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Willy Brandt: Ein Instinktpolitiker, der Deutschland veränderte

Von Christine Zeiner, 14. Dezember 2013, 00:04 Uhr
Ein Instinktpolitiker, der Deutschland veränderte
Bild: dpa

Der frühere Berliner Bürgermeister, deutsche Kanzler und Friedensnobelpreisträger Willy Brandt wäre am 18. Dezember 100 Jahre alt geworden.

Die kleine Glocke in der Hand des Parlamentspräsidenten klingelt: Unterbrechung der Sitzung. Die Abgeordneten in der damaligen deutschen Hauptstadt Bonn haben an diesem 20. Oktober 1971 gerade über den Haushalt debattiert. Nun bricht nach der Mitteilung des Präsidenten Begeisterung aus. Etliche erheben sich, alle klatschen jenem Mann Beifall, der mit versteinerter Miene und stocksteif auf der Regierungsbank sitzt. Willy Brandt zeigt keine Regung. Kurz steht er auf und sagt kaum hörbar Danke. Der deutsche Kanzler hat soeben erfahren, dass er den Friedensnobelpreis erhält.

Oft sei er so gewesen, sagte seine zweite Frau Rut. "Wenn ihn etwas sehr bewegte, wollte er das nicht zeigen." Sein ältester Sohn Peter beschreibt ihn als einen Mann, der Emotionen aufnehmen konnte, sich aber nicht von ihnen leiten ließ. "Er war Visionär und Realist. Alles, was er tat, war durchdacht."

"Politik der kleinen Schritte"

In den 1960er-Jahren entwickelt Brandt als Bürgermeister von West-Berlin seine Ostpolitik. Sprachlos hat auch er am 13. August 1961 mitansehen müssen, wie Arbeiter in Berlin begannen, eine Mauer durch die Stadt zu bauen. Nicht Konfrontation, sondern Gespräche sollten die Grundlage für die Begegnungen von Ost und West sein, befindet Brandt zusammen mit seinem Mitarbeiter und Freund Egon Bahr. Das Konzept der beiden Sozialdemokraten wird unter den Schlagworten "Politik der kleinen Schritte" und "Wandel durch Annäherung" weltweit bekannt.

"Auch wenn zwei Staaten in Deutschland existieren, sind sie füreinander nicht Ausland; ihre Beziehungen zueinander können nur von besonderer Art sein", sagt Brandt im Oktober 1969 in seiner Regierungserklärung.

Zum ersten Mal wird nicht nur ein Sozialdemokrat Bundeskanzler. Zum ersten Mal bezeichnet ein Bundeskanzler die DDR als Staat. Bis dahin wurde von der "sowjetischen Besatzungszone" und der "so genannten DDR" gesprochen: Die Bundesrepublik sah sich als alleinige Vertreterin deutscher Interessen. Eine völkerrechtliche Anerkennung weist Brandt zurück, die DDR könne nicht Ausland sein. Ziel bleibt ein geeintes Deutschland. Aber Brandt folgt einem Satz von US-Präsident John F. Kennedy: "Wer den Status quo verändern will, muss ihn erst akzeptieren."

Signale der Annäherung

Die DDR-Führung fordert weiterhin die vollständige völkerrechtliche Anerkennung – und fürchtet zugleich, dass die Bundesrepublik einen "Keil treiben" will zwischen UdSSR und DDR, fürchtet einen Machtverlust. Denn Bonn und Moskau haben im Dezember 1969 mit Verhandlungen über einen Gewaltverzicht begonnen.

Das Verhältnis zueinander soll verbessert werden. Sowjetführer Leonid Breschnew sendet Signale der Annäherung: Der Sowjetunion liege es fern, die in der Führung der BRD eingetretenen Wandlungen zu ignorieren.

Und so ergeht im Februar 1970 eine Einladung des DDR-Ministerpräsidenten Willi Stoph an Brandt. Ein Schritt auf dem Weg zur völkerrechtlichen Anerkennung, hofft man. Ohne Breschnew wäre diese Einladung freilich nicht möglich gewesen. Mit ihm, der kaum ein Jahr zuvor den Prager Frühling niederschlagen ließ, versteht sich Brandt. "Es ist zweifelhaft, ob Brandt den Nobelpreis für seine Ostpolitik gewonnen hätte, wenn Breschnew nicht seinerseits eine ,Westpolitik’ entwickelt hätte", schrieb 1971 das US-Magazin "Newsweek".

Am 19. März 1970 reist Brandt in die DDR, nach Erfurt. Zum ersten Mal treffen einander Regierungschefs von DDR und BRD. Brandt steigt aus dem Sonderzug, Stoph wartet schon. Es ist ein Treffen mit hoher Symbolkraft.

Die Menschen sind von Brandt begeistert. Alle wollen den Kanzler sehen, eine Menge schiebt und drängt außerhalb des Bahnhofs, ruft "Willy Brandt! Willy Brandt!". Vor dem Hotel Erfurter Hof, wo Brandt und Stoph sprechen, hört man immer lauter "Willy, Willy!" und "Willy Brandt ans Fenster!". Brandt zeigt sich kurz, er trägt einen Dreireiher, lächelt freundlich, hebt die Hand – nicht zu lange, um die Gastgeber nicht zu brüskieren.

