"Fast 50 Jahre EU-Mitgliedschaft beendet man nicht in zwei Jahren"

Von Clemens Schuhmann   23.Oktober 2017

Die Verhandlungen über den britischen EU-Austritt laufen zäh. Das liegt laut der britischen Politologin Melanie Sully an der Taktik der Verhandlungspartner und auch daran, dass die Zeitspanne für einen Austritt im EU-Vertrag zu kurz bemessen sei. "Und es gibt ja auch keine Blaupause."

 

Es gab bereits mehrere "Brexit"-Verhandlungsrunden, aber bis dato kaum Fortschritte. Warum?

Melanie Sully: Es stimmt nicht ganz, dass es keine Fortschritte gibt. Aber wenn die EU nach einem Treffen sagt, dass es kaum Fortschritte gibt und die Briten nach dem Treffen sagen, dass man auf dem besten Weg sei, dann hat man den Eindruck, dass die beiden Verhandlungspartner nicht bei der selben Sitzung waren. Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte. Nach der Europa-Rede der britischen Premierministerin Theresa May in Florenz gab es auf Seiten der EU schon den Eindruck, dass sich die Briten doch ein bisschen bewegt haben.

Wo liegen die Probleme?

Erstens ist es nicht leicht, nach fast einem halben Jahrhundert Mitgliedschaft aus der EU auszusteigen; das ist alles extrem komplex. Dazu kommt, dass Brüssel drei Themenbereiche (Rechte der 3,2 Millionen EU-Bürger in Großbritannien, Schlussrechnung für London und die künftige Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland) als Hürde aufgebaut hat, die gar nicht notwendig sind. Und man will ja erst über andere Themen verhandeln, wenn es in diesen drei Bereichen ausreichende Fortschritte gibt. Das ist eine künstliche Barriere, da diese drei Themenkomplexe ohnehin nicht isoliert diskutiert werden können.

Reicht die verbleibende Zeit bis März 2019 für eine Einigung?

Ich glaube nicht. Fast 50 Jahre Mitgliedschaft beendet man nicht einfach so in nur zwei Jahren. Und es gibt ja auch keine Blaupause. Das Problem liegt im Artikel 50 des EU-Vertrages, der die zwei Jahre vorschreibt. Aber: Ein Land, das nur zwei Jahre EU-Mitglied ist, hat zwei Jahre. Und Großbritannien hat auch nur zwei Jahre. Das ergibt einfach keinen Sinn, daher wird man eine Übergangsfrist brauchen.

Erwarten Sie, dass es am Ende des Tages überhaupt eine Einigung geben wird?

Das ist momentan fraglich, obwohl beide Seiten ein Interesse daran haben sollten. Die Taktik der EU ist, dass man solange wie möglich zuwartet, bis sich die ersten großen Unternehmen aus Großbritannien verabschieden – das wird Ende 2017 oder Anfang 2018 passieren; die Firmen müssen ja für 2019 zu planen beginnen. Damit soll der Druck auf London gesteigert werden. Aber: Die Briten wissen natürlich, dass es für die EU eine große Blamage wäre, sollte es kein Abkommen geben. Die Frage ist daher: Wer bewegt sich zuerst?

May ist ja seit den Unterhauswahlen, bei denen die Tories die Absolute verloren haben, geschwächt. Kann sie überhaupt noch etwas durchsetzen?

Macht sie zu große Zugeständnisse und bekommt aus Brüssel nichts zurück, dann kann es sein, dass sie bis Ende des Jahres politisch nicht überlebt. Das ist aber wiederum ein Problem für die EU: Mit Theresa May würde Brüssel nämlich eine Verhandlungspartnerin verlieren, die mehr Interesse an einer Vereinbarung hat als ein möglicher Nachfolger. Die Konservativen sind sehr ungeduldig derzeit. May braucht daher ein Signal aus Brüssel.

Außenminister Boris Johnson hat ja bereits gesagt, in einem Jahr werde May nicht mehr Premierministerin sein...

Tja, der Außenminister ist gut für solche Sprüche. Offenbar ist ihm fad, er ist ja mehr in Asien als in Europa unterwegs. Und er ist frustriert – und Details interessieren ihn nicht sonderlich. Und dann bricht er eben aus mit solchen Sprüchen. Und das kommt bei den Briten nicht gut an. Aber: Laut Gerüchten soll es bald zu einer Regierungsumbildung kommen.