Karmasin: "Wir sind bei der Kinderbetreuung Schlusslicht"

Von Annette Gantner   13.August 2014

Das Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) hat im Auftrag von Sophie Karmasin (VP) die österreichische Familienpolitik einem internationalen Vergleich unterzogen. Das Ergebnis der Studie hat die Familienministerin überrascht. "Ich war ernüchtert, wie traditionell Österreich aussieht", sagte sie im Gespräch mit den OÖNachrichten. "Es sticht heraus, dass wir sehr viel Geld für Familien zur Verfügung stellen. Auf der anderen Seite sind wir bei der Kinderbetreuung Schlusslicht und in der Geschlechterrolle sehr traditionell."

Österreich gibt neun Milliarden Euro für Familienleistungen aus, das entspricht drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Mit den Ausgaben für Familien liegt Österreich im oberen Mittelfeld, die Geburtenrate von 1,44 Kindern pro Frau ist eine der niedrigsten in Europa. "Länder, die mehr in Betreuung investieren, haben eine höhere Geburtenrate", sagt Karmasin. "Wenn ich weiß, dass ich mein Kind in Betreuung geben kann, tue ich mir leichter. Mein Leben ändert sich dann durch ein Baby nicht so radikal."

In Österreich habe man noch stark mit traditionellen Bildern wie "Rabenmutter" oder "Karrierefrau" zu kämpfen. Die Familienministerin spricht sich deshalb für einen Paradigmenwechsel aus: Sie will künftig stärker in Sachleistungen für Familien investieren und den Ausbau der Kinderbetreuung forcieren. Österreich gibt fast 80 Prozent für Geldleistungen wie die Familienbeihilfe und den Kinderabsetzbetrag aus. In Sachleistungen wie Betreuungsplätze fließt nur knapp ein Fünftel des Geldes.

Sach- und Geldleistungen

Schon in dieser Legislaturperiode hat die Regierung einen Richtungswechsel durchgeführt. Rund 50 Prozent der zusätzlichen Mittel für Familien wurden in den Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen und Ganztagsschulen investiert, die andere Hälfte wurde für die Erhöhung der Familienbeihilfe aufgewendet.

WIFO-Studienautorin Margit Schratzenstaller sieht die Fortschritte durchaus positiv: "Es ist wichtig, dass die Weichen gestellt wurden. Es ist einiges passiert, das zum Teil noch greifen muss."

Auch Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SP) begrüßte, dass Karmasin Geld- und Sachleistungen gleichermaßen verteilen will. In einem anderen Punkt sind sich die zwei Ministerinnen aber nicht einig. Karmasin will Familien künftig steuerlich stärker entlasten und verwiest dabei auf das Vorzeigeland Frankreich. Heinisch-Hosek hält dagegen, dass steuerliche Entlastungen nichts brächten, wenn die Krippen- und Kindergartenplätze fehlen.

Unbezahlte Familienarbeit

In der WIFO-Studie wird auch darauf verwiesen, dass es in Österreich zu wenige Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren gibt. Zudem werden die relativ hohe Teilzeitquote von Frauen und die ungleiche Verteilung der Familienarbeit zwischen Frauen und Männern in Österreich als Schwachpunkte angeführt.

Auch hier will Karmasin, die selbst Mutter zweier Kinder ist, ein Umdenken erwirken. "Teilzeit und unentgeltliche Arbeit sind in Österreich Frauenthemen. Warum gehen nicht etwa beide Eltern in Teilzeit, wenn sie kleine Kinder haben?", stellt Karmasin die gesellschaftlichen Modelle in Frage.

 

Österreich im internationalen Vergleich

Das WIFO hat die Familienpolitik international verglichen.

Geburtenrate: Eine Österreicherin bekommt im Schnitt 1,44 Kinder, die Ausgaben für Familien betragen drei Prozent des BIP. Frankreich gibt vier Prozent seines BIP für Familien aus, die Geburtenrate liegt bei 2,01 Kindern, in Großbritannien sind es 4,22 Prozent und 1,92 Kinder.

Leistungen: Österreich gibt 2,34 Prozent des BIP für Geldleistungen an Familien aus und 0,57 Prozent für Sachleistungen. In Frankreich werden 1,44 Prozent des BIP für monetäre Transfers aufgewendet und 1,76 Prozent für Direktleistungen.

Teilzeit: Die Teilzeitquote von Frauen ist in Österreich 44,4 Prozent, in Frankreich 30 Prozent.