Beziehungsstatus "Es ist kompliziert": Das delikate Innenleben der Koalition

Von Christoph Kotanko   05.Dezember 2014

Facebook hat mehrere Möglichkeiten, den Beziehungsstatus zu definieren: "Single/offene Beziehung/verheiratet/getrennt/geschieden/es ist kompliziert".

Letzteres trifft auf die rot-schwarze Zweckgemeinschaft vermehrt zu. Die Abkühlung lässt sich an den Tagesthemen messen.

Seit Jahr und Tag sind SP und VP aneinandergekettet, Single-Perioden oder Seitensprünge sind seit 1945 Ausnahmen. Sechs Bundeskanzler stellte die SP, fünf kamen von den Christdemokraten.

Ein Schwarzer, der durch einen Wahlsieg den Ballhausplatz eroberte, war Josef Klaus, ab 1964 Chef einer VP-SP-Koalition, 1966 bis 1970 in einer Alleinregierung.

2002 wurde Wolfgang Schüssel nach einer Wahl Kanzler; zwei Jahre zuvor hatte er sich mit FP-Hilfe ins Kanzleramt getrickst.

Gäbe es bald Neuwahlen, hätte nach Jahren wieder ein VP-Mann Aussicht auf den 1. Platz. Reinhold Mitterlehner liegt in vielen Umfragen vor Werner Faymann.

Vor drei Wochen dachte Mitterlehner laut darüber nach, ob die Koalition noch etwas taugt, falls sie keine Steuerreform schafft.

Als Neuwahldrohung wollte er das nicht verstanden wissen.

Unerfüllte Hoffnungen

Deutlicher wurden rund um den SP-Parteitag rote Topleute wie Burgenlands Hans Niessl oder Wiens Bürgermeister Michael Häupl. Sie kündigten vorgezogene Neuwahlen an, sollte es kein "gutes Ergebnis" bei der Steuerreform geben.

Neuwahlen mit einem Spitzenkandidaten Faymann?

Am Rande des Parteitags dazu befragt, krümmten sich erfahrene Delegierte mit allen Anzeichen aufsteigenden Unwohlseins.

Offen stellte Juso-Chefin Julia Herr die Glaubwürdigkeit der Parteispitze in Frage – und sprach damit aus, was viele dachten.

Die Hamburger "Zeit" fasst in ihrer dieswöchigen Ausgabe Faymanns Dilemma knapp zusammen: "Als Parteivorsitzender weckt er Hoffnungen, die er als Kanzler nicht erfüllen kann."

Die Kanzlerdämmerung hat begonnen, eine personelle Alternative hat die SP aber noch nicht.

Ein solcher Schwebezustand war bisher allein das Merkmal wankender VP-Obleute.

"An uns liegt es nicht"

Der Gärungsprozess macht sich im Regierungsalltag bemerkbar. Entspannt war der Umgang auch vor dem SP-Parteitag nicht. Das zeigte sich bei den Verhandlungen über die Sparpläne für das Heer. SP-Verteidigungsminister Gerald Klug verhehlte schon vor Wochen nicht, dass es "in einigen Bereichen mühselig" sei, Nachsatz: "An uns liegt es nicht."

Stillstand herrscht bei den Reformanliegen, die an die Sozialpartner delegiert wurden (Bonus-Malus-System für Beschäftigung älterer Arbeitnehmer, sechste Urlaubswoche, flexible Arbeitszeit).

Ein schlüssiges Koalitionskonzept fehlt auch zur Bekämpfung der Rekordarbeitslosigkeit. Fachleute erwarten für den Jänner 480.000 gemeldete Arbeitslose. Das große gemeinsame Projekt wäre die Steuerreform. Dieses Vorhaben belegt, wie delikat die Beziehungen zwischen den Regierungsparteien derzeit sind.

Zur Steuerentlastung für kleine und mittlere Einkommen bekennen sich beide. Die Überzeugung klingt gut, kostet nichts.

Kompliziert ist die Umsetzung. Derzeit ist von neuen Belastungen die Rede, siehe Mehrwertsteuer.

Faymanns Überleben ist mit "Millionärssteuern" verbunden. Der Besteuerung von Vermögenssubstanz wird Mitterlehner jedoch nicht zustimmen. Wer sich diesbezüglich Hoffnungen macht, kennt ihn nicht: Der Mühlviertler wurde im Wirtschaftsbund groß und hat mit Hans Jörg Schelling einen Finanzminister, der ebenfalls aus der Wirtschaft kommt. Für sie sind Vermögens-, Erbschafts- und Schenkungssteuern tabu.

Wortakrobat Mitterlehner

Anders als sein Vorgänger Michael Spindelegger ist Mitterlehner wenigstens im Ton verbindlich. Um den Partner nicht zu grämen, macht er wortakrobatische Kunststücke: "Wir müssen das einigermaßen zufriedenstellend über die Bühne bringen", "wir wollen die einvernehmliche Gegenfinanzierung", "jeder wird über seinen Schatten springen müssen".

Die heiße Phase der Verhandlungen über die Steuerreform wird im März 2015 sein. Gleichzeitig startet der Hypo-Untersuchungsausschuss. Er kann wegen der unrühmlichen Rolle der Ex-Finanzminister Josef Pröll und Maria Fekter heikel für die VP werden.

Meinungsforscher Peter Hajek ("ATV-Österreichtrend") glaubt jedoch nicht an Auswirkungen der Hypo-Aufarbeitung auf die aktuelle Parteispitze: "Die ÖVP hat den Vorteil des Obmannwechsels."

Eher kann ein Flop bei der Steuerreform eine Regierungspartei zum Absprung im Frühjahr bewegen – sollten sich SP oder VP bis dahin stark genug fühlen.

Hajek: "Die Regierung steht und fällt mit der Steuerreform – und nicht mit der Hypo."