Noch-Kanzler Kern: "Diese Regierung wird sich in ein gemachtes Bett legen"

Von Christoph Kotanko   07.Dezember 2017

In wenigen Tagen räumt Christian Kern (51) sein Büro am Ballhausplatz. Er ist der kürzestdienende Bundeskanzler seit 1945. Mit den OÖNachrichten sprach der SPÖ-Chef über Oberösterreich als schwarz-blaue Versuchsstation, die Aussicht auf die Koalition Kurz/Strache und seine Pläne im Parlament.

 

OÖNachrichten: Herr Bundeskanzler, die SPÖ kritisiert Oberösterreich als "Versuchslabor" von Schwarz-Blau. Was stört Sie am Kurs von Thomas Stelzer und Manfred Haimbuchner?

Christian Kern: Deren Konzept sieht Kürzungen bei den Schwächsten vor, bei Kindern, Familien und Behinderten, ebenso in der Kunst- und Kulturszene. Das wollen wir nicht mittragen. Man hätte ja mit der SPÖ in der Landesregierung diskutieren können, welche Maßnahmen man braucht, um Sparziele zu erreichen.

Was wäre Ihr Vorschlag?

Es gibt zum Beispiel die Wirtschaftsförderung. Die ÖVP im Bund sagt, man muss den Job-Bonus zurückfahren, weil die Konjunktur ohnehin so gut ist. Mit Verlaub – wenn man das glaubt, dann kann man doch andere Wirtschaftsförderungen auch reduzieren. Mit diesem Geld könnte man die Nachmittagsbetreuung und die Unterstützung der Behinderten organisieren.

Befürchten Sie weitere Einschnitte?

Mich stört massiv die Ideologie, die dahintersteckt. Was heißt es denn, wenn der Landeshauptmann gegen die "Gratismentalität" auftritt? Mobilisiert er als Nächstes gegen das Gratis-Schulbuch und den offenen Zugang zum Gesundheitssystem? Da geht es um den sozialen Ausgleich, der in Frage gestellt wird. Außerdem irritiert mich, dass die SPÖ-Landesrätin Birgit Gerstorfer, die das kritisiert, jetzt deswegen angegriffen wird. Das ist eine Umkehrung der Verantwortung.

In Oberösterreich gibt es – wie sonst nur mehr in Niederösterreich und Wien – den Proporz in der Regierung. Soll dieser weg?

Ich kann mir das gut vorstellen, wenn es im Gegenzug ausgebaute Kontrollrechte für die Opposition gibt. Wie man in Oberösterreich sieht, besteht die Proporzregierung ohnehin nur auf dem Papier, sie ist keine gelebte Praxis.

Was schließen Sie aus der Landes- für die Bundespolitik?

Auch dort hat man im Wahlkampf Milch und Honig versprochen. Zwei Wochen nach der Nationalratswahl hat man dann Sparpläne auf den Tisch gelegt. Damit rechne ich auch im Bund. Sobald die Landtagswahlen im Frühjahr vorbei sind, wird man sehen, was kommt. Es ist nicht fair, wenn der neue Stil darin besteht, die Menschen hinters Licht zu führen.

Wie sehr trifft es Sie, dass Kurz und Strache die Früchte des Wirtschaftsaufschwungs ernten?

Diese Regierung wird sich in ein gemachtes Bett legen. Die OECD prognostiziert für 2019 einen Budget-Überschuss, und es wird zum ersten Mal seit Jahrzehnten in mehreren Jahren hintereinander Überschüsse geben. Das ist das Verdienst florierender Exportmärkte, der Leistungen der Unternehmer und Beschäftigten und unserer aktiven Wirtschaftspolitik. Mich freut das für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, weil diese Erfolge in höhere Einkommen münden werden.

Was ist Ihre größte Sorge bei Schwarz-Blau auf Bundesebene?

Ich will es noch nicht abschließend bewerten. Im Moment haben wir eine Mischung aus Substanzlosigkeit und ideologischen Retro-Vorstellungen, eine "konservative Konterrevolution" laut einem FPÖ-Verhandler. Veränderungsprojekte, die in die Zukunft führen, habe ich noch keine entdeckt.

Auf Ihrem Sessel hier im Bundeskanzleramt sitzt demnächst Sebastian Kurz. Was erwarten Sie von ihm?

Er hat eine große Verantwortung. Ich hoffe, das ist ihm bewusst. Wünschen würde ich mir, dass man respektvoll miteinander umgeht und mit der Zuspitzung aufhört. Derzeit verändert sich das Klima im Land. Der Tonfall in den Sozialen Medien wird rauer. Wenn in FPÖ-Kanälen behauptet wird, dass der Nikolo abgeschafft wird oder alle Volksschüler Türkisch lernen müssen, geschieht das in der Absicht, gegen Einwanderer zu hetzen. Diese Respektlosigkeit und Spaltung unserer Gesellschaft dürfen wir nicht zulassen. Strache und Kurz haben dafür die Verantwortung. Dass sie die Geister, die gerufen werden, unter Kontrolle haben, bezweifle ich.

Kann die SPÖ die Opposition?

Ich mache mir da keine Sorgen. Wir sind stark genug, um eine gute Rolle zu spielen. Unsere Verbündeten sehe ich auch außerhalb des Parlaments, in der Zivilgesellschaft und bei den NGOs. Die müssen auch durch uns eine Stimme bekommen.