Steinmeier beklagt "neue Mauern aus Enttäuschung und Wut"

04.Oktober 2017

Unter dem Eindruck des Erfolgs der rechtspopulistischen AfD bei der Bundestagswahl beging Deutschland gestern den 27. Jahrestag der Wiedervereinigung. Ein "Abhaken und weiter so" dürfe es nicht geben, mahnte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Rede in Mainz. Kanzlerin Angela Merkel mahnte: "Wir können uns von den Ereignissen in der Welt nicht abkoppeln."

Deutschland könne dankbar sein, dass die Wiedervereinigung in Frieden geglückt sei, sagte Merkel. Daher trage Deutschland auch eine Verantwortung für Europa und eine bessere Entwicklung weltweit. "Denn wir wissen: Wir können uns von den Ereignissen in der Welt nicht abkoppeln." Die Aufgaben seien nicht weniger geworden. "Aber wir können auch zurückblicken und sagen: Vieles an der Deutschen Einheit ist uns geglückt, und das sollte uns die Kraft geben, auch die ausstehenden Probleme zu lösen."

Steinmeier wiederum warnte vor "neuen Mauern" in der Gesellschaft und forderte einen ehrlichen Umgang mit dem Flüchtlingsproblem. Die große Mauer, die Deutschland geteilt habe, sei gefallen. Aber das Wahlergebnis vom 24. September habe gezeigt: "Es sind andere Mauern entstanden, weniger sichtbare, ohne Stacheldraht und Todesstreifen", sagte Steinmeier.

Ohne den Erfolg der AfD direkt anzusprechen, betonte Steinmeier: "Mauern aus Entfremdung, Enttäuschung und Wut" seien bei manchen so fest geworden, dass Argumente nicht mehr durchdrängen. "Hinter diesen Mauern wird tiefes Misstrauen geschürt, gegenüber der Demokratie und ihren Repräsentanten." Steinmeier beklagte aber auch Mauern zwischen Arm und Reich, Stadt und Land, offline und online – "Mauern rund um die Echokammern im Internet, wo der Ton immer lauter und schriller wird." Steinmeier verwies auf begrenzte Möglichkeiten zur Aufnahme von Flüchtlingen und forderte eine Unterscheidung zwischen Flucht aus Gründen der politischen Verfolgung und Armutsmigration. Es gehe darum, "die Wirklichkeit der Welt und die Möglichkeiten unseres Landes übereinzubringen".

Nicht alle, die sich von den etablierten Parteien abgewendet hätten, seien Feinde der Demokratie, sagte Steinmeier. "Aber sie alle fehlen der Demokratie."