Das britische Unterhaus will Theresa May das Heft aus der Hand nehmen

21.Jänner 2019

Kommt es im schier endlosen Brexit-Streit in Großbritannien zu einer spektakulären Wendung? Abgeordnete im Unterhaus in London wollen Premierministerin Theresa May offenbar teilweise das Heft aus der Hand nehmen. Zwei Gruppen von Parlamentariern wollen bereits in den kommenden Tagen Änderungsanträge im Parlament einbringen, um die Brexit-Pläne der Regierungschefin zu stoppen, wie britische Medien gestern berichteten.

Die britische Presse sprach von "Verschwörungen" im Unterhaus gegen May. Laut "Sunday Times" will eine Gruppe von mehr als 20 Parlamentariern um den konservativen Abgeordneten Dominic Grieve erreichen, dass der Austrittsprozess nach Artikel 50 des EU-Vertrags vorübergehend gestoppt wird.

Eine andere parteiübergreifende Initiative will May dazu bringen, den auf Ende März festgelegten Brexit-Termin zu verschieben, falls bis Ende Februar keine Einigung im britischen Parlament erzielt wird. Dadurch solle Zeit für weitere Verhandlungen und die Vorbereitungen auf den EU-Austritt gewonnen werden, sagte die Tory-Abgeordnete Nicky Morgan dem Sender Sky News.

"Extrem beunruhigend"

Mays Büro reagierte besorgt auf die Berichte. "Jeder Versuch, der Regierung die Macht zu entziehen, die gesetzlichen Bedingungen für einen geordneten Austritt zu erfüllen", sei "extrem beunruhigend", sagte eine Regierungssprecherin in London. "Das britische Volk hat dafür gestimmt, die EU zu verlassen, und es ist äußerst wichtig, dass die gewählten Politiker dieses Verdikt respektieren", ergänzte die Regierungssprecherin.

Ähnlich argumentierte der britische Handelsminister Liam Fox: Es könne nicht sein, dass das Unterhaus den Prozess an sich reiße. Die Entscheidung der Bevölkerung für den EU-Austritt dürfe nicht ausgehebelt werden. Laut Fox drohe ein "politischer Tsunami", sollten die Abgeordneten den Ausgang des Referendums von 2016 nicht respektieren.

May muss dem Unterhaus heute ihren Plan B für den Brexit vorlegen, nachdem der von ihr mit Brüssel ausgehandelte Austrittsvertrag im Parlament krachend gescheitert war. In den vergangenen Tagen traf sie sich zu Geheimverhandlungen mit Oppositionsvertretern, die jedoch festzustecken scheinen. Am Sonntag wollte May in einer Telefonkonferenz mit ihren Ministern beraten.

Nach Informationen der "Sunday Times" plant May einen bilateralen Vertrag mit Irland, um eine Lösung für die Nordirland-Frage zu erreichen. Die Premierministerin wolle dadurch die umstrittene Auffanglösung für die Grenze zwischen der britischen Provinz Nordirland und Irland umgehen, die im Austrittsvertrag mit der EU festgeschrieben ist.

Video: ORF-Korrespondentin Cornelia Primosch erklärt Mays Plan B.

 

Kommt eine Verlängerung?

Die so genannte "Backstop-Regelung" ist der größte Kritikpunkt von Mays Gegnern. Sie sieht vor, dass das Vereinigte Königreich in einer Zollunion mit der EU bleibt, wenn keine andere Vereinbarung getroffen wird. Die Brexit-Hardliner befürchten, dass Großbritannien damit auf unabsehbare Zeit an die EU gebunden bliebe und keine eigene Handelspolitik betreiben könnte.

Besonders gefürchtet ist ein ungeordneter Brexit – also ohne jegliches Abkommen. Der Austritt von Großbritannien aus der Europäischen Union ist für den 29. März vorgesehen. Einige Abgeordnete bemühen sich daher um eine Verlängerung der Austrittsfrist.

Laut dem Brexit-Sprecher der oppositionellen Labour Party, Keir Starmer, ist eine Verschiebung "unvermeidbar". Mehrheitsfähige Optionen gebe es nur zwei: eine wirtschaftlich engere Anbindung an die EU oder eine zweite Volksabstimmung.