Im Sommer wird der Moskauer Vertrag zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik unterzeichnet. Beide Seiten verpflichten sich, den Entspannungsprozess zu fördern. Die Oder-Neiße-Grenze wird als Westgrenze Polens als unverletzlich erklärt, ebenso die Grenze zwischen DDR und BRD.

Historischer Kniefall in Polen

Drei Monate später reist Brandt nach Polen, nun wird auch mit der polnischen Regierung, die sich übergangen fühlt, festgesetzt, dass beide Seiten auf territoriale Ansprüche verzichten wollen. Bevor der Vertrag unterzeichnet wird, legt Brandt am Denkmal der Helden des Ghettos in Warschau einen Kranz nieder.

"Brandt auf dem Gebiet des Ghettos, und zwar genau auf dem Platz, auf dem sich mein Leben und das meiner Frau entschieden hat", erinnerte sich der heuer verstorbene Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki einst. Den Kniefall werde er Brandt nie vergessen.

Es ist mucksmäuschenstill, als Brandt die Stufen zum Denkmal hinaufgeht. Der Kanzler richtet die Schleifen rechts und links. Dann kniet Brandt nieder. Das Bild geht um die Welt. Der Deutsche entschuldigt sich für die Deutschen.

Für das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland habe dies viel bewirkt, urteilt später der damalige Außenminister Walter Scheel von den Liberalen. Andere sind fassungslos, wütend, aufgebracht: "Übertrieben" sei der Kniefall, warum sollte man sich als Deutscher persönlich schuldig fühlen. "Brandt an die Wand", "Vaterlandsverräter", wird der Kanzler beschimpft, der Kniefall wird besonders als Symbol für Brandts Ostpolitik gesehen.

"Herr Brandt, alias Frahm"

Brandt wird angefeindet, nicht zum ersten Mal. "Herr Brandt, alias Frahm" nennt ihn Konrad Adenauer im Wahlkampf 1961, um auf die uneheliche und unsittliche Geburt hinzuweisen. Der erzkonservative Franz Josef Strauß legt nach: "Eines wird man Herrn Brandt fragen dürfen: Was haben Sie zwölf Jahre lang draußen gemacht? Wir wissen, was wir drinnen gemacht haben." Brandt war im April 1933 nach Norwegen geflohen, drei Monate zuvor hatten die Nationalsozialisten die Macht übernommen.

Brandt war in die Arbeiterbewegung "hineingeboren" worden. Als Herbert Ernst Karl Frahm kommt er am 18. Dezember 1913 in Lübeck zur Welt, den Vater lernt er nicht kennen, die Mutter aber – eine Verkäuferin – steht den Sozialdemokraten nahe, ebenso wie der Stiefgroßvater.

Journalist als Berufswunsch

Brandt selbst ist mit 14 Jahren bei den Roten Falken, mit 16 wird er SPD-Mitglied. Dank seiner Begabung erhält er, das uneheliche Arbeiterkind, eine Freistelle am Gymnasium und kann maturieren. Brandt will Journalist werden. Der SPD wirft er bald "Mutlosigkeit" vor und schließt sich der linken "Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands" (SAP) an.

Nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler geht er in den Untergrund – aus Frahm wird Brandt – und flieht schließlich. 1936 kommt er für einige Monate mit falschem Pass zurück, er arbeitet für die Genossen als Kontaktmann, ein Jahr später geht er als Verbindungsmann der SAP nach Spanien. Im Exil in Stockholm lernt er Bruno Kreisky kennen. Die Männer finden einander sofort sympathisch und werden ein Leben lang verbunden bleiben – nicht nur in außenpolitischen Fragen.

Nach dem Krieg kehrt Brandt zurück nach Deutschland. Zunächst berichtet er für die norwegische Zeitung "Arbeiderbladet" über die Nürnberger Prozesse, dann bleibt er ganz. Der Journalismus aber reicht ihm nicht. Brandt möchte mehr. Er wird Berliner Bürgermeister und im dritten Anlauf schließlich Kanzler.

"Mehr Demokratie wagen"

Der charismatische Brandt verbreitet ganz besonders bei Jungen, Künstlern und Intellektuellen Aufbruchstimmung: Da ist einer, der gegen die Enge, den rheinisch-katholischen Mief auftritt. "Wir wollen mehr Demokratie wagen", verspricht Brandt in seiner Regierungserklärung.

Seine Kanzlerschaft endet abrupt: Brandt tritt zurück. Er ist erschöpft, zuweilen depressiv, doch den Ausschlag für seinen Schritt gibt sein persönlicher Referent. Günter Guillaume wird als DDR-Agent enttarnt. Brandt ist tief getroffen, die Kanzlerschaft bleibt unvollendet. Freunden vertraut er an, hätte er eine Pistole, er würde sich umbringen.

Bis 1987 bleibt Brandt SPD-Parteichef, insgesamt 23 Jahre lang. Den Mauerfall erlebt er mit großer Freude: "Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört."

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