Eichmann wollte alle Juden vernichten

Von Manfred Wolf   07.Mai 2011

In den 1950er-Jahren saß Otto Adolf Eichmann regelmäßig mit Gesinnungskollegen wie Willem Sassen in Buenos Aires beisammen. Sie hielten Vorträge, führten Diskussionen und schmiedeten Pläne. Der Inhalt war stets nationalsozialistisch gefärbt. Von all diesen Treffen gibt es kilometerweise Tonbandaufzeichnungen.

Allen voran aber wollten sie zurück in die Heimat. Nach Deutschland. Und zwar in ein nationalsozialistisches Deutschland. Doch musste die Idee des Nationalsozialismus, bevor sie erneut nach Deutschland gebracht werden sollte, vom Makel der Menschenvernichtung befreit werden. „Sie alle waren davon überzeugt, dass der Nationalsozialismus die einzige Regierungsform sei“, sagt die deutsche Historikerin Bettina Stangneth. Doch Eichmann zog ihnen einen Strich durch die Rechnung. „Für ihn waren die Morde an den Juden, die er zu verantworten hatte, eine Heldentat, seine Lebensleistung.“

Natürlich wussten auch all die anderen, die mit ihm in Argentinien saßen, Bescheid über die grausigen Morde in den Konzentrationslagern. Doch niemand war so nah dabei wie Eichmann. „Darum fiel es ihnen leicht, diese Taten zu leugnen. Und darum wollten sie Eichmann nicht dabei haben, wenn sie nach Deutschland zurückgingen, denn er berichtete gern und mit Stolz von seinen Taten, in allen grausamen Details.“ Das Einzige, was Eichmann bereute, war, dass es ihm nicht gelungen ist, alle Juden zu vernichten. Von Eichmann stammt folgendes Zitat, das seinen Wahn untermauert: „Hätten wir von den 10,3 Millionen Juden 10,3 Millionen Juden getötet, dann wäre ich befriedigt und würde sagen: Gut! Wir haben einen Feind vernichtet!“

Ja, es gab Gaskammern

Im Prozess in Jerusalem leugnete Eichmann weder, die Vernichtung der Juden in Mauthausen, Auschwitz … noch versuchte er diese zu vertuschen. Ganz im Gegenteil, er bestätigte die Massenvernichtung, die Gaskammern, die Gaswagen, alles. Einzig die Rolle, die er selbst in dieser Vernichtungsmaschinerie spielte, wollte er jetzt plötzlich kleinreden. Er sei nur ausführendes Organ gewesen und habe unter Befehlsnotstand gestanden. „Er hat alles erzählt, aber wenn es um seine Rolle ging, dann log er. Seine Redseligkeit ist auch der Grund, warum man in neonationalsozialistischen Kreisen heute nicht gut auf ihn zu sprechen ist“, sagt Bettina Stangneth. Denn Eichmann schob mit seinen Aussagen allen jenen, die heute die Existenz der Gaskammern leugnen, einen prophylaktischen Riegel vor. „Unbewusst, denn Eichmann hätte nie mit Juden kooperiert.“

Die Verteidigung Eichmanns wurde von der „Interessengemeinschaft Linz“ finanziert. Eichmann lebte während seiner Jugendjahre in Linz, sein Vater führte ein Geschäft in der Bischofstraße bis zu dessen Tod 1960. Aus Linz wurde er auch im Exil regelmäßig mit Informationen versorgt. Dazu bedurfte es eines komplizierten Postumleitverfahrens, um die Israelis nicht auf seine Spur zu lenken.

Was jedoch nur bedingt gelang. Als er 1952 seine in der Steiermark lebende Frau und seine Kinder nach Argentinien holte, kam ihm der bundesdeutsche Nachrichtendienst auf die Spur. Was für Eichmann jedoch keine Folgen hatte. „Niemand in Deutschland und auch nicht in Österreich, hatte ein gesteigertes Interesse daran, ihn zurückzuholen. Zu groß war die Angst, er könne jemanden, der mittlerweile – oder noch immer – in einer wichtigen Funktion war, denunzieren“, sagt Bettina Stangneth. Denn das Problem bei der Neugründung Deutschlands und Österreichs lag auf der Hand: Es gab keine neuen Menschen. Folglich wurden viele, die mehr oder weniger bedeutende Rollen im Dritten Reich inne hatten, auch danach mit mehr oder weniger wichtigen Rollen besetzt.

Dennoch wurde Eichmann am 11. Mai 1960, dank der Hilfe eines Generalstaatsanwalts aus Deutschland, vom israelischen Geheimdienst Mossad entführt und nach Israel gebracht, wo ein Jahr später, am 11. April, der Prozess gegen ihn begann. Rückwirkend hatte eben dieser Prozess für Deutschland und Israel eine große Bedeutung, weiß Bettina Stangneth: „Die Menschen begannen, über das Erlebte zu reden. Sie mussten, denn in Deutschland wurde der Prozess medial aufwändig begleitet. Die Kinder bekamen das mit und begannen, Fragen zu stellen. Antworten, die sie von ihren Eltern nicht bekamen, holten sie sich 1968.“

Viele Fragen konnten beantwortet, viele noch nicht gestellt werden. Denn nach wie vor werden Dokumente – vor allem von der Bundesrepublik – nicht herausgegeben. Ganz offiziell, weil man – noch heute – Angst davor hat, dass diese dem Ansehen schaden könnten.