Häupls Kampf um die rote Bastion

Von Lucian Mayringer   07.August 2015

In Wien steht in 65 Tagen eine richtungsweisende Wahlentscheidung an. Geht es nach den Umfragen, muss sich Bürgermeister Michael Häupl in seiner roten Bastion, die jahrzehntelang als uneinnehmbar galt, ernsthaft seinem blauen Herausforderer Heinz-Christian Strache im Duell um Platz eins stellen. 2010 behauptete die SPÖ trotz Verlusten mit 335.000 Stimmen (44,34 Prozent) noch klar ihre Vormachtstellung.

Landet man bei den jüngst gemessenen 35 Prozent, blieben bei ähnlicher Wahlbeteiligung (2010: 67 Prozent) rund 250.000 SP-Stimmen bei 1,15 Millionen Wahlberechtigten. Die OÖNachrichten haben sich, unterstützt vom Meinungsforscher Peter Hajek und vom Politologen Peter Filzmaier, auf die Suche nach den Ursachen begeben.

 

Die Megatrends: In ganz Europa verlieren die großen Volksparteien im Zuge der Individualisierung der Menschen an Bedeutung . "Dieser Trend ist besonders in den Städten feststellbar", sagt Hajek. Im Fall der Wiener SPÖ kommt hinzu, dass sie bei den Jungen schwächelt. Mit der Überalterung der Wählerschaft wirkt sich damit auch die "biologische Komponente" negativ aus.

 

Der Bürgermeister: Im 21. Dienstjahr sind zwar Michael Häupls Popularitätswerte immer noch klar über jenen seiner Partei. "Dennoch waren sie schon besser" (Filzmaier). Hinzu kommt ein Phänomen, das eben bei Franz Voves in der Steiermark sichtbar war und das auch Josef Pühringers VP in Oberösterreich kennt: Immer mehr Leute sind zwar mit dem Landeschef einverstanden, wählen aber nicht seine Partei. Eben eine Folge der Individualisierung.

In Wien wie in Oberösterreich kommt ein für dominante Langzeitregierende typisches Symptom hinzu: Häupls Team wirkt, von Mitbewerbern weitgehend befreit, loyal, aber blutleer. Alles steht und fällt also mit der Form des "Alten".

Rot-Grün – eine Entfremdung: Die 2010 von Michael Häupl und Maria Vassilakou zum neuen Modell für ganz Österreich ausgerufene rot-grüne Koalition landete allzu schnell in den Mühen der Ebene. "Wohl aus strategischen Überlegungen" habe die Bürgermeisterpartei anfangs dem kleinen Partner die Darstellung überlassen. Danach habe es die SPÖ aber verabsäumt, selbst Leuchtturmprojekte zu initiieren.

Die drastisch verbilligte Jahreskarte für die Wiener Linien, die Ausdehnung der Parkpickerl-Zonen und die wild umfochtene autofreie Mariahilfer Straße wurden in der SPÖ schon teils mit Groll aufgenommen. Sie geben dieser Koalition eine grüne Handschrift. In Oberösterreich herrscht dagegen weitgehend schwarz-grüne Harmonie - mit weniger Profilierungsmöglichkeit für die Ökopartei.

Blaues Wunschszenario: Wie davor Hans Niessl (Burgenland) und Voves sehen sich im Herbst auch Pühringer und Häupl mit einer für die FPÖ geradezu idealen Stimmungslage konfrontiert. In den Ausläufern der Krise bleibt die Arbeitslosigkeit (besonders in Wien) hoch und das Wachstum niedrig. "Eine Mehrheit der Wähler blickt deshalb sorgenvoll in die Zukunft. Das ist generell ein Problem für Regierungen" (Filzmaier).

Hinzu kommt das Asyldilemma, das Strache geschickt mit diesen Existenzängsten verknüpft. Für den klimatischen Überbau ist die Bundesregierung verantwortlich, die kaum ein Thema, siehe Asyl, mit konsensualer Professionalität lösen kann oder will.

Eine Gemengelage, so Hajek, die in den aktuellsten Juni-Daten für Wien zu einem Verhältnis von 35 Prozent (SPÖ) zu 32 Prozent (FPÖ) wesentlich beigetragen habe. Sein Fazit: "Statistisch ist Platz eins für Strache derzeit nicht mehr auszuschließen."

Die Machtperspektive: Dass damit nach dem 11. Oktober mit Strache der erste blaue Bürgermeister im Wiener Rathaus residieren wird, gilt dennoch als fast ausgeschlossen. Auch wenn es in der Stadt-SP Kräfte gibt, die im Gegensatz zum Häupl-Kreis weniger Berührungsängste gegenüber der FPÖ haben, ginge die Unterstützung eines blauen Bürgermeisters allen zu weit. Gleiches gilt für die Grünen. Bliebe die ÖVP, die in Umfragen um Zweistelligkeit ringt, und die Neos, die erst den Sprung ins Rathaus schaffen müssten.

Trotz der Misstöne und Häupls Präferenz für die ÖVP spricht die Arithmetik für ein rot-grünes Dacapo. Auch dafür muss Häupl den Abwärtstrend seiner Partei stoppen. Und so paradox es klingt: Seine Chance liegt in Straches Aufholjagd. Die stärksten Momente hatte Häupl in Wahlkämpfen als ideologischer Kreuzritter gegen die schwarz-blaue Bundesregierung. Jetzt heißt die Parole eben: "Wollt ihr mich oder Strache?"