Juncker fordert von Österreich Lösungen zur Migrationspolitik

Von nachrichten.at/apa   12.September 2018

In seiner letzten Rede zu Lage der Union sagte Juncker am Mittwoch vor dem EU-Parlament in Straßburg, die EU könne nicht über jedes ankommende Schiff streiten. "Ad-hoc-Lösungen reichen nicht aus."

Ganz allgemein forderte er eine stärkere Rolle Europas in der Welt. Vor den Europa-Abgeordneten verlangte er eine Abschaffung der Vetomöglichkeiten. Etwa im Bereich der Außenpolitik und bei bestimmten Steuerfragen sollten die Staaten stattdessen mit qualifizierter Mehrheit entscheiden können. Dafür müssen einerseits mindestens 16 der 28 EU-Staaten zustimmen, andererseits müssen die zustimmenden Länder mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren. "Europa muss auf Weltbühne mit einer Stimme sprechen", sagte er. "Denn nur dann wird man uns hören." Dabei dürfe die EU nie wieder den Fehler machen, nationale Diplomatie parallel zu betreiben. "Wir brauchen eine europäische Diplomatie."

Mehr Solidarität und Effizienz

"Europa muss eine aktive Rolle spielen, ein Architekt der Welt von morgen sein", sagte Juncker in seiner jährlichen Regierungserklärung zur Lage des Kontinents. Es ist die letzte Rede dieser Art des 63-jährigen Luxemburgers, der nächstes Jahr abtritt. Im Mai wird ein neues Europaparlament gewählt. Junckers Amtszeit endet im Herbst. Der Titel gibt die Grundaussage wieder: "Die Stunde der europäischen Souveränität."

In Sachen Migration sagte Junker, dass die EU mehr Solidarität brauche, sowie auch mehr Effizienz. Die EU-Kommission unterstütze dies mit ihrem heutigen Vorschlag, die Europäische Grenz- und Küstenwache bis 2020 auf 10.000 Mann aufzustocken. Zudem soll die europäische Asylagentur ausgebaut werden. Die EU-Staaten bräuchten stärkere Unterstützung bei der Bearbeitung von Asylanträgen. Juncker forderte auch legale Einwanderungsmöglichkeiten, die EU-Staaten sollten die diesbezüglichen Vorschläge der Kommission unterstützen. "Wir brauchen qualifizierte Migranten." Außerdem brachte Juncker ein Bündnis für nachhaltige Investitionen und mehr Arbeitsplätze in Afrika ins Spiel. Mit Afrika müsse die EU eine echte Partnerschaft eingehen. Europa müsse aufhören, Afrika nur mit den Augen eines Entwicklungshilfegebers zu sehen, dies wäre demütigend, so Juncker. "Afrika braucht keine Almosen."

Euro als "Gesicht und Werkzeug" der Souveränität

Um die Abhängigkeit von den USA zu reduzieren, will die EU-Kommission die globale Bedeutung des Euro stärken. Ein Großteil der europäischen Energieimporte werde derzeit in US-Dollar abgewickelt, sagte Juncker. Das sei "völlig unsinnig". Der Euro müsse stattdessen zum "Gesicht und Werkzeug" der neuen europäischen Souveränität werden.

Juncker stellte sich auch hinter die Sanktionsverfahren gegen Mitgliedsländer bei Verstößen gegen die Prinzipien des Rechtsstaats. "Artikel 7 muss dort, wo der Rechtsstaat in Gefahr ist, Anwendung finden", sagte er. Gegen Polen läuft bereits ein solches Verfahren, an dessen Ende der Entzug der Stimmrechte für das betroffene Land im EU-Rat stehen kann. Ein entsprechendes Strafverfahren gegen Ungarn brachte das EU-Parlament am Mittwoch auf den Weg. Die Abgeordneten stimmten dem Antrag mit der erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheit zu. Nun muss sich der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs mit dem Thema befassen und die Einleitung offiziell beschließen.

"Ich will nicht in dieser Welt des Hasses leben"

Angesichts des Erstarkens radikaler Kräfte in Europa stellte sich Juncker aggressivem Patriotismus entgegen. "Ich liebe mein Land, aber ich hasse nicht die anderen Länder", sagte der Luxemburger. "Ich will nicht in dieser Welt der Ablehnung, in dieser Welt des Hasses leben." Nationaler Patriotismus und europäischer Patriotismus schlössen sich dabei nicht aus, sagte der Kommissionschef. "Ich werde ein Patriot bleiben, aber ein aufgeklärter Patriot."

Juncker kündigte in seiner Rede außerdem die Abschaffung der Zeitumstellung für das kommende Jahr an. Die Entscheidung, ob sie die Sommer- oder die Winterzeit behalten wollen, sollen die Mitgliedstaaten demnach selbst treffen. Gemäß dem Vorschlag sollen am 31. März 2019 das letzte Mal die Uhren in den EU-Staaten verpflichtend umgestellt werden. Beim nächsten Termin, dem 27. Oktober 2019, wäre die Zeitumstellung für die Mitgliedstaaten freiwillig. Danach soll es keine weiteren Umstellungen zwischen Sommer- und Winterzeit geben.

 

Kurz und Strache wohlwollend

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) äußerten sich wohlwollend zur Rede Junckers. Vor allem die Aufstockung der Europäischen Grenz- und Küstenwache Frontex begrüßten beide vor dem Ministerrat am Mittwoch in Wien. Der Vorschlag zur Frontex-Aufstockung sei "sehr begrüßenswert als wichtiger Schritt hin zu einem ordentlichen Schutz der EU-Außengrenzen", erklärte Kurz laut Bundeskanzleramt. Unterstützung des Kanzlers gab es zudem zur Intensivierung der Partnerschaft mit Afrika auf Augenhöhe, die Investitionen und wirtschaftliche Entwicklung in den Mittelpunkt stelle. Deshalb werde Österreich noch während des EU-Vorsitzes ein hochrangiges EU-Afrika-Forum im Dezember in Wien organisieren.

Für eine sehr sinnvolle Initiative hält es Kurz, die Zeitumstellung in Europa abzuschaffen und eine einheitliche Regelung für alle EU-Mitgliedsstaaten zu finden. Man werde damit dem Willen vieler Bürger gerecht und vereinfache nicht zuletzt die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft in Europa, sagte der Kanzler.

Auch von Innen-Staatssekretärin Karoline Edtstadler (ÖVP) wurden die Vorschläge Junckers großteils unterstützt. Juncker habe ganz wichtige Dinge genannt, die Stärkung von Frontex sei ein wichtiges Element, sagte Edtstadler. Österreichs EU-Vorsitz hoffe diesbezüglich auf Gemeinsamkeiten, um die Dinge voranzutreiben. Sie kündigte für Dezember ein hochrangiges Forum in Wien an. Der österreichische EU-Vorsitz wolle auch die von Junckeraufgeworfene Frage der Abschaffung der Zeitumstellung rasch auf die Tagesordnung des EU-Rates bringen. Europa müsse Fragen der Wirtschaft, der Zuwanderung und der Digitalisierung verstärkt angehen, Ziel sei ein stabiler und sicherer digitaler Binnenmarkt.