Kennedy zwischen Verklärung und Wahrheit
50 Jahre nach dem Mord am charismatischen US-Präsidenten beginnen die Amerikaner, die Ikone zu entstauben.
Kennedy prägte eine ganze Generation. Nicht mit dem, was er tatsächlich getan hat. Sondern mit dem Potenzial, das Menschen rund um den Erdball in dem dynamischen Mann mit dem breiten Scheitel und den strahlend weißen Zähnen sahen. Er symbolisierte das Versprechen eines jungen, optimistischen Amerika, das an der Spitze des Fortschritts marschiert.
Der Präsident, der nach dem Mauerbau die berühmten Worte "Ich bin ein Berliner" sprach, verkörperte selbst die Idee des modernen Amerikaners. Ein Superstar im Weißen Haus, der nicht zufällig die Gesellschaft von anderen Pop-Ikonen wie Marilyn Monroe suchte. Wie keiner seiner Vorgänger reflektierte der 35. Präsident der Vereinigten Staaten die Sehnsucht einer ganzen Generation nach dem Aufbruch zu neuen Ufern.
Im Kalten Krieg bot er sich zudem als ideales Gegenbild zu den verbiesterten Führern der Sowjetunion an. JFK hätte erfunden werden müssen, wenn es ihn nicht schon gegeben hätte. Inklusive des Mythos, den seine engsten Berater geschickt um ihn ranken ließen. Diese stilisierten ihn zu einem neuzeitlichen Camelot, der sein Volk wie der sagenhafte König Artus in eine bessere Zukunft zu führen verspricht.
All das trug Kennedy zu Lebzeiten die höchsten durchschnittlichen Zustimmungswerte ein, die ein moderner Präsident im Amt erzielen konnte. Über 70 Prozent seiner Landsleute waren mit ihm zufrieden. Die Erklärung für die bis heute anhaltende Popularität Kennedys hat indes wenig mit dessen Politik zu tun. Mehr mit der Projektionsfläche, die er seinen Anhängern bot. Kennedy machte es möglich, dass jeder in ihn hineininterpretieren konnte, was er in dem Präsidenten sehen wollte. Ronald Reagan schaffte es in späteren Jahren am ehesten, diese Seite JFKs zu imitieren. Clinton und Obama versuchten es.
Der Kennedy aus Fleisch und Blut hat wenig mit der Lichtgestalt gemein, zu der er verklärt wurde. Historiker halten ihn bestenfalls für einen mittelprächtigen Präsidenten. Jenseits seines Charismas, mit dem JFK die Massen verzauberte, hat er am Ende seiner viel zu kurzen Amtszeit wenig vorzuweisen. Es lag an seinem Stellvertreter Lyndon Johnson, die Bürgerrechts-Gesetze, die Steuerreform und Einführung der staatlichen Krankenversicherung für Alte und Arme im Rahmen der "Great-Society"-Reformen durchzusetzen.
Auch auf der Weltbühne überzeugte Kennedy selten. In seine Amtszeit fallen die Ausweitung des Vietnam-Kriegs, die fehlgeschlagene Invasion in der Schweinebucht, der Bau der Berliner Mauer und die Raketenkrise auf Kuba. Selbst wenn man letztere als Punktsieg für den US-Präsidenten verbucht, wagten die Sowjets die Provokation wohl deshalb, weil sie Schwäche vermuteten.
Das Attentat in Dallas 1963 hat für lange Zeit eine nüchterne Bilanz erschwert. Mit dem Tod platzte ein Traum und ließ eine ganze Generation mit einem Trauma zurück. Ein halbes Jahrhundert später nimmt die Zahl der Zeitzeugen ab. Und damit auch die der Gefolgsleute, die über das Image wachten. Drei Viertel aller Amerikaner haben heute keinen persönlichen Eindruck mehr. Sein Status als Pop-Ikone bleibt unbestritten, seine Leistungen als politischer Führer weniger. Es könnte sich herausstellen, dass er als Politiker genauso schwächelte wie als Mensch.