Zwei Jahre nach Putschversuch steuert Erdogan die Türkei weg von Europa
ANKARA. Präsident mit unumschränkter Macht entließ schon mehr als 100.000 Staatsbedienstete.
Er war noch nicht einmal in sein nun mit unumschränkter Macht ausgestattetes Amt als Präsident (wieder-)eingeführt, da zückte Recep Tayyip Erdogan Anfang der Woche seinen Autokraten-Knüppel: Er feuerte knapp 19.000 Staatsbedienstete per Notstandsdekret. Darunter Polizisten, Soldaten, Lehrer und Richter.
Der Vorwurf: Unterstützung des Terrors und Nähe zum im US-Exil lebenden Prediger Fethullah Gülen. Der soll für den gescheiterten Putschversuch verantwortlich sein, der sich morgen zum zweiten Mal jährt. Mehr als 100.000 Beamte wurden seither entlassen.
Schon am Morgen nach dem Putschversuch hatte Erdogan die Lage unter Kontrolle, steuert seither die Türkei weg von Europa und macht die Jagd auf Anhänger Gülens zum dominierenden Faktor seiner Politik. Über ein neues Präsidialsystem mittlerweile zum Sultan vom Bosporus aufgestiegen, ist er Staatsoberhaupt, Regierungschef und Vorsitzender der islamisch-konservativen AKP in einer Person.
Aus seiner Sicht gibt es viele Beweise dafür, dass Gülen bzw. die Organisation seiner Anhänger, in der Türkei unter der Bezeichnung "FETÖ" als Terrororganisation eingestuft, für den Aufstand verantwortlich wären.
Offiziere geständig
Vier Zivilisten wird vorgeworfen, Drahtzieher gewesen und intensiv mit Gülen in Kontakt gestanden zu sein. Das bewiesen ihre Besuche dort und die Kommunikation auf ihren Mobiltelefonen. Auch sei eine "steigende Anzahl Offiziere, die FETÖ Mitglieder waren, geständig", so der Botschafter der Türkei in Wien, Mehmet Ferden Carikci.
Die Türkei hat seit dem 15. Juli 2016 nicht nur Beamte entlassen, sondern darüber hinaus Menschen, denen Nähe zu Gülen vorgeworfen wurde, verfolgt, wobei insbesondere regierungskritische Journalisten, selbst wenn sie kritisch über Gülen geschrieben hatten, darunter fielen.
Mehr als 40.000 seien aber inzwischen nach juristischen Verfahren wieder eingestellt worden, das zeige die Rechtsstaatlichkeit des Vorganges, ist Carikci überzeugt. Auch der Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) in Straßburg habe die Bildung der Untersuchungskommission für Beschwerden als effektives Rechtsmittel eingestuft.
Ausnahmezustand endet
Der Ausnahmezustand, den Erdogan nach dem gescheiterten Putschversuch verhängt hatte und seither immer wieder verlängert worden war, soll jetzt kommenden Mittwoch, 18. Juli, auslaufen. Das kündigte Erdogan gestern an. Der Präsident verzichtet damit auf eine weitere Verlängerung.