"Wir haben dem Wahnsinn den Rücken gekehrt"

Von Christine Zeiner aus Hamburg   07.Juli 2017

Hubschrauber kreisen. Alle paar Meter sieht man Polizisten in Schutzuniform. Auf den Straßen ist im Zentrum wenig los, etliche sind für Autos gesperrt. Hamburg wirkt hier ruhig. "Die sind alle abgehauen", sagt eine Hamburgerin: Viele ihrer Landsleute haben Sonderurlaub bekommen, viele haben die Stadt verlassen – so wie ein Hamburger Kollege: "Seit Mai stehen an der Karolinenstraße alle 20 Meter große Polizeibusse mit Beamten aus der ganzen Republik. Man fühlt sich wie im Besatzungszustand. Wir haben dem Wahnsinn den Rücken gekehrt."

In einem Café im Stadtteil St. Pauli sagt ein Mann: "Das war toll heute Früh, ich kam so schnell mit dem Auto überall hin wie noch nie." Sein Freund nickt. "Ja, aber das ist auch der einzige positive Nebeneffekt der Veranstaltung."

Die Veranstaltung, damit meint er den G20-Gipfel, der heute beginnt. Die Gruppe der führenden Industrie- und Schwellenländer sowie der EU trifft einander, darunter die USA, China und Russland.

Verstärkung

Auf dem Dach des Luxushotels "Atlantic" sind Scharfschützen, um das Vorabgespräch von Kanzlerin Angela Merkel und Donald Trump zu schützen. Kanaldeckel wurden verschlossen. Die Sicherheitsvorkehrungen sind enorm. Die Polizei hat sich Verstärkung geholt, unter anderem aus Österreich.

Via Twitter lernt man die zusätzlichen Einsatzkräfte kennen, die für Hamburg untypisch grüßen: "Moin, moin" sagt man im Hohen Norden. "Griaß eich, Leidln, i bin die Cansel von der Österreichischen Bundespolizei. Derzeit bin i im Rahmen des G20-Gipfels am Hamburger Flughafen und unterstütze die deutschen Kollegen bei ihrer Arbeit. Es macht riesig Spaß und es ist eine tolle Erfahrung. Pfiat eich!"

"Globale Solidarität"

Auch eine halbe Stunde vom Hauptbahnhof entfernt ist die Stimmung gut. In der Kampnagel-Fabrik findet der "Gipfel für globale Solidarität" statt – organisiert von Umweltschutz- und Entwicklungshilfeorganisationen, Flüchtlingsinitiativen, Gewerkschaftsgruppen, politischen Stiftungen. Es geht um globale Unternehmensregeln, die Kontrolle der Finanzmärkte, die Lage in Griechenland, um Klimaschutz und geflüchtete Frauen.

In der Stadt steigt indes die Anspannung von Stunde zu Stunde. Etliche Busse fahren nicht mehr. "Hamburgs gefährlichste Nacht", titelte die "Hamburger Morgenpost". Die Behörden rechneten mit tausenden gewaltbereiten Demonstranten. Cafés und Läden verbarrikadierten ihre Schaufenster mit Spanplatten. Andere haben Poster aufgehängt, um sich vor potenzieller Gewalt zu schützen: "No G20. Spare our store!" – "Nein zu G20. Verschont unseren Laden."

Am Hamburger Hauptbahnhof kontrollierten die Einsatzkräfte in der Früh einzelne Frauen und Männer, die per Sonderzug von Basel aus in die Stadt gekommen sind. Um kurz nach 9 Uhr trafen die G20-Kritiker ein, die gegen "weltweite Ungerechtigkeit, Hunger, Armut und Krieg nicht länger schweigen können". 210 Personen seien vor der Abreise kontrolliert, 33 die Einreise nach Deutschland verweigert worden, teilte die Bundespolizei mit. Alle wollten zur großen Demonstration "G20 Welcome to Hell" am Fischmarkt bei St. Pauli.

Während am Nachmittag ein Staatschef nach dem anderen eintrifft – Donald Trump landet gegen 16 Uhr – gehen immer mehr Menschen die Hafenstraße entlang zur Auftaktveranstaltung der Demo. Dutzende Einsatzwagen der Polizei sind schon da. Laufend marschieren Polizisten mit Helm und Schlagstock, teils mit Schild auf. "G20 – für die Reichen über Leichen" steht an einer Hausmauer.

Die Kulisse ist zauberhaft, die Sonne scheint, und schaut man zur Elbe hin, sieht man Schiffe, Möwen und die Elbphilharmonie. Doch das Kreischen der Möwen hört man nicht. Die Motoren der Polizeiwagen laufen, die Helikopter machen Lärm. Und auf der Bühne spielen lautstark Bands. Die Stimmung ist ruhig. Um die Ecke sitzen einige Frauen und Männer in einem Café bei Limonade und Bier. Sie wollen bei der Demo mitgehen.

Zusammenstöße mit der Polizei

Am Abend kommt es dann zu massiven Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten. Etwa 1000 Vermummte hatten sich nach Angaben der Polizei unter die Demonstranten gemischt. Die Polizei stoppt den Zug und setzte Pfefferspray sowie mehrere Wasserwerfer ein.

Sanitäter behandeln Verletzte. Über den Platz ziehen Rauchschwaden. Die Polizei sagt, man habe versucht, den "schwarzen Block" der Linksautonomen von den friedlichen Demonstranten zu trennen - dann hätte die Kundgebung fortgesetzt werden können. Dies sei ihnen aber nicht gelungen.