Rauchverbot in der Gastronomie, das die FPÖ kippen will. Und auch bei dem - grundsätzlich von beiden Seiten angestrebtem - Ausbau der Direkten Demokratie gibt es noch Gesprächsbedarf: Während die FPÖ dafür eintritt, eine verpflichtende Volksabstimmung abzuhalten, wenn Volksbegehren von mehr als vier Prozent der Zeichnungsberechtigten (rund 250.000 Personen) unterstützt werden, plädiert die ÖVP für ein zurückhaltenderes Modell und will eine verpflichtende Volksabstimmung erst ab zehn Prozent Unterstützung (rund 640.000).

Möglich scheint auch eine Rücknahme einzelner unter Rot-Schwarz getroffener Maßnahmen, etwa der "Aktion 20.000" für die Beschäftigung älterer Langzeitarbeitsloser.